Zeit zu reden

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Leo:

"Nein mir tut es Leid, ich hätte auch wo anders hin sitzen können. Ich bin übrigens Leo. Und wie heißt Du?", fragte ich sie. Na Anna du Trottel. Oder Stalker. "Das nächste Mal weiß ich bescheid. Ich bin Anna, freut mich dich kennen zu lernen", gab sie zurück. Im Anschluss drehte sie sich sofort wieder zu Herr Schmidt, der mit dem Unterricht schon begonnen hatte: "Du willst doch nicht etwa wirklich zuhören was der da labert oder?", ich versuchte lustig zu klingen. Mit einem Grinsen im Gesicht drehte sie sich wieder in meine Richtung: "Als ob auch" Erleichtert antwortete ich: "Na dann hast du ja den richtigen Nebensitzer erwischt. Also, was treibt dich hier her?", ihr Lächeln verschwand: "Vor ein paar Monaten wurde bei mir Darmkrebs diagnostiziert. Sieht schlecht für mich aus. Ich bekomme jetzt eine aggressivere Chemo, mal schauen ob das weiter hilft. Muss deswegen auf unbestimmte Zeit hier im Krankenhaus bleiben. Und du?" "Naja wie du sehen kannst, fehlt mir, wie Jonas, ein Bein", er schob sich etwas vom Tisch weg, sodass ich freie Sicht auf sein Bein hatte: "War ein mieser Tumor. Sie haben mein Bein darauf hin komplett entfernt, scheint aber nichts zu bringen. Der Krebs ist noch da." "Das tut mir wirklich Leid", gab sie zurück. Wieder versuchte ich lustig zu klingen: "Ja, wenigstens fehlt dir nichts offensichtliches."

Anna:

Nicht offensichtlich für dich vielleicht, dachte ich mir, behielt es aber lieber für mich. Ich wollte ihn nicht vor den Kopf stoßen. "Hattet ihr das schon in der Schule?", fragte ich ihn stattdessen. Er schnaubte: "Ich bin schon so lange hier, ich weiß wirklich nicht mehr, was ich als letztes in der Schule hatte" Das erstaunte mich: "Wie lange bist du denn schon hier, wenn ich fragen darf?", "Es sind jetzt bald 10 Monate", antwortete er, während er betrübt auf die Tafel starrte. Ich wollte das Thema wechseln, und über etwas reden, das uns keine schlechte Laune machte: "Toni hat mir vorhin etwas von einem Club der roten Bänder erzählt. Was ist das für ein Club?", er lächelte: "Der Club der roten Bänder", er hob seinen rechten Arm hoch, an dem viele dieser roten OP Bänder hingen, "ist ein Club von ein paar Krankenhaus-Kids, die hier für längere Zeit bleiben müssen. Wir verstehen uns richtig gut und sind eine klasse Truppe, mit der man wirklich sehr viel Spaß haben kann." Er schwärmte ja richtig, also wollte ich wissen: "Und wer ist so alles in diesem Club?", "Also da bin einmal ich", wieder musste er lachen: "Na wer hätte das gedacht! Ich bin sozusagen der Anführer. Dann gibt es noch Jonas und Toni. Jonas ist der zweite Anführer. Also er wäre eben der Anführer, wenn es mich nicht gäbe. Toni ist der Schlaue. Er kann auf irgendeine seltsame Weise mit Hugo kommunizieren. Hugo liegt im Koma weißt du. Er ist der Gute Geist, er hält uns alle zusammen. Die letzten zwei im Club sind einmal Alex; er ist der Hübsche, wobei er sich den Rang damals ganz alleine gegeben hat. Als letztes ist da noch Emma", seine Augen fingen bei ihrem Namen an zu leuchten, wie Sterne in einer klaren Sommernacht: "Sie ist das Mädchen." "Einfach nur das Mädchen? Hat sie keinen tieferen Sinn in der Gruppe?", wollte ich wissen. Einfach damit er nicht aufhörte zu reden. 

Ich mochte seine Stimme. Weich, etwas kratzig, und unglaublich stark und erwachsen.

Also erzählte er die ganze Unterrichtsstunde vom Club der roten Bänder und dessen Mitglieder, sodass es mir fast vorkam, als kannte ich sie alle schon sehr lange, obwohl ich die Hälfte von ihnen noch nie gesehen hatte.

Manchmal, wenn ich auf die Tafel schaute, sah ich im Augenwinkel, wie er mich anschaute. Seine Augen leuchteten genau so, wie sie geleuchtet hatten, als er von Emma gesprochen hatte. Er schien mich wirklich zu mögen. Und wenn ich ehrlich bin, ich mochte ihn auch. Aber wer war Emma?

Als die Stunde vorbei war, liefen die meisten schnell aus dem Klassenzimmer. Jonas, Toni und Leo warteten nach der Türe auf mich. "Und was hast du jetzt noch vor Anna?", wollte Jonas wissen. "Uff, ich muss in einer halben Stunde zur Chemo, danach wird bei mir nicht mehr ganz so viel laufen, ich denke, du weißt wovon ich rede", gab ich zurück. Jonas und Leo hatten beide keine Haare mehr auf dem Kopf von den vielen Chemo Therapien.

So wie ich...

"Oh ja, das kenn ich nur zu gut", er strich sich über seinen kahlen Kopf: "Wenn du magst können wir zusammen dort hin gehen, ich muss zwar erst in einer Stunde dort sein, aber ich kann bestimmt auch früher anfangen." "Das wäre wirklich super von dir!", es freute mich, dass er mit mir zusammen dort hin gehen wollte. Chemo war nie eine schöne Angelegenheit gewesen. Die ganze Zeit über war einem einfach richtig schlecht, und man war einfach froh, wenn es vorbei war. "Gut dann hole ich dich in einer halben Stunde einfach an deinem Zimmer ab? Wo ist es denn?", schlug er vor. Ich musste selbst erst einmal nachdenken: "Gute Frage. Ich glaube ich bin auf Station K, Zimmer 271. Das müsste Stock 3 sein, oder?" Verzweifelt versuchte ich mich daran zu erinnern, ob es auch wirklich mein Zimmer war, das ich Jonas gerade beschrieben hatte. Aber es müsste eigentlich stimmen. Eigentlich. Ich musste kichern.

"Dann machen wir uns mal fertig, und dann hol ich dich. Also bis später Anna!", mit diesem Satz machte sich Jonas auch schon davon. Toni rief mir ebenfalls noch ein kleines "Tschüssi Anna" zu, und rollte auch davon. Nur Leo war noch bei mir: "Hat mich echt gefreut, dich kennen gelernt zu haben", etwas verlegen schaute er zu Boden. Irgendwie war er wirklich total süß. So wie Jonas. "Ja das fand ich auch. Wir sehen uns bestimmt bald mal wieder. Ich muss dann auch mal los, muss ja fertig sein, wenn ich zur Chemo muss. Apropos, was machst du denn jetzt noch?" Er überlegte ganz kurz, bevor er mir antwortete: "Ich denke, ich spiele noch ein bisschen Basketball, und dann mal weiter sehen. Also bis später. Und viel Spaß bei der Chemo" , bei dem Wort "Spaß" hob er die Hände, um es in Anführungszeichen zu packen. Und dabei hatte er recht, denn das war kein Spaß. Aber vielleicht wusste Jonas ja etwas, um die vielen Stunden etwas erträglicher zu machen. "Wir sehen uns!", rief ich Leo zu, als ich mich von ihm abwandte. 

Als ich ein paar Schritte gegangen war, drehte ich mich noch einmal um, um ihn ansehen zu können. Unsere Blicke trafen sich. Mir wurde ganz warm und mein Herz machte einen Sprung. Das hatte ich das letzte Mal bei IHM gespürt.. Es kam mir vor, als wäre es Ewigkeiten her. Als wäre ER Ewigkeiten her. Dabei war ER noch nicht allzu lange weg. Sofort wurde mein Herz sehr schwer und ich lief schnell in mein Zimmer, damit mich niemand weinen sehen konnte.



Veröffentlicht am: (ca.) 7. Oktober 2016

Club der roten Bänder FFWhere stories live. Discover now