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"Ich versteh kein Wort von dem was sie da sagen Dr.", sagte ich zu Dr. Ningel. Seit einer geschlagenen viertel Stunde warf er mir irgendwelche medizinischen Wörter an den Kopf und ich verstand natürlich nur Bahnhof: "Also bitte, einmal erklären für Dummies" Ich lachte gekünstelt, um meine Nervosität zu überspielen.
"Anna, was ich dir sagen will ist, dass wir bei der Darmspiegelung auffällige Gewebeproben entnommen haben, und jetzt die Ergebnisse da sind. Es sind bösartige Gewebezellen. Und das nicht mehr nur an einer Stelle. Wir haben auch den Dünndarm und den Magen untersucht. Anna", er schaute mich eindringlich an: "der Krebs hat gestreut." Traurig schaute er zu Boden. 

In mir gefror alles zu Eis. Mein Blick wurde starr. Ich schaute einfach ins Leere, ohne überhaupt etwas zu sehen. So viele Sachen gingen mir plötzlich durch den Kopf:
Das Eis das ich nicht gegessen hatte. Den Jungen, den ich in der Grundschule nicht geküsst hatte. Das Paar Schuhe, das ich nicht gekauft hatte. Den Krebs, den ich nicht besiegt hatte; nie besiegen hatte können.

Ich nahm war, dass Dr. Ningel sprach, doch ich hörte nichts von alledem. Ich war wie gefangen in meinen eigenen Gedanken.

Etwas warmes auf meiner Hand riss mich aus dem Gedankenmeer, in dem ich zu ertrinken drohte; Wasser. Da war Wasser auf meiner Hand. Ich blickte auf. Nichts. Nirgends war Wasser. Noch einmal ein Tropfen. Ich weinte. Schnell versuchte ich, meine Wangen mit meinem Pulloverärmel zu trocknen, doch es war vergebens. Die Tränen rannen fröhlich weiter meine Wangen hinab.

"Anna", mitleidend sah mich der Arzt an: "Wir werden alle bei dir sein. Du musst das nicht alleine durchstehen. Die Menschen die dort arbeiten sind wunderbare Leute. Sie wissen wie sie was tun müssen" "Halt stop. Was durchstehen? Welche Menschen wissen was?!", jetzt verstand ich die Welt nicht mehr: "Es tut mir Leid, ich habe für kurze Zeit abgeschalten und nicht mehr zugehört."
"Oh...", es schien so, als wäre er ganz froh gewesen, dass das Gesagte gesagt war. Jetzt war er ernüchtert, es noch einmal sagen zu müssen: "Also es ist so, der Krebs..", er suchte nach Worten. Ich half ihm auf die Sprünge: "Der Krebs hat gestreut ja", wenn ich etwas hasste, dann wenn man sich vor etwas drückte, es auszusprechen, obwohl es nichts an der Tatsache änderte, dass es eben so war.
"Ja genau, also ja er hat gestreut und es sind noch viel mehr Organe betroffen als wir vermutet hatten. Es tut uns so Leid Anna. Aber die Leute, die auf der Palliativstation arbeiten, sind wirklich gut in dem was sie tun." "Palliativ? Ich soll auf die Sterbestation?! Nein! Da werd ich nicht hingehen! Mir geht es super!", rief ich aufgebracht, stand so schwungvoll auf, dass mein Stuhl hinter mir umkippte und verließ das Besprechungszimmer.

In meinem Zimmer angekommen warf ich mich auf mein Bett und fing einfach nur an zu weinen.
Stundenlang lag ich nur da und weinte. Ab und an kam eine Krankenschwester vorbei, die mich trösten wollte, doch ich schickte sie alle wieder davon.
Irgendwann kam der Club herein. Sie ignorierten, als ich sagte, dass sie alle gehen sollten, zogen sich Stühle ran und setzten sich zu mir ans Bett.
Alex streichelte meine Hand: "Wir haben mitbekommen, was los ist Anna." "Alter, was ist nur los mit diesem Krankenhaus!", schluchtzte ich: "Was ist denn mit der ärztlichen Schweigepflicht oder so ner Kacke?!" Ohne dazu einen Kommentar abzulassen, fuhr er fort: "Es tut uns so schrecklich Leid. Aber du sollst wissen, dass wir immer für dich da sein werden." Im Hintergrund hörte ich leise "Ja"s der anderen. Jedem einzelnen schaute ich in die Augen und sah, dass sie es Ernst meinten. Dann ließ ich mein Gesicht wieder in mein Kissen fallen und weinte so lange, bis keine Tränen mehr kamen. Und alle blieben so lange bei mir.

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Leider erlaubten die Ärzte mir nicht, weiterhin auf meiner Station zu bleiben, und so wurde ich zwei Stockwerke nach oben verlegt; in die Palliativstation. Die Menschen hier waren wirklich alle sehr nett, aber das Gefühl hier zu sein, war schrecklich. In jeder Ecke lauerte quasi der Tod. Ich wusste nicht einmal, mit wem ich hier reden sollte, konnte der Gegenüber ja gleich sterben. Oder erst morgen.
Meinen Todeszeitpunkt wusste ich allerdings nicht. Ich hatte Dr. Ningel gesagt, dass ich es nicht wissen wollte, wie lange ich noch hatte. Meine Eltern verstanden nicht, warum ich es nicht wissen wollte, doch der Club stand vollkommen hinter mir.
Der Club der roten Bänder traf sich mittlerweile jeden Tag. Auch Emma war wieder bei uns. Sie war wie ein neuer Mensch; ich glaube sie hat verstanden, um was es im Leben wirklich ging; und das war sicherlich nicht, sich mit einer Krebskranken zu streiten.
Als Emma zurückgekommen war, hatte Leo gemerkt, dass seine Gefühle für Emma doch stärker waren als für mich. Und das war gut so. Auch wenn ich Leo wirklich sehr mochte, war mir klar, dass es für ihn alles andere als schön wäre, wenn die eigene Freundin starb. Wenn er glücklich war, war ich es auch.

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Heute sollte unser Treffen mal wieder bei Hugo stattfinden. Ich hatte ihn lange nicht gesehen, durfte ja kaum mein Zimmer verlassen. Gerade als ich sein Zimmer betrat, fiel mir wieder ein, was geschehen war, als ich das letzte Mal bei ihm gewesen war: Er hatte gesungen.
Sofort packte mich die Euphorie: "Leute! Mir fällt gerade was ein. Seid mal ganz still!", ich kramte mein Handy raus und ließ David Bowies "Heroes" laufen und schaute gespannt auf Hugo.

"Alles klar bei dir?", fragte Jonas teils belustigt, teils besorgt. Meine Augen immer noch angestrengt auf Hugos Lippen sagte ich: "Letzes mal, lief das Lied und dann hat er gesungen..."
Leo stöhnte: "Ich will ja wirlich nichts sagen, aber das wirst du dir eingebildet haben. Dir ging es damals ja schon nicht mehr allzu gut" Empört und wütend schaute ich ihn an: "Nein es stimmt!", wusste dann aber auch nicht mehr sicher, ob ich es wirklich gesehen hatte.
Emma summte im Hintergrund mit. Ich grübelte kurz, ob nicht ich das gewesen sein konnte, die da gesungen hatte. Vielleicht war ich so schlecht gewesen, dass ich dachte es wäre jemand anderes gewesen? Mittlerweile sang auch Jonas mit. Nichtsdestotrotz heitere das Lied wohl die Stimmung auf und irgendwann sangen alle mit.

Ich bekam Kopfweh und langsam wurde mir etwas schwummrig. Ich konnte noch die Stimme von letztem Mal, eindeutig Hugos Stimme hören, bevor alles um mich herum schwarz wurde.


Veröffentlicht am 09. November 2017

Hallo Leute, langsam aber sicher geht es auf das Ende meiner Geschichte zu. Gerne könnt Ihr mir in den Kommentaren euer Wunschende sagen und/oder mich einfach wissen lassen, was ihr denkt wie es weiter geht :)

Eure Dreamers_diary

Club der roten Bänder FFWhere stories live. Discover now