Kapitel 21

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Erstaunt sah ich Vera an. 

"Wurdest du wieder wie vorher?", fragte ich nach.

"Nein, ich habe meine Narben behalten. Keine sichtbaren wie du, aber innerliche. Ich habe aber durch Joseph meinen Weg gefunden, um mit dem Erlebten umzugehen. Ich denke nur das bei dir jeder mit dir reden will, aber es keiner wirklich versteht. Zoe wird es verstehen. Sie weiß, was passiert ist. Sie musste es selbst durchleben, aber sie hat ihre eigenen Narben, die sie überwinden muss. Deswegen biete ich dir an immer zu mir kommen zu können. Du kannst immer mit mir reden. Ich verstehe dich."

Ich nickte und nahm einen Schluck aus der Tasse. Betreten schaute ich auf die Tasse in meinen Händen.

"Du musst nicht direkt etwas erzählen. Wir können hier auch einfach sitzen und Tee trinken und über andere Sachen reden", meinte Vera freundlich.

"Es ist nicht so, das ich nicht reden will. Ich weiß nur nicht wo ich anfangen soll. Ich kann nicht in der Dunkelheit sein, weil ich dann panische Angst bekomme, das Theo gleich auftauchen könnte, um mich wieder zu foltern. Und ich ertrage keine langen Berührungen, noch nicht mal von meinem eigenen Gefährten. Egal wie oft ich mich wasche, ich fühle mich dreckig und benutzt. Ich weiß alle nehmen Rücksicht auf mich, aber im Endeffekt muss ich wieder die starke Luna von früher werden und ich weiß nicht wie ich das wieder schaffen soll. Ich ertrage ja nicht mal eine Umarmung von meinem Gefährten, wie soll ich dann eine starke Luna für mein Rudel werden, die sie in den Kampf führen könnte."

"Ich verstehe dich, aber glaub mir du wirst wieder stark sein und du bist eine fantastische Luna!"

"Ja, aber was ist mit meinem Sohn? Ich muss doch eine gute Mutter für ihn sein? Wie soll ich ihn vor Monstern unterm Bett und in der Dunkelheit beschützen, wenn ich selbst Angst vor diesen Monstern habe?"

"Dann schaut ihr gemeinsam unter dem Bett nach und nehmt euch gemeinsam selbst die Angst. Allein, das du dir Sorgen machst, du könntest keine gute Mutter sein, zeigt schon, das du eine gute Mutter werden wirst. Nur schlechte Eltern sind immer von sich und dem was sie tun zu hundert Prozent überzeugt."

Dankbar lächelnd sah ich die ältere Dame mir gegenüber an. 

"Komm einfach vorbei, wenn du reden willst. Ich bin immer für dich da", erklärte Vera mir liebevoll.

Wir saßen noch eine Weile so zusammen in ihrem Wohnzimmer und tranken Tee. Ich sprach über meine Ängste. Das ich eine schlechte Mutter sein würde, eine schlechte Gefährtin für Flynn und eine schlechte Luna für das Rudel. Aber Vera ließ mich solche Gedanken nicht weiter verfolgen. Sie war von meinen Fähigkeiten in all den drei Kategorien mehr als überzeugt und verlangte von mir nicht alles so pessimistisch zu sehen. Ich würde das alles schon gut hinbekommen, meinte sie.

Plötzlich klopfte es vorsichtig an die Tür. Der Wachmann, der Vera und mich verfolgt hatte, schob seinen Kopf durch die Tür.

"Luna? Der Alpha möchte das Sie nach Hause kommen", flüsterte er schnell vor sich hin.

Nickend stand ich auf. Ich hätte Vera gerne zum Abschied umarmt, aber dafür war sie mir noch zu fremd. Ich bedankte mich bei ihr und versprach sie bald wieder zu besuchen. Dann verließ ich zusammen mit dem Wachmann ihr Haus.

Der Weg von Veras zu Flynn und meinem Haus verlief schweigend. Der Wachmann lief mit einem Schritt abstand hinter mir her. Dabei starrte er in die unterschiedlichsten Richtungen als würde er nur auf einen Angriff warten.

"Wenn Rouges bis hier her ins Herz unseren Territoriums vordringen konnten, dann wirst auch du sie nicht mehr aufhalten können mich zu töten. Niemand kommt auch nur zehn Meter über unsere Grenzen ohne entdeckt zu weder", versuchte ich den Wachmann zu beruhigen.

"So etwas dürfen Sie nicht einmal denken. Sie sind unsere Luna und tragen den zukünftigen Alpha in sich", schnaubte der Wachmann, der sich anscheinend in seiner Ehre beleidigt fühlte.

"Bitte sag du zu mir", erklärte ich freundlich, "Wie heißt du?"

"Ricardo", antwortete er.

"Bist du jetzt nur für mich abgestellt worden?"

"Ja, ich soll Sie - dich überallhin begleiten. Der Alpha möchte dich nicht noch einmal wegen einer kleinen Unachtsamkeit verlieren."

"Dann werden wir wohl noch viel Zeit miteinander verbringen", stellte ich ernüchternd fest.

Ricardo war ungefähr in meinem Alter wahrscheinlich ein bisschen älter. Er hatte schwarze längere Haare, die ihm fast gewellt auf die Schultern fielen. Er trug ein Holzfällerhemd und darunter ein Tanktop. Aber sogar dieses eigentlich weite Hemd, zeigte deutlich seine trainierten Armmuskeln. Sogar für einen Werwolf war er schon fast zu trainiert! Ich wusste genau wieso Flynn Ricardo als meinen Beschützer auserkoren hatte. Niemand würde es sich so schnell trauen diesen Muskelprotz auch nur schief anzusehen.

"Danke, das du mich nach Hause gebracht hast", sagte ich zu Ricardo, bevor ich ins Haus ging. 

Drinnen fand ich schon Flynn gemütlich auf der Couch liegend und ein Buch lesend vor.

"Und wie wars bei Vera?", wollte er sofort wissen und legte das Buch beiseite.

"Es tat gut mal über alles zu reden, mit jemandem, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Es hat ein bisschen geholfen."

"Das freut mich zu hören!"

"Ich denke, ich werde öfter zu ihr gehen. Sie gibt mir das Gefühl nicht mehr alleine mit meinen Problemen zu sein."

Flynn runzelte die Stirn und sah mich verwirrt an.

"Aber du bist doch nicht alleine. Wir sind doch alle für dich da. Maya, Zoe, Robert, ich und das ganze Rudel steht hinter dir."

"Ja, schon aber außer Zoe kann niemand wirklich meine Gefühle nachvollziehen. Niemand weiß wie ich mich fühle und wieso ich so handle, wie ich eben handle. Und Zoe muss gegen ihre eigenen Dämonen kämpfen. Aber Vera - Vera hat fast das selbe durchgemacht und einen Weg gefunden, das alles wieder gut wird. Das sie selbst wieder stark wird. Sie ist mir einfach eine größere Hilfe als ihr anderen", versuchte ich Flynn so gut es ging zu erklären.

"Na gut. Was immer dir hilft, soll mir recht sein", meinte er nur, "Lass uns schlafen gehen."

Ich nickte und folgte ihm ins Schlafzimmer. Wir machten uns beide fertig und legten uns hin. Normalerweise hätten wir jetzt gekuschelt, aber das ging ja nun nicht mehr. Trotzdem drehte Flynn sich ganz langsam und zaghaft zu mir um und legte behutsam seinen Arm über meine Seite. Man könnte sagen wir lagen in Löffelchenstellung nur mit 15 Zentimetern Abstand zwischen uns.  

Second chanceWhere stories live. Discover now