Kapitel 20

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"No roots" von Alice Merton

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"Wir wollen keine neue Luna und auch keinen anderen Alpha. Wir lieben euch und schon alleine das ihr uns dem euch unterstellten Rudel die Entscheidung überlasst, ob wir euch weiterhin als unsere Anführer wollen, zeigt eure Stärke und lässt uns noch weniger an euch zweifeln. Wir vertrauen auf unseren Alpha Flynn und seine Luna Lia!", erklärte der Mann sachlich. Ein breites Grinsen bildete sich auf dem Gesicht meines Gefährten. Wir hatten den Rückhalt unseres Rudels!

"Na dann erkläre ich diese Versammlung für beendet!", rief Flynn glücklich aus.

"Moment!", brüllte Maya einmal sehr ladylike durch den gesamten Raum. Grinsend kam sie auf Flynn und mich mit einer großen Box zu.

Verwirrt sahen alle sie an.

"Gestern waren Lia, Zoe und ich bei der Rudelärztin. Dem Kind von unserm Alpha und unserer Luna geht es sehr gut. Es ist kerngesund. Wir haben gestern auch erfahren, was für ein Geschlecht das Kind hat. Und damit wollten wir den Alpha jetzt überraschen, da er gestern leider verhindert war."

Lautes Pfeifen und Gejohle erfüllte den Raum. Mit weit aufgerissenen Augen sah Flynn mich an. Sein Blick sagte mir das wir darüber später wahrscheinlich noch mal reden mussten. Er hasste Überraschungen und vor allen Dingen, wenn diese ihn vielleicht noch schwach oder auch nur weich wirken lassen konnten. Ich zuckte nur mit den Schultern.

Zwei Rudelmitglieder trugen einen großen Tisch vor Flynn und mich. Lächelnd stellte Maya die Box auf den Tisch und winkte uns heran. 

"Na los!", ermutigte sie Flynn, der schon die Hände am Deckel der Box hatte. Mit einem Knurren wies er sie zurecht. Sofort machte Maya einen Schritt nach hinten und zeigte ihre Kehle als Zeichen ihrer Unterwürfigkeit.

Mit Schwung machte Flynn die Box auf. Überall flog blaues Lametta hin und ein blauer Ballon auf dem dick fett "BOY" stand, stieg aus der Box empor. Lautes Freudengebrüll erfüllte den Raum. Das gesamte Rudel war am durchdrehen, nachdem es erfahren hatte, das der nächste Alpha in mir heranwuchs. Flynn dagegen war ganz still und starrte einfach diesen Ballon an. Ich wusste nicht was los war und sah ihn einfach nur an, in der Hoffnung noch irgendeine Reaktion von ihm zu erhalten. Auch das Rudel hatte mittlerweile die Ruhe seines Alphas mitbekommen und alle sahen ihn leicht verwirrt an. Dann ganz plötzlich als keiner es mehr erwartet hatte, drehte Flynn sich ruckartig um und schloss mich in eine feste Umarmung. Ich spürte eine warme Flüssigkeit, die an meinem Hals herab lief. Mein großer, starker Gefährte weinte wegen seines Kindes. Weil sein Kind ein gesunder Sohn sein würde. Sein Nachfolger.

Als die Werwölfe den salzigen Geruch von Tränen erhaschten und begriffen, das ihr Alpha gerade vor Freude weinte, brach die Hölle los. Es entstand eine spontane Party. Sektkorken knallten und es wurde gefeiert. Der Fortbestand des Darkshadow Rudels war gesichert.

Es war mir ganz recht, das alle anfingen zu feiern, denn so bekam fast niemand mit, das ich meinen Gefährten fast schon von mir wegschubste, weil ich die Nähe und die Umarmung nicht mehr ertragen konnte. Das Rudel wusste zwar, das es mir nicht gut ging, aber sie wussten weder etwas von der Vergewaltigung noch vor meinen Problemen mit Berührungen und der Dunkelheit. Wenn es nach mir ginge, dann würden sie das auch niemals erfahren.

Aber es gab natürlich trotzdem ein paar die es sahen. Eine davon war eine der Rudelältesten. Vera war 89 Jahre alt und man sollte ihr auf keinen Fall in die Quere kommen. Sie war eine von den älteren Damen, die lieb und nett sein konnten, aber wenn es um ihre Liebsten oder ihre Familie ging, würde sie dich eigenhändig erdrosseln.

Entschlossen kam Vera auf mich zu.

"Was hat dieses Monster mit dir nur gemacht, Luna?", fragte sie und tätschelte mir dabei die Wange. Ganz leicht zuckte ich bei der Berührung zusammen, was nur eine Bestätigung für Vera zu sein schien.

"Wusste ich es doch!", nuschelte die alte Dame, "Komm mein Kind. Wir trinken einen Tee zusammen."

Ich schaute noch kurz zu Flynn, der uns beobachtet hatte. Ein knappes Nicken von ihm reichte mir und ich folge Vera aus dem Gemeinschaftshaus zu ihrem kleinen Haus. Ich wusste das eine Wach uns heimlich folgte. Ich wusste nicht ob einfach so oder weil sie von Flynn beauftragt wurde, aber es war mir auch egal. Es war ein Gefühl von Sicherheit.

Vera führte mich in ihr kleines süßes Häuschen und zwang mich, mich hinzusetzen. Neugierig sah ich mich im Wohnzimmer um, während Vera in der Küche Tee aufsetzte. Es war ein gemütliches Wohnzimmer. In Regalen an der Wand standen unzählige Bücher. Ein paar davon waren etwas eingestaubt. Es standen kleine Dekofigürchen herum und überall hingen oder standen Fotos von Familienmitgliedern. 

Vera riss mich aus meinen Gedanken, als sie vor mir eine dampfende Tasse Pfefferminztee abstellte.

"Theo hat dich vergewaltigt nicht wahr?", fragte Vera unverblümt nach. Niemand hatte es bisher so knallhart nachgefragt, abgesehen von Flynn.

Ich schaute nach unten auf die Tasse in meinen Händen und nickte. Meine Finger fingen wieder an zu zittern und ich stellte die Tasse auf dem Wohnzimmertisch ab.

"Ich weiß es ist schwer darüber zu reden. Du fühlst dich generell schon so dreckig und hilflos. Flynn dreht wahrscheinlich jedes Mal durch, wenn es zu dem Thema kommt, aber ich sage dir du musst darüber reden, ansonsten wird es nur schlimmer mit deinen Ängsten und deiner Panik."

Ich sah sie skeptisch an. Woher sollte sie wissen, was das beste für mich war?

"Ich wurde vor vielen, vielen Jahren auch vergewaltigt. Ich war damals gerade sechzehn geworden. Mein Vater war sehr streng und um auch einmal frei zu sein, versteckte ich oft in den Wäldern außerhalb des Territoriums. Eines Tages traf ich dort auf einen Rouge. Er fand mich wohl hübsch oder so etwas und er vergewaltigte mich. Nachdem er fertig war hat er mich dort liegen lassen. Einfach im Wald. Ich lag zwei Tage einfach dort und wollte sterben. Meine Eltern waren in der Zeit krank vor Sorge und suchten überall nach mir. Als sie mich fanden war ich, wie du, nur noch eine Hülle meiner Selbst. Ich roch noch nach dem Rouge. Mein Vater machte jagt auf ihn und bekam seine Rache. Aber mir wurde damit nie geholfen. Ich durfte nie darüber reden, was mir passiert war, denn über so etwas sprach man zu meiner Zeit einfach nicht. Erst als ich Jahre später meinen Gefährten Joseph gefunden habe und mich nicht von ihm berühren lassen konnte ohne Panik zu bekommen, fing ich an darüber zu reden, was mir passiert war. Und in Joseph hatte ich meinen perfekten Zuhörer gefunden. Durch das Reden wurde es einfacher und irgendwann ging es mir wieder gut."

Second chanceDär berättelser lever. Upptäck nu