f o u r t y o n e

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Das Gesprochene hallte immer wieder in meinem Kopf wieder.

,,Wenn wir dir so unwichtig sind, kannst du ja sicher auch eine Zeit lang ohne uns auskommen."

Konnte ich nicht, das glaubte ich zumindest. Sie waren meine besten Freundinnen. Wir kannten uns schon so lange. Ich hatte doch extra mit ihnen gesprochen, und sie hatten mir bestätigt, dass sie kein Problem damit haben würden. Und sie hatten es doch. Obwohl sie mir versprochen hatten, dass sie zu mir halten würden.

Ich war wie in Trance. Ich hatte keine Ahnung wohin mit mir. Ich war wie betäubt, nahm wie automatisch den Weg zur U-Bahn. Stieg in die Central Line um, fuhr bis zum Ende und stieg dann in die Northe3rn Line um. Nach ein paar Stationen wechselte ich in die Victoria Line, und so ging es weiter. Ich stieg einfach irgendwo ein, achtete weder auf Linien noch auf Haltestellen und hatte am Ende absolut keine Ahnung mehr, wo ich überhaupt war. Es könnte die District Line sein, sicher war ich mir aber nicht. Ich kam langsam wieder zu mir. Ich hatte jetzt bestimmt schon eine Stunde mit U-Bahn fahren verbracht. Mein Blick wanderte über die anderen Fahrgäste hier. Gegenüber von mir saß ein Punker, schwarze Nietenschuhe, eine zerfetzte Hose und ein ähnlich aussehendes Shirt. Er hatte eine grüne Igelfrisur und viel Metall im Gesicht. Und er starrte mich an und sah zudem nicht sonderlich erfreut dabei aus, deshalb wandte ich schnell meinen Blick zu der nächsten Person, einer Dame um die Sechzig, die mich kritisch musterte, weshalb mein Blick auch bei ihr nicht lange hängenblieb.

Ich betrachtete einen Jungen um die Zwanzig, ganz in schwarz gekleidet. schwarze Turnschuhe, eine fast-schwarze Jogginghose und ein schwarzes Funktionshirt. Braune Haare, eigentlich recht unauffällig. Breites Lächeln im Gesicht. Erst als ich sein Gesicht im Ganzen betrachtete, bekam ich einen gewaltigen Schreck. Es war Florian. Verdammte Scheiße.

Das Grinsen war ein wenig unheimlich. Ich sprang auf und fing an, langsam los zu gehen. Bei der nächsten Haltestation würde ich einfach aussteigen, wie immer. Das dauerte aber noch zwei oder drei Minuten, und sein abartiges Grinsen trug nicht dazu bei, mich zu beruhigen.

Als ich einen Blick hinter mich warf, stellte ich erschrocken fest, dass Florian auch aufgestanden war und kaum drei Meter hinter mich langsam in meine Richtung ging. Ich beschleunigte meinen Schritt. Er auch. Ich wurde langsam immer schneller, das Ende des Zuges war schon in Sicht. Wo waren wir, und wann zur Hölle würden wir endlich die Bahnhaltestelle erreichen?! Langsam geriet ich in Panik. Ich stand kurz vor der Tür, die ins Führerhäuschen der U bahn führte und Florian war fünf Meter hinter mir. Was machte er überhaupt hier?

Vier Meter.

Wie hatte er mich finden können?

Drei Meter.

Was wollte er von mir?

Zwei Meter.

Würde ich flüchten können?

Ein Meter.

,,Nächste Haltestelle: Earl's Court."

Dieser Satz war wie eine Erlösung für mich. In ein paar Sekunden würden sich die Türen öffnen. Einziges Problem: ich musste noch an Florian vorbei.

Ich war in die Enge getrieben, ausweglos. An der letzten Waggontür war ich vorbei, vor mir befanden sich nur noch eine Sitzreihe und die Tür zum Führerhäuschen. Jetzt oder nie, sagte ich mir, dann preschte ich vor, versuchte, mit einem Karatetritt Florians Bein wegzutreten (was mir leider nicht gelang, er strauchelte nur) und hechtete an ihm vorbei auf die sich gerade öffnende Tür zu. Ich fiel fast über das Bein eines Mannes, der grade hatte einsteigen wollte, aber das hinderte mich nicht daran, weiterzusprinten. Ich hoffte, nein, ich betete schon fast, dass ich schnell genug sein würde um nicht von ihm eingeholt zu werden. Ich geriet langsam ein wenig außer Atem, aber das hielt mich nicht davon ab, die Treppen hinauf zur Straße emporzurasen und dann fast von einem Bus überfahren zu werden. Dem lautstark hupenden Busfahrer schenkte ich keinerlei Beachtung, sondern sprintete einfach weiter. Ich hatte ein Problem, ich war nämlich noch ein gutes Stück von meinem zuhause entfernt und musste irgendwie hinkommen. Hektisch nach einer Busstation suchend drehte ich mich im Kreis und stellte überrascht fest, dass Florian nirgendwo zu sehen war. Egal, vermutlich übersah ich ihn einfach nur. Was ich nicht übersah, war die Busstation, die sich nicht weit von mir befand und auf der grade ein Bus, der in eine einigermaßen richtige Richtung fuhr, hielt. Ich hetzte also dorthin, quetschte mich in den Bus und fuhr zwischen den anderen Fahrgästen eingequetscht los.

Seltsamerweise fühlte ich mich einigermaßen sicher hier. Ob es daran lag, dass ich quasi von einem menschlichen Schutzschild umgeben war oder daran, dass ich Florian seit meiner überstürzten Flucht aus der U-Bahn nicht mehr gesehen hatte, wusste ich nicht. Ich jedenfalls blieb ich im Bus sitzen, bis dieser wieder meinen Erwartungen tatsächlich direkt am Trafalgar Square hielt.

Misstrauisch um mich blickend stieg ich aus und ging zügig auf das Haus in dem ich lebte zu. Den Blick auf den Boden gerichtet hatte ich keine Lust, die Treppen z nehmen und stieg in den Aufzug. Ich blickte nicht nach oben zu dem anderen Fahrgast, von dem ich nur schwarze Turnschuhe und eine gleichfarbige Jogginghose erkenne konnte und drückte die Nummer für mein Stockwerk.

Moment mal. Schwarze Turnschuhe, schwarze Jogginghose.

Florian.

Die Erkenntnis traf mich, als ich nach oben blickte und plötzlich eine grinsende Fratze vor mir hatte.

Verdammt, das hatte er geschickt gemacht, das musste man ihm schon lassen. vermutlich war er gar nicht aus der U-Bahn ausgestiegen und dann ein paar Stationen weitergefahren, um mir jetzt seelenruhig und Mutterseelenallein in einem geschlossenen Aufzug gegenüber zu stehen, aus dem ich nicht entkommen konnte. Aber da war ein Fehler, ein Fehler in seinem Plan. Er wusste nicht, dass ich Schattenspringen konnte. Das war meine Geheimwaffe, und die musste ich mir unbedingt bis zum Schluss aufheben. Aber es gab noch eine Schwachstelle. Der Aufzug würde fahren, und im dritten Stock, in den ich musste, würden sich die Türen öffnen und ich wäre schneller Weg, als er Piep sagen konnte.

Aber anscheinend hatte ich auch nicht alles bedacht. Mit einem diabolischen Grinsen im widerwärtigen Gesicht hob er seine Hände in die Luft und schien sich kurz zu konzentrieren. Ich hörte es zischen und blubbern, dann kam der Aufzug langsam zum Stehen. Etwas kaltes berührte meinen Kopf. Wasser. Unwillkürlich fragte ich mich, was ich wohl sehen würde, wenn ich oben über dem Aufzug schweben würde. Wasser? Mit großer Sicherheit. Aber in welcher Form?

Das wusste ich absolut nicht, und ehrlich gesagt gab es in diesem Moment auch wichtigere Dinge, um die ich mich kümmern musste. Der gefährliche Mann vor mir zum Beispiel, der jetzt langsam seinen Mund öffnete und genüsslich ,,Hallo, Zoe." sagte. Aus irgendeinem Grund ärgerte es mich, dass er es sich herausnahm, mich mit meinem Vornamen anzusprechen. Ich wollte das nicht.

,,Ich hoffe dir ist klar Zoe, dass du nicht so unbeschadet aus diesem Aufzug hinaustreten wirst, wie du hineingegangen bist."

Die Schattentänzerin | AbgebrochenWhere stories live. Discover now