e l e v e n

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Am nächsten Tag wachte ich gegen sieben Uhr davon auf, dass mich eine Krankenschwester an der Schulter rüttelte.

,,Was 'n los?", fragte ich vollkommen überrumpelt.

,,Morgen-Check.", brummte sie, ebenfalls schlechtgelaunt.

Ich warf mich nach hinten in meine Kissen zurück und stöhnte laut. ,,Warum so früh?", fragte ich weinerlich.

,,Wir wollen nicht, dass du über Nacht stirbst. So, einmal tief einatmen."

Sie hielt mir ein Stethoskop auf die Brust und ich tat wie geheißen.

Sie warf noch einen kurzen Blick auf den Monitor und fragte mich: ,,Irgendwas schlechtes geträumt? In der Nacht geht deine Herzfrequenz einmal schlagartig in die Höhe."

Ich dachte kurz nach und sagte dann nachdenklich: ,,Ja, glaube schon."

Tatsächlich erinnerte ich mich dunkel daran, etwas über den Entführer, Isaac hieß er glaub ich, geträumt zu haben.

Ich hatte von der Dunkelheit geträumt, von dem Schmerz, der mich überfallen hatte.

Bei dem Gedanken daran schüttelte ich mich. Es war als ob mein Geist dieses Erlebnis loswerden wollen würde.

Durchaus verständlich, aber leider unmöglich. Was passiert war, war passiert.

Und daran ließ sich, so bedauerlich es auch war, nichts ändern.

Vollkommen in Gedanken versunken, hatte ich nicht mitbekommen, wie die Krankenschwester gegangen war.

Dafür klopfte es jetzt an meiner Tür, und eigentlich wollte ich aufstehen, um zu öffnen, stellte dann aber fest, dass es zu wehtat, aufzustehen.

Also rief ich laut ,,Herein!" und Rose betrat den Raum.

,,Hey! Du siehst aber gar nicht gut aus. Was hast du nur gemacht?"

,,Ich hab's dir doch am Telefon erzählt. Hast du irgendwas über die 'Shadows' rausgefunden?"

,,Es scheint wohl ein sehr geheimer Geheimbund zu sein. Sie haben zwar eine Website, aber da steht fast nichts drauf. Aber dafür steht da, wer ihr Anführer ist:

Lord Dustin Stone. Der Typ ist leider genauso undurchsichtig wie seine seltsame Gemeinde, über ihn gibt es auch nichts im Netz."

,,Oh, gleich ein Lord. Was genau schreiben die denn über sich?"

,,Mhh, nicht so viel. Aber das, was da steht, ist ziemlich eindeutig. Sie denken alle, sie hätten übernatürliche Kräfte -"

,,oder sie haben wirklich welche"

,,-jedenfalls sind sie ziemlich komisch."

,,Puuuuhhh. Soll ich dir die zehn Pfund Strafgeld geben? Immerhin ist es meine Schuld, dass du Schwarzfahren musstest."

,,Nein! Um Himmels willen, es sind doch nur zehn Pfund. Außerdem kannst du doch nichts dafür, wenn wir von so einem Typen angegriffen werden."

,,Ich hätte es wissen können. Ich hätte jemanden fragen können, Florian zum Beispiel. Es ist meine Schuld. Wenn dir was passiert wäre ..."

Ich schlug mir die Hände vors Gesicht und raufte mir die Haare.

,,Ja, aber es ist nichts passiert. Und jetzt hör auf, dir Vorwürfe über Dinge zu machen, die nie passiert sind. Es ist nichts passiert, mir jedenfalls nicht. Und damit kommen wir zum eigentlichen Thema: es geht die ganz offensichtlich ziemlich scheiße. Sagen wir mal so: erstens hast du, wie ich vermute, starke Schmerzen. Das willst du aber auf keinen Fall zeigen oder zugeben, weil du es als unglaublich demütigend empfindest, so hilflos zu sein. Außerdem bist du echt wütend auf Florian, weil er dich enttäuscht hat, als du seine Hilfe gebraucht hast. Stimmt's?"

Natürlich stimmte es. Wie fast immer, schaffte es Rose, mich anzusehen und nicht nur meine starke Fassade zu sehen, sondern auch das, was dahinter kaputtgegangen war.

Ich seufzte laut und vernehmlich, dann starrte ich auf meine Bettdecke.

Nach kurzem Schweigen stand Rose auf, schleifte ihren offensichtlich ziemlich schweren Rucksack zum Bett und hievte ihn hinauf. Dabei wuchtete sie den Rucksack versehentlich halb auf meinen Bauch, und ich sog scharf die Luft ein.

Sie hatte es natürlich gehört , und sah mich stumm an.

Wortlos und hastig schob ich den Rucksack runter, und er war echt verdammt schwer.

Ich rieb mir unauffällig den Bauch, und hielt inne, als ich einen Verband spürte.

Ich schlug die Bettdecke zurück und hob mein Shirt hoch, deshalb erhaschte ich einen Blick auf einen dicken und schneeweißen Verband der um meinen Bauch gewickelt war.

,,Oh fuck. Ich dachte, ich hätte das mit der OP nur geträumt."

Rose wurde hellhörig.

,,Was denn für eine OP?"

,,Ich glaube, ich wurde operiert und bin bei der OP irgendwie wach geworden. Aber nicht so richtig, ich konnte mich keinen einzigen Zentimeter rühren, aber ich hab gespürt, wie die an mir rumgeschnippelt haben. Es tat echt verdammt weh. Man kann das gar nicht beschreiben. Aber ich konnte ja nichts dagegen tun, wie auch, wenn man nicht mal seinen kleinen Zeh rühren kann."

Meine Stimme war gekippt, klang jetzt irgendwie verzweifelt und verbittert.

,,Ja, und dann?", fragte Rose, weil meine Erzählung einfach mittendrin aufgehört hatte.

,,Ich hab gefiept, sie haben die Narkose verstärkt und ich bin aufgewacht.", verkürzte ich die Geschichte.

,,Und Florian?"

Rose wusste genau, dass ich nicht log. Niemals.

Lügen waren falsch. Sie zerstörten Leben.

Konnte ich aus eigener Erfahrung bestätigen.

,,Der war da, als ich aufgewacht bin. Wie du dir sicher denken kannst, war ich nicht so besonders erfreut darüber. Hab ihm gesagt, er soll sich verpissen. Hat er erstaunlicherweise auch gemacht, aber er hat gesagt, dass er heute wiederkommt. Apropos: Wo ist 'n der?"

,,Weiß ich doch nicht. Ich kenn den ja nicht mal. Scheint mir aber ein ziemliches Arschloch zu sein."

,,Kann ich so eigentlich bestätigen. Wobei, zwischendrin war er so nett ..."

,,Nein. Das hast du nicht gemacht. Du hast dich nicht in ihn verliebt.", rügte sie mich ungläubig.

,,Nein, hab ich tatsächlich nicht. Du darfst dich übrigens gerne wieder setzen."

Rose war bei diesen Worten aufgesprungen, aber sie ließ sich wieder aufs Bett fallen.

Auf einmal war mir irgendwie nach heulen zumute.

Ich weinte zwar nicht, aber zum Ausgleich begann ich, herumzujammern.

,,Weißt du, Rosie, das ist alles so schrecklich! Mein Leben ist vollkommen aus dem Ruder gelaufen, aber ich wollte das gar nicht! Früher hab ich mir immer ein Abenteuer gewünscht, aber heute?

Heute hätte ich lieber ein genauso ruhiges Leben wie damals!"

Gott, ich mutierte ja zu einem waschechten Jammerlappen. Dabei konnte ich diese Menschen eigentlich so gar nicht ab.

,,Ach komm, hör schon auf zu jammern. Es hätte dich auch schlimmer erwi-"

Und an dieser Stelle unterbrach sie sich selbst, vermutlich weil ihr aufgefallen war, dass es mich wohl kaum schlimmer erwischen konnte.

Ich meine, guckt euch mich doch mal an!

Ich liege im Krankenhaus, ans Bett gefesselt, und bin gerade mal so in der Lage, aufs Klo und Duschen zu gehen.

Und dann war da noch dieser Typ, von dem ich dachte, dass er mir helfen würde.

Was er natürlich nicht gemacht hatte.

Hrmpf.

Mann, konnte ich nicht einfach die Zeit zurückdrehen?

Obwohl, das hätte mir ja noch weniger gebracht. Dann hätte ich nämlich das alles hier nochmal erleben müssen.

Und einmal reichte, definitiv.


Die Schattentänzerin | AbgebrochenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt