t h i r t y f i v e

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Einen Schokomuffin später stand ich wieder draußen auf der Straße. In der Bäckerei war es angenehm warm gewesen, dafür war es hier draußen jetzt umso kälter. Aber es half ja nichts, ich konnte ja schlecht hier draußen auf der Straße übernachten. Also: Heimweg suchen. Na ja, fast zumindest. Eben in der Bäckerei hatte ich bei Muffin und Kaffe darüber nachgedacht, dass ich, wenn ich schon so viel Zeit in dieser Parallelwelt verbringen würde, wenigstens nichts vor den anderen verbergen wollte. Daher hatte ich mir vorgenommen, Chris noch heute davon zu erzählen, dass ich Schattenspringen konnte. Nach dem Motto: Wenn schon, denn schon.

Bis ich mich dann endlich wieder zu dem großen Büroturm durchgefragt hatte, war schon einige Zeit vergangen und der Abend angebrochen. Ich rieb mir fröstelnd die Hände, dann drückte ich die Eingangstür auf und trat ins Treppenhaus. Mit dem Aufzug fuhr ich zu Chris' Büro, und als ich oben ausstieg erwartete mich Dunkelheit, bis der Bewegungsmelder mich registrierte und eine Glühbirne aufleuchtete. Ich ging auf die Tür zu und drückte, ohne große Erwartungen den Griff herunter. Sie sprang auf, was mich sehr wunderte. Ich hatte eigentlich nur probiert, sie Tür normal zu öffnen anstatt zu klingeln, damit Scarlett nichts von meinem Besuch mitbekam, falls sie gerade hier arbeitete. Aber gut, wenn es auch so klappte, konnte ich mich glücklich schätzen. Als ich auf leisen Sohlen den Flur entlangging, entdeckte ich etwas seltsames. Am Empfangstresen saß niemand. Das war ziemlich seltsam, doch bevor ich mich weiter damit befassen konnte, hörte ich zwei gedämpfte, aber trotzdem laute Stimmen aus einem der Nebenräume. Es waren ein Junge und ein Mädchen, die sich gerade, offenbar im Streit gegenseitig anschrien.

,,Nein, das geht nicht! Sie ist es nicht, Asher! Versteh es doch endlich!"

,,Meine Güte, ich hätte nie gedacht, dass du so dumm bist! Natürlich ist sie es! Alles deutet darauf hin!"

,,Ach ja? Was denn bitte?"

,,Das verdammte fliegen, die Sache im Hyde Park, der Vorfall mit Allington auf dem Dach. Und ich hab sie beobachte, mir ihre Geschichten angehört."

Mir wurde eiskalt und meine Hände begannen zu schwitzen. Fliegen? Hyde Park? Die ,,Sache" auf dem Dach? Was zur Hölle?! Sie meinten doch nicht etwa mich?!

Der Typ, dessen Stimme mir nur ein bisschen bekannt vorkam, sprach jetzt eindringlich auf das Mädchen ein.

,,Sie ist es, Anderson. Ich bin mir hundertprozentig sicher."

Anderson.

Das Wort war wie ein Schlag in die Magengrube. Dort drinnen saß also Scarlett und diskutierte mit irgendeinem Typen, womöglich sogar über mich.

Na, vielen Dank.

Ich schnaubte einmal vor Wut und Enttäuschung, dann ballte ich zornig meine Fäuste. Konnte man denn niemandem hier vertrauen? Wahrscheinlich hatte man mich Scarlett auch nur aufs Auge gedrückt, damit sie mich beobachten konnte, oder wie sollte ich mir das vorstellen?

Ich löste meinen Blick vom Boden und stellte mit Schrecken fest, dass es um mich herum düster geworden war. Also richtig düster, nicht nur ein bisschen dunkel. Das war jetzt aber doch etwas beunruhigend. Das Licht war im Flur schon vorher nicht an gewesen, und trotzdem war es nicht so finster gewesen. Das hatte aber doch nichts mit mir zu tun, oder?

Da ich einen leichten Verdacht hatte, lockerte ich meine Finger wieder, und siehe da: Es wurde wieder so hell wie vorher. Durch Schatten springen, Schatten machen, die Shadows, Schattenjäger ....

Das war mir ein bisschen sehr schattig im Moment.

Scarlett und der Namenlose Typ hatten aufgehört sich anzubrüllen, jetzt redeten sie wieder normal miteinander.

,,Das ist ja schön und gut", meinte Scarlett eindringlich, ,,aber wir wissen nicht ob sie es auch kann. Und das ist ja das entscheidende an der Sache."

,,Schau mal, Anderson. Der ganze Rest passt perfekt. Und ich glaube, dass sie es kann. Überleg doch mal, was in der Prophezeiung steht:

Der Schatten wacht über sie, ist ihr ständiger Begleiter.

Er kennt sie, so gut wie kein zweiter.

Doch bald, die Finsternis verschlingt sie geschwind

Achte, dass die Düsternis nicht Macht gewinnt

Doch manchmal nimmt das Mädchen die Überhand

Herrscht über den Gebieter im düsteren Gewand-"

Da wurde es mir dann doch zu viel. Prophezeiung? Nein, Danke. Sowas gab es in Mehr oder weniger guten Fantasyromanen, aber doch nicht in meinem Leben. Ach ja, ich vergaß. Mein Leben war ja leider zu einem dieser mittelklassigen Fantasyromane mutiert. Ich schüttelte nur leicht den Kopf und war schon den halben Flur zurückgeschlichen, als mir auffiel, dass ich es mir auch einfacher machen konnte. Also machte ich nur wenige Schritte auf eine Ecke zu, die noch düsterer war. Erschöpft blieb ich stehen, und stellte mir vor, jetzt in meinem warmen, weichen Bett in Scarletts und meinem Zimmer zu liegen. Schneller als gedacht verschlang mich die Schwärze und ich lag mitsamt Floriane und Schuhen in meinem Bett.

Ich hatte keine Kraft mehr, mich umzuziehen, deshalb schlug ich nur kurz die Decke zurück, streifte die Schuhe ab und ließ die Floriane auf den Boden fallen. M üde legte ich mich wieder hin, warf die Decke über mich und genoss die Wärme und das trügerische Gefühl von Sicherheit darunter. Aber warum fühlt man sich unter Decken eigentlich so sicher? Es ist ja nun nicht so, als würden Mörder oder Betrüger hineinspazieren und sagen: ,,Oh, da hab ich dich aber er- Mist, sie ist wieder unter der Decke." Betrüger. Ich fühlte mich von Scarlett belogen, war mir aber nicht ganz sicher. Sie mussten ja nicht über mich gesprochen haben... okay, ich belog mich selber. Die Beschreibung passte gut auf mich. Leider sehr gut. Ich beschloss, vorerst doch keinem hier zu erzählen, dass ich Schattenspringen konnte. Ganz dumm war ich dann ja doch wieder nicht. Aber was sollte ich tun, wenn Scarlett wiederkommen würde? Einfach so tun, als hätte ich die se Dinge eben nie gehört? oder sie diekt darauf ansprechen nd fragen, was der Scheiß sollte? Nun ja, letzteres wäre vermutlich keine besonders Schlaue Variante. Also: So tun, als ob nichts wäre.

Nein, natürlich reichte es mal wieder nicht für das Schicksal oder was auch immer, dass ich übernatürliche Fähigkeiten hatte und mich gerade in einer eigentlich surrealen Stadt und achte eine "Ausbildung". Ich musste jetzt natürlich auch noch in seltsame Geschichten mit Prophezeiungen und anderen Dingen. Wobei ja immer noch nicht sicher war, ob es sich um mich handelte. Also nicht hundertprozentig sicher,. Ich glaube, ich klammerte mich an einen Strohhalm Nicht viel, aber noch ein Strohhalm.

Okay, ich überdramatisierte die ganze Sache vielleicht ein wenig.

Oder vielleicht war das alles hier auch nur ein ganz furchtbar böser Albtraum, und gleich würde ich aufwachen, dann wäre alles gut und ich würde über die bekloppten Dinge lachen, dein die mein Gehirn da zusammengesponnen hatte, während ich schlief. Sehr bekloppte Dinge. Aber darüber konnte ich morgen nachdenken. Oder einfach in der Realität wieder aufwachen, wenn der Traum vorbei war. Aber nicht heute. Nicht heir. Nicht jetzt. Ich war einfach zu müde .Ich drehte mich um, zog die zugleich schützende und wärmende Decke ein wenig enger um mich und schloss meine Augen. Eine wohltuende Schwärze umgab mich, die sich mit der Zeit in angenehmes nichts auflöste.

Die Schattentänzerin | AbgebrochenWhere stories live. Discover now