Kapitel Sechs

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"Guten Morgen." begrüße ich meine Eltern und setze mich an den Tisch. Henry sitzt neben mir und streicht mir über die Hand. Ich lächele ihn an und schaue auf das ganze Essen. Das Schloss ist sehr ruhig. Es war eine lange Nacht.
"Wo sind denn König Georg und Königin Mary Caroline?" 
"Sie machen einen Spaziergang." Mein Vater beginnt zu essen. "Esst viel. Ihr habt eine lange Reise vor euch.
Später stehe ich in meinem Zimmer und mache mich für die Reise fertig.

Stella zieht mein Kleid zurecht und hilft mir in die Schuhe. "Wir werden Euch so sehr vermissen." schluchzt sie und wischt sich mit einem Tuch über die Augen. Ihre großen braunen Augen füllen sich immer wieder mit Tränen.
"Stella. Ich werde euch immer besuchen kommen." Ich nehme sie in den Arm und gehe langsam aus der Tür.

Ich lasse mein altes Leben zurück.

Weinend gehe ich auf meine Eltern zu und umarme sie. "Sei stark, meine wundervolle Tochter." sagt Vater und drückt mich fest. Dann gibt er mir einen Kuss auf die Stirn und lässt mich los. Eine Welle von gemischten Gefühlen überkommt mich und ich schluchze.

Dann gehe ich auf Antonio zu und lege meine Arme um ihn.
"Wir werden uns wiedersehen." flüstert Antonio mir noch zu, bevor wir in die Kutsche steigen.
Winkend verlasse ich mein altes Zuhause.


Die Fahrt dauert lange. Endlose Wiesen und Dörfer rauschen an uns vorbei. Für mich bleibt die Zeit hier stehen.
Tagelang reisen wir und zwei meiner Hofdamen müssen sich auf dem Meer übergeben. Die Seekrankheit ist weit verbreitet. Henry ist froh, dass ich diese nicht habe. Müde und Aufgeregt schaue ich meiner Zukunft entgegen.

Endlich auf wieder am Boden, gehen wir auf ein Zelt zu.
Eine Hofdame erklärt mir dass dies zum Wechseln meiner Sachen da sei. "Eure Hoheit. Die Braut muss sich frisch machen, bevor es weiter geht." Sind ihre Worte. Dort stehen viele Dienerinnen, welche mich ausziehen und waschen. Das warme Wasser entspannt meine Glieder und ich werde wieder wach.
Dann wird mein altes Kleid gegen ein dunkles getauscht.
Als ich fertig bin, sehe ich mich im Spiegel und schaue irgendwie anders aus. Meine Haut ist zartrosa und mich umgibt sehr viel Tüll.

Die Königin betritt das Zelt und alle verstummen. Sie lächelt mich an und nickt. "Perfekt." lacht sie. Erfreut über ihr Kompliment gehe ich mit ihr aus dem Zelt. Ich sehe meinen Gatten vor mir und muss noch breiter lächeln. Um uns herum sind viele Menschen versammelt und schauen uns an. Sie erwarten, dass Henry mich in Fensia willkommen heißt. Schließlich ist der Hof Fensias nur deswegen hier bei uns. Über meinen ironischen Gedanken muss ich schmunzeln.

Ich mache einen Knicks und mustere meine Hände. Er verbeugt sich, ergreift meine Rechte und küsst meine Handfläche. Die Menschen klatschen und murmeln begeistert uns zu. Als wir wieder in der Kutsche sitzen, nimmt Henry wieder meine Hand in seine und streicht immer wieder darüber. Das ist beruhigend. "Ist die Prinzessin aufgeregt?" grinst er und ich lehne mich an ihn. "Mehr als das." Er nimmt mein Gesicht in seine Hände und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Schweigend vergeht die Fahrt. Wir sind doch schneller als die Zeit, die Henry mir gesagt hat. Nach einigen Stunden halten wir vor dem Schloss. Vor diesem stehen hunderte, gar tausende Menschen. Und alle warten...

"Sie sind gekommen um dich zu sehen." flüstert Henry und streicht mir über meinen Arm. Ich starre ihm in seine Augen, bis die Tür geöffnet wird und ein Diener mir hilft auszusteigen.

Langsam gehe ich durch die Menge. Alle verbeugen sich und schauen auf den Boden. Es ist so still, ich merke wie meine Ohren jedes kleinste Geräusch aufnehmen. In meiner Heimat hätten die Menschen Blumen verschenkt und wären nicht so zurückhaltend wie hier.
Henry führt mich zum Tor und winkt der Menge zu. Wir gehen durch einen Hof und dann geht er durch eine Tür und verschwindet. Ich gehe ebenfalls durch die Tür und laufe alleine weiter, da er nicht mehr aufzufinden ist. In dem Schloss überkommt mich ein überwältigendes Gefühl. Überall sind schöne Vasen aufgestellt, mit wundervoll riechenden Blumen. Henry hat gesagt, dass das Schloss nicht so lichtdurchflutend sei. Aber dennoch ist es sehr hell und ich fühle mich schon wohl.

Ich ziehe den Duft der frischen Blumen ein.
"Gefällt es Euch?"
Ich drehe mich erschrocken um und erblicke einen sehr gut aussehenden, jungen Mann. Er verbeugt sich kurz und kommt auf mich zu. Dann nimmt er meine Hand und gibt mir einen Kuss auf die Handoberfläche. "Mein Name ist Enrico." Ich schaue ihn fragend an und mustere ihn. Seine Haare sind braun, wobei seine Augen blau-grau sind. Wer ist das?

"Hallo Enrico." hinter mir kommt Henry und zieht mich beschützerisch an der Hüfte zu sich. "Du hast meine Gattin schon kenngelernt?" fragt er und schaut ihn belustigt und provozierend zugleich an. "Dies ist also die berüchtigte Prinzessin Anne? Ich habe mir sie anders vorgestellt. Lange blonde Haare, andere Augen, und naja, größer."

Henry spannt sich an und krallt seine Finger in meine Hüfte. Die andere Faust ballt sich zusammen und er presst die Lippen aufeinander. "Sie ist perfekt." knurrt er und zieht mich mit sich weg von dem geheimnisvollen Jungen. Er blickt uns nur lächelnd hinterher. Ich weiß, ich sollte ihm keine Beachtung schenken, aber irgendetwas an ihm fasziniert mich sehr. Zugleich ekel ich mich vor ihm. Es ist verwirrend.
Als wir in einem großen Schlafgemach ankommen, bleibt er stehen und dreht sich zu mir. "Er hat dir nichts getan, oder?" besorgt schaut er mich an und nimmt meine Hände sachte in seine.
"Nein, nichts, aber wer ist er?" Er atmet einmal aus und umarmt mich. "Er ist ein Herzog. Naja, das will er mal werden. Er wartet nur darauf, dass sein Vater stirbt. Und du musst sehr vorsichtig sein und vor ihm aufpassen. Er.. Er verführt gerne Frauen. Egal, ob sie verheiratet sind oder nicht. Das ist öfter vorgekommen. Also pass auf."

Ich schnappe erschrocken nach Luft und entziehe mich seiner Umarmung. "Oh, das.. das ist sehr erschreckend." flüstere ich und drehe mich um. Ich will nicht, dass Henry sieht wie erschrocken ich bin.
"Ja. Doch bis jetzt wurde noch nie etwas bewiesen, und die Damen haben sich auch noch nie beschwert. Deswegen darf er bleiben."

Ich nicke. Irgendwie macht mich der Gedanke an diese untreuen, ehrenlosen Frauen wütend. Jedoch möchte ich nicht weiter darüber nachdenken und versuche auf andere Gedanken zu kommen. "Können wir den Rest des Schlosses sehen? Unsere Sachen werden ja noch reingebracht, solange können wir uns doch noch umsehen oder?"

"Natürlich. Komm, mein Engel."
Ich fange an zu grinsen. Er hat mich Engel genannt.



Liebe PrinzessinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt