Kapitel 29

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Ich schleiche durch den dunklen Flur in Liliths Zimmer. Obwohl es mitten am Tag ist, schaffe ich es einfach nicht einzuschlafen. Ich kann die Hoffnung nicht aufgeben, das Mädchen wach vorzufinden, und doch geschieht dies schon seit einer Woche nicht.
Als Alexandra von Christophers und Auroras Hinterhältigkeit erfahren hat, hat sie die Ältesten um Haaresbreite umgebracht. Ich war es, wessen wegen sie es nicht getan hat. Miguel kann bis jetzt mein Handeln nicht nachvollziehen, doch das verlange ich auch nicht. Tatsache ist, die beiden werden bestimmt nicht an Josephines Seite treten und so müssen wir ihre Kräfte im nähernden Krieg ausnutzen.
Ich öffne die Tür und stocke. Auf dem Bett neben Lilith sitzt Miguel, hält ihre Hand und sieht sie einfach nur an.
“Komm rein.“, sagt er, ohne hochzublicken.
Ich trete ein und setzte mich auf den Boden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt.
“Du schläfst nicht.“, stelle ich leise fest.
Er lächelt leicht. “Ja... Mir ist irgendwie nicht danach.“ Er wird auf einmal nachdenklich und sieht mich an. “Hörst du das?“
Ich nicke. “Ja.“
Es sind Schritte hörbar, die sich der Villa nähern. Und leider wird die Begegnung nicht erfreulich sein.
Ich erhebe mich und gehe zur Tür. “Ich sehe nach, bleibe hier, Miguel. Außerdem schadet dir die Sonne mehr als mir.“
Der Vampir hebt misstrauisch eine Augenbraue. “Du weißt, wer das ist, nicht wahr?“
Ich schaue über die Schulter und lächele ihn an. “Du hast mich durchschaut.“
Solange ich über den Flur zur Wendeltreppe gehe, gebe ich nicht die Hoffnung auf, dass Miguel meine Anweisung befolgt. Doch ich bezweifle dies stark.
Schließlich trete ich widerstrebend aus dem Haus und gehe auf das Tor zu, auf dessen anderen Seite Angelika steht. Aber ehrlich gesagt wundert es mich, dass sie sich am Tag in das Freie gewagt hat.
Ich öffne das Tor und verlasse das Grundstück der Villa. "Was führt dich hierhin? Und seit wann traust du dich in die Sonne?"
Sie schnaubt. "Angst ist immer überwindbar. Ich muss mit dir reden, Joshua. Und nehme jetzt nicht an, dass es aus freiem Willen geschieht."
Das habe ich auch nicht angenommen. Schließlich beruht es auf Gegenseitigkeit, den anderen nicht mehr kennen zu wollen.
Ich verschränke die Arme vor der Brust. "Josephine lässt sich melden, schätze ich. Was auch immer sie möchte oder mir anzubieten hat, ich bleibe bei Alexandra."
Meine Schwester verdreht die Augen. "Immer ziehst du zuerst deine Schlüsse, anstatt einfach zuzuhören. Es hat mit dem Krieg zu tun."
Ich mustere sie prüfend. Dass die Darks nicht an dem Krieg interessiert sind, werde ich nicht glauben.
"Was gibt es denn zu dem Krieg zu sagen? Mir fallen da nicht viele Möglichkeiten ein.", werfe ich ein.
"Ich sollte dich darauf hinweisen, dass Alexandra möglicherweise nicht die Wahrheit erzählt. Und dass Lilith mit unserem Clan mehr zu tun haben könnte, als du denkst."
Ich versteife mich. "Das verstehe ich nicht ganz. Habt ihr sie geschickt? Diesen Gedanken hatte ich schon einmal. Doch wäre es so, würdest du es wahrscheinlich direkt sagen. Nun, was könnte sie also mit euch zu tun haben?"
"Hast du sie umgebracht?", wechselt meine Schwester abrupt das Thema.
Ich schüttele den Kopf. "Nein. Aber beinahe. Ich frage mich, zu welchem Zweck ihr sie braucht."
"Und ich frage mich, wie du es schaffst, hier zu leben. Dieser Lebensstil sieht dir nicht ähnlich."
Eine Weile stehen wir nur schweigend da, unter den blendenden Sonnenstrahlen.
“Joshua.“, spricht Angelika schließlich. “Wenn du Lilith beschützen möchtest, werden wir zusammen arbeiten müssen. Du musst mir vertrauen.“
Mein Blick verfinstert sich. “Nie mehr in meinem Leben werde ich dir wieder vertrauen, Angelika. Genauso wenig, wie ich mit dir zusammen arbeiten werde. Du hast mich verloren.“
Meine Schwester schnaubt wütend. “Du bist immer noch der Gleiche. Eintausend Jahre sind vergangen und du bist immer noch der Gleiche! Dann schaue doch selbst zu, wie du das Mädchen beschützt. Denn einen Krieg wird es geben, das kann ich dir garantieren.“
Sie macht auf Absatz kehrt und läuft davon, sodass ein leichter Windzug spürbar wird.
Ja, ich erkenne meine Schwester... Sie war schon immer so gewesen - ein kleiner Hitzkopf. Und dass es den Krieg geben wird, musste sie mir nicht noch deutlicher machen, denn daran habe ich nie gezweifelt. Aber ich glaube kaum, dass ich ihre Hilfe benötigen werde. Schließlich bin ich nicht mehr so schwach, wie zu den Zeiten, wo wir zusammen gejagt haben.
Ich wende mich ab und kehre zurück zum Haus. Oben an der Wendeltreppe steht Miguel. Ich habe geahnt, dass er mir folgen würde.
“Ihr scheint wunderbar miteinander auszukommen.“, stellt der Vampir ironisch fest.
Ich seufze. “Wohl wahr. Und, hat es dir etwas gebracht, unserem Gespräch zuzulauschen?“
Er schüttelt stumm den Kopf. “Warum will sie Lilith beschützen?“
“Das ist mir auch unklar.“, zucke ich nachdenklich die Schultern.
“Und warum willst du es tun? Sie, mich - warum?“
Ich laufe an ihm vorbei und dann die Stufen hinab. “Weil ich so bin. Und weil ihr unschuldig seid. Ihr verdient den Tod nicht.“
Miguel lacht leicht hinter mir. “Was bist du denn für ein Vampir mit dieser Denkweise?“
Ich lächele in mich hinein. Ja, was bin ich für ein Vampir...

In den nächsten zwei Nächten ist Miguel nicht zu finden. Auf die Jagd wäre er nicht allein gegangen, fliehen würde er Liliths wegen nicht und es dem gleichen Grund hätte er sich auch nicht auf das Territorium des Gegenclans begeben. Hoffentlich. Zugegeben, ich mache mir in dieser Zeit keine Sorgen um ihn, denn es wäre seine eigene Schuld, wenn er zu lange in der Sonne blieb.
Doch als er in der dritten Nacht zurückkehrt, bin ich, ehrlich gesagt, erleichtert.
“Wo warst du?“, interessiere ich mich und baue eine Kuppel über uns auf.
Er grinst breit. “Ich habe mit unseren Clanangehörigen gesprochen.“
Ich ziehe die Brauen zusammen und musterte ihn. “Aus welchem Grunde?“
"Er wird dir höchstwahrscheinlich nicht gefallen.“, antwortet der Vampir ausweichend und lacht nervös.
Es wird nicht besser...
“Ich werde mir gleich einen Zugang zu deinen Gedanken verschaffen.“, drohe ich ihm und verschränke die Arme vor der Brust.
Er weitet die Augen und weicht mit gehobenen Händen zurück. “Ist ja gut, ist ja gut. Ich habe nach Leuten gesucht, die unsere Meinung unterstützen.“
Überrascht hebe ich die Augenbrauen. Was hat er denn vor?
“Interessant... Was ist denn UNSERE Meinung?“
Miguel kratzt sich am Hinterkopf und tritt einen weiteren Schritt zurück.
“Sagen wir mal so...: ich habe den Vampiren deine Vorteile genannt und die Nachteile von Alexandra.“, antwortet er noch immer ausweichend.
Bedächtig nicke ich. “Aha... Und was wolltest du damit erreichen?“
Wir erreichen mein Zimmer und Miguel folgt mir hinein.
“Du solltest gegen Alexandra antreten. Weißt du, wie viele an deiner Seite stehen?! Du wärst der beste Anführer, Joshua.“
Seine Stimme wird immer lauter, sodass ich ihn anzische. “Nicht so laut. Sonst wirst du noch die Kuppel zerbrechen.“
“Sorry.“, entschuldigt er sich.
“Miguel“, fange ich ruhig die Erklärung an. “Ich möchte kein Anführer werden. Ich bin ein Einzelgänger und werde bald wieder verschwinden, sobald sich die Unruhe um Lilith stilllegt. Ich hatte es nie vor, für immer hier zu bleiben. Stehe auch der ganze Clan hinter mir, ich würde nicht gegen Alexandra antreten.“
Wortlos starrt mich der Vampir an. Er sieht... enttäuscht aus. Am Anfang seines Lebens hier habe ich ihm erzählt, man würde nie aus einem Clan aussteigen, da man als junger Einzelgänger nicht überleben kann und sich aber später schnell an die Gemeinschaft gewöhnt, weshalb das Leben außerhalb schwerfallen würde. Selbstverständlich ist er nun enttäuscht.
Ich lasse mich auf das Bett fallen und seufze. Dann höre ich, wie sich Miguel hinsetzt.
“Und was tun wir jetzt?“, fragt er.
Ich überlege. “Du könntest nach jemandem suchen, der bereit ist, gegen Alexandra anzutreten. Doch er soll wirklich unserem Clan angehören.“
Der Vampir schnaubt verächtlich. “Die sind alle zu schwach.“
“Dann weiß ich auch nicht weiter.“
Ich löse die Kuppel auf und wir schweigen einige Zeit lang, bis Miguel sich schließlich von mir verabschiedet, um Lilith zu besuchen.

Zu Hause bei den Vampiren 3Where stories live. Discover now