Kapitel 22

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Ich bin wach, noch bevor die Sonne untergegangen ist. Für gewöhnlich spricht Christopher mit Alexandra so früh, dass andere noch schlafen und ihr Gespräch nicht mitbekommen. Ich habe jedoch andere Absichten. Alexandra ist so unvorsichtig, dass sie auch bei einem wichtigen Gespräch keine Kuppel aufrichtet. Es sei denn sie ist dazu überhaupt nicht fähig oder, was auch nicht unmöglich ist, sie weiß nicht einmal von dieser Fähigkeit. Jedenfalls möchte ich die beiden Vampire aus guten Gründen belauschen. Mein Wohlergehen und der der unschuldigen Menschen ist immer ein guter Grund. Außerdem macht es das lange Leben ein wenig interessanter, zumindest etwas Unerlaubtes zu unternehmen.
So trete ich in den Flur hinaus, schleiche mich näher an Christophers Arbeitszimmer heran und verschmelze beinahe mit der Dunkelheit, während ich mich fest an die Wand drücke.
“Schönen Abend.“, sagt Christopher mit seiner ständig kalten Stimme.
“Aus welchem Grunde hast du mich gerufen?“, fragt ihn Alexandra unzufrieden.
Ich habe ihre Stimme schon seit einigen Jahrzehnten nicht mehr gehört. Und trotzdem kann man sie leicht an der aufgesetzten Freundlichkeit erkennen.
“Aus einem durchaus interessanten Grund.“, antwortet Christopher. “Dein Geretteter hat endlich etwas Sinnvolles vollbracht. Er hat ein Mädchen, ein Menschenkind, gefunden, das unserem Willen standhalten kann.“
“Das kann nicht sein.“, widerspricht die Anführerin ungläubig und fest.
“Das war auch mein erster Gedanke.“, pflichtet ihr der Älteste bei. “Ich habe angenommen, sie sei ein Vampir. Doch ich sage dir, sie ist ein Mensch.“
Die Vampirin schnaubt nachdenklich und eine Weile herrscht eine solche Stille, dass es mir in den Ohren rauscht. Aber es ist nichts, was nicht alltäglich geschieht.
“Und was ist mit Joshua?“, meldet sich Alexandra schließlich zu Wort. “Kann auch er nicht in den Geist des Mädchens eindringen?“
“Er...“, zögert Christopher nachdenklich. “Er hat sich nicht wirklich dazu geäußert. Du weißt selbst, solange es keine direkte Antwort ist, kann er die Frage umgehen und ich werde keine Lüge wahrnehmen. Und der Junge hat mir kaum einmal direkt geantwortet. Ich schätze jedoch, dass er zu diesem Können nicht fähig ist.“
“Und solange Joshua nicht selbst zu dem Mädchen spricht, werden wir es auch nicht herausfinden können. Das gefällt mir nicht.“, murmelt die Vampirin.
“Was willst du unternehmen?“, möchte der Älteste wissen.
“Miguel soll sich weiter mit ihr aufhalten.“
“Was?“, wundert sich der Vampir. “Du wirst sie nicht töten? Das Mädchen stellt Gefahr für uns dar. Warst es nicht du, die gesagt hat, wir sollen alle Gefahren beheben?“
“Christopher.“, zischt Alexandra gefährlich. “Dein Unterbewusstsein hat dich schon immer getäuscht, ist es nicht wahr? Ich habe große Zweifel daran, dass das Mädchen ein einfacher Mensch ist, und ich habe sie nicht einmal gesehen. Hast du jemals von Halbvampiren gehört? Die Brut von einem Menschen und einem Vampir. Die Meisten sterben bei oder gleich nach der Geburt. Andere überleben nicht, weil sie uns, normalen Vampiren, unterlegen sind. Wenn das Mädchen ein Halbvampir ist, kann sie jedoch zu einer guten Waffe gegen unsere Feinde werden. Wie dem auch sei, ich muss einige Nachforschungen durchführen. Und jetzt mein Befehl, das du jedem in diesem Haus einzeln mitteilst. Miguel soll sich weiterhin mit dem Mädchen abgeben. Von Diana und Maximilian soll sie überhaupt nichts wissen. Diana ist viel zu... unzuverlässig, was unser Geheimnis angeht. Genauso wie Joshua. Der Junge soll ja nicht in ihre Quere kommen. Ansonsten folgt Bestrafung höchsten Grades, und zwar durch meine eigene Hände. Das Mädchen darf nichts von Vampiren wissen und der Junge könnte einen durchaus schlechten Einfluss auf sie haben. Der Zutritt in die Villa ist ihr verboten, bis ich es nicht aufhebe. Ansonsten wird das Mädchen sterben.“
“So wird es sein.“, verspricht Christopher und es lässt sich annehmen, dass er dabei langsam nickt.
Nach einem kurzen Schweigen bemerkt er: “Dein Vertrauen zu Joshua sinkt immer mehr. Was ist die Ursache?“
“Gerüchte sind zu meinen Ohren gedrungen. Gerüchte über sein Alter und über sein Können. Wie du es schon behauptet hast, der Junge gibt nie eine direkte Antwort, und das lässt mich an seiner Ehrlichkeit stark zweifeln.“, antwortet Alexandra mit einem unzufrieden Unterton.
Ich drehe mich um und begebe mich auf mein Zimmer. Dass keiner meinen Worten Glauben schenkt, ist nichts Neues für mich. Das Überraschende war jedoch, dass Alexandra Lilith am Leben lässt. Zwar ihrer selbst zugunsten, aber was soll man noch von einer hinterhältigen Vampirin erwarten.
Eine weitere interessante Tatsache ist Lilith Vampiridentität. Kann das Mädchen wirklich ein Halbvampir sein? Wenn die Halbblüter gewöhnlichen Vampiren unterlegen sind, wie kann Lilith dann ihren Geist vor anderen schützen? Alexandra muss sich bei dieser Annahme geirrt haben. Ich habe bei dem Mädchen nichts gespürt, das auf einen Vampir hinweisen könnte. Es sei denn ich war nicht tief genug unter der Oberfläche... Ich wollte ja nicht, dass jemand erfährt, dass ihr Geist mir offensteht. Sie könnte es als plötzlichen Druck in den Ohren empfinden, die Vampire als leichte Energiewellen, die zwischen dem Mädchen und mir rauschten. Ich muss Lilith noch einmal sehen! Aber... Nein! Nun ist ihr der Zugang in die Villa verboten! Und wenn ich jetzt einfach sage, ich möchte in die Stadt, wird es verdächtig klingen. Dabei brauche ich zumindest geringes Vertrauen in meine Worte von der Seite der Ältesten und der Anführerin aus!
Dann heißt es wohl abwarten... Abwarten bis sich die nächstbeste Gelegenheit bietet...

Zu Hause bei den Vampiren 3Where stories live. Discover now