Kapitel 11

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Am Tag konnte ich nicht schlafen, wie ich das auch nicht versucht habe. Also stehe ich jetzt vor der Tür ins Zimmer, wo Miguel noch immer eingesperrt ist. Maximilian und ich hatten es nicht geschafft, Christopher ausfindig zu machen.
“Miguel?“, frage ich mit leicht unterdrückter Stimme.
Die anderen werden mich ohnehin hören, wenn ich das Gespräch nicht abschirme. Ich möchte die Kraft dazu jedoch nicht verschwenden, solange ich mir nicht sicher bin, ob der junge Vampir wach ist.
Lange herrscht Stille, doch dann höre ich Geräusche hinter der Tür. Schritte nähern sich mir und dann sinkt der Junge, hörbar willenlos, die Tür entlang zu Boden. Ich bilde eine unsichtbare Kuppel über uns und nehme im Schneidersitz auf dem Boden Platz.
“Was willst du? Ich bin müde.“, sagt Miguel endlich.
“Ich möchte dich aufklären, weiter nichts. Aber es soll keiner von unserem Gespräch Wind bekommen.“, warne ich ruhig.
Von der anderen Seite der Tür ertönt ein gleichgültiges Schnauben. Ich kann es sogar nachvollziehen, schließlich haben wir ihn die ganze Nacht ignoriert.
“Wenn du Fragen hast, werde ich sie beantworten. Wenn nicht, kann ich dir einfach einiges erzählen.“, schlage ich vor.
“Was habt ihr mit mir gemacht?“, fragt der Junge mit Verlorenheit in der Stimme. “Ich spüre meinen Herzschlag kaum. Das lichtlose Zimmer ist seltsamerweise nicht wirklich dunkel. Mein Gehör ist deutlich besser. Eine ungewöhnliche Müdigkeit will die Oberhand gewinnen. Und ich habe schrecklichen Durst.“
“Darf ich erfahren, wie alt du bist, Miguel?“, interessiere ich mich.
Er schnaubt wieder. “Da - Du weißt sogar meinen Namen. Aaach... Ich bin 19.“
Ich sage doch, er ist noch ein Junge. Aber ich kenne auch jüngere Vampire. Oh, was sage ich da? Ich wurde ja selbst mit 13 verwandelt. Die andere Sache war, dass wir nach dem Erreichen der Volljährigkeit die Menschen zu fragen haben, ob sie verwandelt werden möchten. Was heißen soll, dass Alexandra es unerlaubt getan hat. Übrigens ist das eine der strengen Ratregeln, und die sollte man sich zuliebe nicht brechen.
“Zuerst möchte ich mich vorstellen. Mein Name ist Joshua. Und ich bin mittlerweile 904 Jahre alt.“
Ich höre, wie Miguel stockt.
“Aber... Das... Wie... Wie soll das nur gehen? Du willst mich doch nur auf den Arm nehmen! Ich höre deine junge Stimme! Kein Mensch kann so alt werden...! Kein...“ Er verstummt und ich kann es in seinen Gedanken lesen, dass er den Satz noch fünfmal wiederholt. “Was seid ihr alle? Was habt ihr mit mir gemacht?“ Seine Stimme wird abstoßend und ängstlich.
“Wir haben dich gerettet.“, erwidere ich immer noch seelenruhig.
“Gerettet... Ihr seid keine Vampire, oder? Ihr könnt es nicht sein, Vampire gibt es nicht. Ihr könnt mich nicht verwandelt haben. Oder? Joshua, sage zumindest irgendwas!“
Miguel spricht aufgeregt und ängstlich, doch er glaubt an uns, ganz gleich seinem Abstreiten. Das ist schon mal gut.
“Ich bitte dich, nicht zu brüllen, Miguel.“, meine ich. “Wie gesagt, unser Gespräch soll geheim bleiben, sonst muss ich schwere Konsequenzen davontragen.“
“Tut mir leid.“, senkt der junge Vampir die Stimme. “Aber... wie kann das gehen?“
Ich schüttele den Kopf, obwohl er das nicht sehen kann. “Ich weiß es nicht. Es ist einfach so. Du hast aber auf jeden Fall Glück gehabt, unser Haus gesehen zu haben.“
Miguel brummt ein Ja und kurz hängt Schweigen über uns. Ich überlasse ihn seinen Gedanken und überlege, welche Informationen an diesem Punkt für ihn wichtig sind.
Dann meldet er sich zu Wort. “Apropos gestorben. Wenn ich jetzt ja ein Vampir bin, darf ich wohl den Mann töten, der mich fast umgebracht hat?“
Ich lache leicht über seine Frage, doch werde bei der Antwort ernst. “Nein. Unsere Gemeinde tötet Menschen nicht zum Vergnügen. Andererseits könntest du die Anführerin nach der Erlaubnis fragen.“ Dann lache ich wieder. “Sie wird dich zwar einige Male schlagen, doch deine Erlaubnis wirst du aller Wahrscheinlichkeit nach haben.“
“Mach dich nicht lustig über mich.“, entgegnet er und lacht selber.
Lächelnd erhebe ich mich. “Und nun muss ich gehen.“
Ich höre, wie Miguel schnell aufsteht.
“Warte! Noch eine Frage. Wann werde ich aus diesem blöden Zimmer rausgelassen?“
Ich seufze. “Wenn unser Ältester wiederkommt. Er ist für dich zuständig und wir dürfen uns eigentlich nicht einmischen.“, antworte ich und da fällt mir eine meine Dummheit auf, weshalb meine Stimme sofort bedrohlich wird.“ Ah, und noch etwas. Du weißt nichts von meinem Alter, verstanden? Vergiss diese Information einfach.“
Ich löse die Kuppel über uns auf und begebe mich auf mein Zimmer am Ende des Flures. So alt ich bin, so unvorsichtig bin ich geblieben! Wie habe ich ihm nur mein wirkliches Alter genannt, wenn doch mein Leben hier im Clan davon abhängt! Ich werde ihm die Erinnerung daran löschen müssen. Ich werde so schon dem Lügen verdächtigt, es müssen nicht noch mehr Gründe werden.
“Wie leichtsinnig, Joshua, wie leichtsinnig...“, beschimpfe ich mich selbst.
Und dann fällt mir auf, dass ich... gelacht habe. Wann habe ich davor zum letzten Mal gelacht? Als ich Rosalie die Nachrichten überbrachte? Oder noch früher, als ich mich mit Alicia getroffen hatte? Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht mehr. Ich habe seit langem keinen Grund mehr gehabt, um zu lachen. Hm, interessant, was ein junger Vampir in unser Gemeinschaftsleben bringen wird.

Zu Hause bei den Vampiren 3Where stories live. Discover now