Kapitel 23

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Es klopft an meine Tür. Die Schritte habe ich bereits gehört, doch ich habe nicht erwartet, dass Christopher wirklich selbst zu mir ins Zimmer treten wird, geschweige denn davor zu klopfen.
“Joshua, bist du schon wach?“, fragt der Älteste und öffnet die Tür, ohne meine Antwort abzuwarten.
Er schließt sie hinter sich und setzt sich auf den scheinbar uralten Stuhl in der Nähe des Bettes, worauf ich abwartend sitze.
“Du hast bereits mit Alexandra gesprochen?“, wundere ich mich gespielt.
“Sie hat dir keinen Gruß hinterlassen.“, erwidert er. “Eine Anweisung jedoch. Du sollst dich von Lilith fernhalten, es sei denn, dir ist sein Leben nichts mehr wert.“
Um ihn meiner Besorgnis klarzumachen, zucke ich leicht zusammen. Dann lege ich den Kopf schief. “Sie hat Pläne, die das Mädchen angehen?“
“Die Anführerin hält Unsinn für Wahrheit. Und das ist das Einzige, was du wissen musst. Ich weiß aber etwas anderes. Du kannst ihre Gedanken lesen, nicht wahr? Ich habe es gespürt, ganz kurz.“
Jetzt bin ich aber wirklich überrascht. Ich bin doch sehr vorsichtig vorgegangen!
“Ja. Jedoch... kostet es höllische Anstrengung. Ich schaffe es kaum, ein Wort herauszuhören.“, lüge ich.
“Es ist mehr, als ich schaffe. Deswegen habe ich eine Aufgabe für dich. Wenn du natürlich deine Zunge hüten kannst.“
Interessant. Was möchte er von mir verlangen? Dass ich Lilith anstatt seiner umbringe?
“Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich weiß von deiner Untreue Alexandra gegenüber.“
Christophers Augen verengen sich gefährlich kalt.
“Das ist keine Untreue. Das ist ein anderer Gedankengang. Aber zurück zu meiner Vorderung, ehe du mir noch unmerklich die strengsten Geheimnisse stehlst. Ich weiß über deine List Bescheid, Joshua. Alexandra lässt Miguels Mädchen am Leben. Doch die sonst vorsichtige Anführerin möchte diesmal die Gefahr nicht wahrhaben. Lilith ist bedrohlich für unser aller Leben. Ich verlange von dir: wenn die Zeit kommt, wenn Alexandra meint, sie würde die Macht des Mädchens in ihren Händen haben, wenn sie ihres Sieges sicher ist, musst du Lilith das Leben nehmen.“
Meine Augen werden größer, ohne dass ich mein Entsetzen zu kontrollieren schaffe. Lilith umbringen. Eine Unschuldige. Eigenhändig. Nein, das kann ich nicht tun. Und auch zuzulassen, dass Christopher er selbst macht, kann ich nicht. Ich werde das Mädchen retten. Was auch immer sich der Vampir ausdenkt, ich werde seine Pläne durchkreuzen.
“Ich...“, zögere ich.
“Joshua, dich zu töten, bin ich fähig.“, droht Christopher. “Und ich werde es tun, wenn du mich verraten solltest.“
So war es immer. Wenn er nicht bekam, was er wollte, ging es mit den Drohungen los. Was habe ich auch erwartet?
Salutierend senke ich den Kopf. Einfacher ist es, zuzustimmen und nachher nach eigenem Willen zu handeln. “Du hast gesiegt. Ich werde gegen Lilith antreten.“
Christopher nickt. “So ist es richtig.“
Er steht auf und verlässt mein Zimmer. Die einzige Hoffnung, die ich jetzt noch habe, ist, dass Lilith sich von Miguel trennt. Oder... Ich muss Miguel sagen, er selbst soll sich von Lilith trennen. Ich muss ihn warnen, dass das Mädchen in Gefahr ist, hier bei uns. Er darf keinesfalls etwas mit ihr zu tun haben. Außerdem kann Miguel auch die Selbstbeherrschung verlieren, denn Liliths Blut strahlt einen wirklich starken Geruch aus. Zudem habe ich nicht vor, einen Menschen umzubringen. Christophers und Auroras Schwäche für Menschenblut genügt schon.

Als ich in den Garten hinaus trete, strömt mir Miguels Fluchen entgegen. Doch im Gegensatz zu jeder anderen Situation, wo ich gelacht hätte, wird mein Blick diesmal ernster.
“Weißt du, was sie gesagt haben?“, fragt er mich frustriert und wendet sich mir zu. “Ich darf Lilith nicht mehr herbringen. Wie soll sie mir vertrauen, wenn ich sie nicht nach Hause einlade? Was soll sie von meiner angeblichen Familie denken? Dass sie ihnen nicht gefallen hat? Ja toll. Kannst du Christopher nicht irgendwie überreden, damit Lilith uns zumindest paarmal im Monat besuchen kann? Sie hat dir doch auch gefallen, oder? Joshua, ich werde tun, was auch immer du von mir verlangst.“
Ein unschönes Gefühl breitet sich in mir aus. Der Vampir hat sich wirklich verliebt. Er wird Lilith nicht einfach verlassen.
Ich schüttele mit gesenktem Blick den Kopf. “Es wird nichts bringen, Miguel. Für Lilith ist es zu gefährlich bei uns zu Hause. Menschen sterben, wenn sie unter Vampiren leben, das musst dir klar sein.“
Ungläubig starrt er mich mit enttäuschten Augen an. “Du... willst mir nicht helfen?“
Erneut schüttele ich den Kopf. “Nein. Diesmal musst du allein klarkommen. Es ist schon gnädig genug, dass Alexandra das Mädchen überhaupt am Leben lässt. Sei ihr einfach dankbar.“
Dankbar sein dafür, dass Lilith als Waffe im Krieg benutzt werden will. Dass Christopher sie umbringen möchte. Dass ich es werde tun müssen. Dass Alexandra, sobald sie sich sicher ist, Lilith irgendwo einsperren wird. Nein, dafür kann man nicht dankbar sein. Doch Miguel soll von diesen Gründen nie erfahren.
Eine Weile schweig Miguel und ich wage es nicht, diese Stille zu unterbrechen. Dabei habe ich auch nichts mehr zu sagen. Alles, was ich gern erzählt hätte, war zum Aussprechen verboten.
“Was ist los, Joshua?“, fragt der Vampir schließlich leise. “Hast du mehr gehört, als du solltest?
Einige Augenblicke antworte ich nicht.
“Du musst wissen, dass Liliths Seele sterben wird, wenn du sie wandelst. Das ist das Einzige, was dir von Bedeutung sein muss, wenn du das Mädchen wirklich liebst.“
Ich kehre ihm den Rücken zu und mache mich auf den Weg in mein Zimmer.

Zu Hause bei den Vampiren 3Where stories live. Discover now