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»May ... May komm schon her ... «

»Nein, ich will nicht!«, schreie ich ihn an.

»Ich sagte: Komm her, und zwar sofort!«, brüllt er und läuft auf mich zu. Ich weiß, was jetzt kommen wird. Um den Schmerz zu verringern, lasse ich los.

Wieder befinde ich mich in diesem Augenblick, indem ich einfach nichts mitbekomme und überhaupt nichts spüre.

Schreiend und schweißgebadet wache ich auf.

Ein Alptraum.

Nein, kein Alptraum.

Ich vergrabe meinen Kopf in meinen Händen. Nein, wieso passiert das wieder? Das ist das erste Mal seit Jahren, dass ich einen Alptraum habe. Diesen Alptraum.

Unter der Dusche versuche ich, alle Erinnerungen und alles Böse abzuwaschen. Es scheint ein wenig zu funktionieren, denn ich beruhige mich wieder.

In der Küche mache ich mir einen Kaffee. Natürlich ohne
Zucker und schwarz.

Also wie deine Seele.

Danke, für die Erinnerung ...

Während ich meinen Kaffee schlürfe, klingelt es an der Tür, und ich erstarre. Mein Blick ist auf die geschlossene Tür geheftet. Es klingelt nochmal, was mich ruckartig aus meiner Starre holt und langsam auf die Tür zugehen lässt. Durch den Türspion sehe ich Primes.

Was macht der denn hier?

Ist doch egal, freu dich einfach, dass Mister Hot hier ist.

Aber ich habe noch meinen Pyjama an.

Mace, dann hast du halt noch deinen Pyjama an, es ist ja nicht die Queen ...

Ich schaue an mir runter. Eine dunkelblaue Jogginghose und ein gestreiftes Shirt. Okay, warum nicht.

Ich öffne die Tür und erblicke die meerblauen Augen vor mir.

»Guten Morgen«, sagt er eine Spur zu fröhlich.

»So gut nun auch nicht«, antworte ich leise. Er mustert mich skeptisch, sagt aber nichts.

»Kann ich reinkommen? Ich habe Bagels dabei«, fragt er und hält eine braune Tüte hoch.

»Ähm, okay?«, stimme ich zögernd zu und gehe zur Seite, um ihn reinzulassen. Wir stehen uns in der Küche unbeholfen gegenüber und starren uns wortlos an.

»Also ... Was machen Sie hier Agent Primes?«

»Special Agent«, gibt er mit einem süffisanten Grinsen zurück. Ich verdrehe die Augen.

Er ist so heiß.

Nein, ist er nicht!

Doch ist er. Wenn du das nicht erkennst, bist du entweder blind oder blöd.

»Frühstücken natürlich«, antwortet er auf meine Frage.

Hä?

»Teller?«

»Was?«, frage ich verblüfft. »I-Ich meine, wie bitte?«, korrigiere ich mich schnell.

»Wo sind die Teller, Macey?«, fragt er erneut und deutet auf die vielen Schränke in der Küche. Ich habe nie verstanden,
weshalb Helena so viele Küchenschränke braucht. Immer noch völlig perplex zeige ich auf den dritten Schrank links. Er nimmt zwei Teller heraus, stellt die Bagels auf den Tisch und macht sich auf den Weg zum Kühlschrank. Ich folge seinen Schritten
und fühle mich komplett überflüssig.

Bist du das nicht auch?

Er setzt sich an den Tisch, nachdem er Frischkäse, Gouda und Trauben aus dem Kühlschrank auf besagten Tisch stellt und schaut mich an. »Willst du denn nicht frühstücken?«

Was macht dieser Mann in meiner Küche? Und wie kommt er darauf, dass er sich einfach bedienen darf?

»Was machen Sie wirklich hier, Primes?«

»Ich wollte nach dir sehen«, antwortet er ehrlich.

Aber warum? »Warum?«, frage ich völlig irritiert.

Ok, du bist eindeutig beides: blind und blöd.

»Weil du gestern ohne Grund ohnmächtig geworden bist?«

Oh ja stimmt, er denkt, es war grundlos. War es aber nicht, Mister.

Ich setze mich ihm gegenüber an den Tisch und mustere ihn. Er hat einen Anzug an, schon wieder.

Aber verdammt, er sieht heiß darin aus. Das kannst du wirklich
nicht leugnen.

Tue ich auch nicht ...

Er schmiert sich Frischkäse auf seinen Bagel und beißt herzhaft

rein. »Keinen Hunger?«, fragt er zwischen zwei Bissen.

Mein Magen fängt an, zu knurren. Tatsächlich habe ich großen Hunger. »Doch.«

Während des Essens schweigen wir, doch als wir fertig sind, steht Primes auf, stellt die beiden Teller in die Spüle und lehnt sich dagegen.

»Also?«

»Also ... Danke fürs Frühstück.«

»Gerne«, gibt er mit einem leichten Grinsen zurück.

Unbeholfen schaue ich auf meine Hände. Und jetzt? Die Stille ist irgendwie peinlich.

»Wie fühlst du dich?« Ich öffne erschrocken die Augen und starre ihn an. »Es ist eine einfache Frage, Macey«, gibt er kalt von sich, als ich nicht sofort antworte.

»Gut, denke ich.«

»Denkst du also?« Er fängt an, zu lachen.

Dieser Typ hat echt Stimmungsschwankungen.

»Warum lachst du?«, frage ich nun auch belustigt, da er mich mit seinem Lachen ansteckt.

Er schüttelt, immer noch lachend, den Kopf. »Nichts«, winkt
er ab.

Die nächsten zwei Tage kommt Primes wieder vorbei. Es tut echt gut, wenn er da ist. Obwohl wir fast gar nicht reden. Die meiste Zeit starren wir uns gegenseitig an und sind in Gedanken
versunken.

Gestern hat er Hühnersuppe mitgebracht.

»Ich habe keine Erkältung, Primes«, sage ich belustigt.

»Hühnersuppe kann man auch essen, wenn man nicht erkältet

ist, Macey«, belehrt er mich.

Dann haben wir schweigend Hühnersuppe gegessen. Und ja, ich spreche ihn mit Nachnamen an, denn ich habe keinen
Schimmer, wie er mit Vornamen heißt. Und er hat mir auch nicht angeboten, ihn mit Vornamen anzusprechen. Ich weiß nur, dass er mit D anfängt, da es auf seiner Karte steht. Ich habe ihn kein
einziges Mal angerufen, aber es gibt mir eine gewisse Sicherheit, genau wie seine Anwesenheit.

Blue in my HeartWhere stories live. Discover now