38. Das Zentrum des Herzens

749 40 15
                                    

Mario war an diesem ersten gemeinsamen Januar-Wochenende etwas aufgetaut. Das hatte sicher mit Marco zu tun, der sich die allergößte Mühe gab, irgendwelche Erinnerungen in ihm zu wecken. Diese schienen jedoch so tief in Marios Kopf vergraben, dass es nicht zu den Momenten kam, die Marco sich erhofft hatte. Er wollte wieder seinen "Sunny" in Marios Augen finden, doch es gelang einfach nicht. Marios Augen waren leer. Einfach nur leer. Eine Hülle ohne Inhalt.

Vielleicht hatte Marco es auch zu angestrengt versucht. Vielleicht hatte sich Mario auch unter Druck gesetzt gefühlt. Marco hatte einfach die Hoffnung nicht aufgeben wollen, dass wieder etwas ähnliches passieren würde, wie in dem Moment auf Mats Terassentreppe....die Sache mit dem Regenwurm. Aber nichts dergleichen war geschehen.

Mario war Sonntag nachmittags so erschöpft, dass er mal wieder schlief. Eigentlich hatte er fast das ganze Wochende verschlafen, wenn er nicht gerade Marco beobachtete oder etwas aß.

Mario hatte viel gegessen. Unheimlich viel. "Die haben ihm echt nichts zum essen gegeben in der Klinik." hatte Marco irgendwann mal festgestellt. Deshalb hatte er auch so dünn und ausgemergelt ausgesehen. Mario hatte noch nie gutes Essen verschmäht, aber was der neuerdings verdrücken konnte, ging echt auf keine Kuhhaut. Wenn Marco eine Big-Pizza verdrückte, dann war Mario auch nach zwei dieser riesen Dinger noch nicht satt. Marco wusste nicht mal ob er die Kühlschranktür überhaupt noch schliessen sollte. Es war ja sowieso sinnlos, denn Mario hatte sie spätestens 5 Minuten danach, sowieso schon wieder geöffnet.

Am frühen Abend fuhren Mats und Marco ihn zurück zur Klinik. Marco hatte auch gehofft, das Mario ihn vielleicht zum Abschied nochmal in die Arme genommen hätte, so wie er es zur Begrüßung getan hatte, aber es passierte nicht. Marco war verunsichert. Der benahm sich so komisch. Hatte er ihm vielleicht doch zuviel zugemutet? Mats hat Mario dann in die Klinik begleitet. Marco blieb am Auto und fühlte sich schlecht.

War es das, was er sich von dem Wochenende erwartet hatte? Mario schien in manchen Momenten geistig so wach, als wäre er ganz normal, abgesehen von den fehlenden Erinnerungen natürlich. Hätte man ihn nicht vorher gekannt, wäre es einem Fremden wohl erstmal nicht aufgefallen, dass er eigentlich noch immer totkrank war. In anderen Momenten schien er dann aber so abwesend, als sei er auf einem anderen Stern und man musste ihn mehrfach ansprechen, damit er zur Besinnung kam und reagierte.

Das alles war auch für Marco schwer zu ertragen. Er fühlte alles mit, was Mario zu bedrücken schien, aber es war kein Durchkommen mehr zu dessen verwirrtem Hirn. Marco hatte das Gefühl, trotz aller Bemühungen, auf Granit zu beissen, wenn es um Marios Erinnerungen ging.

Die Ärzte in Mailand hatten gewarnt. Sie hatten aber auch nicht befürchtet, dass es so schlimm werden würde. Das Problem war auch nicht das künstliche Koma gewesen, sondern die extrem hohe Menge an Betäubungsmitteln, die Mario genommen hatte um zu sterben und ganz zu schweigen von der dreimaligen Reanimation. Das hatte natürlich nicht nur seinem Herz geschadet, es hatte auch Marios Gehirn verändert. Natürlich hatten die Ärzte Hoffnung, da Mario vor dem Vorfall eigentlich völlig gesund und stark gewesen war und ausserdem noch sehr jung. Deshalb war er in Mailand auch noch um eine Operation herum gekommen. Der Notarzt aus dem Hotel hatte wirklich alles gegeben, um das Schlimmste zu verhindern. Ein älterer oder geschwächterer Mensch, hätte all dies erst garnicht überlebt.

***************************************************************

Marco war in den nächsten Tagen gesundheitlich wieder zurückgeworfen worden. Seine Psyche war wieder da, wo sie sich vor mehr als 4 Wochen befunden hatte, als er den Nervenzusammenbruch erlitten hatte. Mats achtete penibelst darauf, dass Marco wieder die Tabletten nahm, auf die er die letzten Tage schon hatte verzichten dürfen. Jetzt jedoch hatte er sie wieder dringend nötig. Das geringste Anzeichen von Wut oder Verzweiflung in Marcos Verhalten, hatte Mats aufhorchen lassen. Schon befand sich Marco wieder beim Psychologen. So schnell hätte der garnicht protestieren können.

Marco fand sich irgendwann damit ab. Er spürte das es ihm half, etwas benebelter durch die Gegend zu laufen, aber glücklich war er über diesen Zustand nicht. Er wusste trotzdem ganz genau, das irgend etwas nicht stimmte. Er hatte es im Gefühl. Und dieses Gefühl bestätigte sich eines Morgens, als Marco gerade aus der Dusche kam und einen ziemlich verstörten Mats vorfand, der gerade sein Handy ablegte.

*****************************************************************

Marco war wie erstarrt. Er wusste sofort, das es etwas mit Mario zu tun haben musste und er hatte recht behalten.

"Was ist los Mats? Ist was mit Mario?"  Marco musste sich schwer zusammenreissen um Mats nicht zu schütteln, denn der suchte seines Erachtens nach, deutlich zu lange nach einer Antwort.

"Ich weiß nicht wie ich es dir am schonensten beibringen soll." sagte er langsam und extremst bedrückt.

"Mats!"  jetzt schüttelte Marco ihn doch. Um Marco herum, löste sich innerlich gerade die Küche in kleine Pixel auf und fiel wie tausend kleine Glasscherben laut klirrend zu Boden.

"Sie haben ihn ins Herzzentrum hier in Dortmund bringen müssen und...." sagte Mats vorsichtig. Er konnte Marco dabei nicht ansehen.

"Und was?!!!" Marco verließen mal wieder seine guten Manieren. Er schrie Mats an, als wenn es kein Morgen mehr geben würde.

"...er muss operiert werden."  Mats tat sich noch immer schwer, genauere Details auszusprechen.

Ruhig bleiben Marco. Er muss operiert werden. Das war schlimm, aber er war nicht tot. Er lebte und das sollte auch für immer so bleiben, wenn es nach Marco gegangen wäre.

Marco hielt sich die Hände vor's Gesicht. Er war zu geschockt um weiter auf Mats einzuschreien. Das alles musste erstmal verarbeitet werden in seinem Kopf.

Mats hatte sich noch immer nicht erholt von dem Anruf. Er beobachtete Marco, der sich nicht mehr rührte. Ihm selbst ging es auch nicht besser.

*****************************************************

Marios starker Gedächtnisverlust hatte unmittelbar mit dem Herzstillstand in Mailand zu tun gehabt. Aber auch die seelischen Störungen, die nach dem Heimspiel aufgetreten waren, waren nicht zu vernachlässigen.

Bei einem Herzinfarkt verstopft eines der Herzkranzgefäße, wodurch ein Teil des Herzmuskelgewebes abstirbt. Dies hatte der Arzt durch die sofortige Adrenalin-Injektion mitten in Marios Herz gerade so verhindern können als er ihm im Mailänder Hotel diese furchtbar lange Nadel ins Herz gerammt hatte. Marios geschwächtes Herz, hatte sich zunächst auch durch das künstliche Koma erholt. Aber von einer Spontanheilung konnte man natürlich nicht sprechen.

Alle Hoffnung der Ärzte ruhten, auf seinem vorherigen guten Gesundheitszustand und auf seinem noch so jungen Alter.

Das sein Herz trotzdem einen Schaden erlitten hatte, war eigentlich nicht ungewöhnlich, doch schien es zunächst so, als würde er das alles tatsächlich überstehen. Er machte in den Augen der Ärzte Fortschritte, auch wenn diese noch so klein waren.

Letztlich hatte das verletzte Herz aber dennoch Einfluss auf sein Gehirn genommen. Es wurde nicht genügend mit Sauerstoff versorgt. Dazu kam die geschwächte Immunabwehr.

Die Verwirrtheit und die noch immer viel zu gravierenden Gedächtnislücken, hatten bereits deutlich darauf hingewiesen, das es mit Marios Gesundheit wieder bergab ging.

Der Zeitpunkt an dem Marios Herz das alles nicht mehr leisten konnte, was es sollte, war gekommen. Um nicht nur Marios Herz zu retten, sondern ihn auch davor zu bewahren nur noch als Schatten des Menschen, der er mal war, den Rest seines Lebens dahin zu vegetieren, musste er operiert werden. Und das an einem Organ, das nicht nur zum simplen Überleben, sondern auch "zum Lieben" dringend gebraucht wurde. Ganz besonders von einem ganz wichtigen Menschen in seinem Leben.

Ende Kapitel 38.

I adore you forever -Götzeus-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt