Kapitel 15

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Jack

Ganz leise hörte ich jemanden atmen, ruhig und gleichmäßig. Es schien immer näher zu kommen, denn es wurde jede Sekunde lauter und deutlicher. Sonst war alles still. Ich hörte nur jemanden Atmen. Es beruhigte mich und lenkte mich von den immer mehr werdenden Kopfschmerzen ab. Meine Augenlieder fingen an zu zittern, ehe ich blinzelnd meine Augen öffnete. Jedoch schloss ich sie gleich wieder, da mich irgendetwas blendete. Mein Schädel dröhnte, doch war er nicht das einzige Körperteil, das mir wehtat. Als mir das bewusst wurde, fiel mir das Atmen schwer und ich stöhnte leise auf. Ganz langsam und vorsichtig öffnete ich meine Augen wieder. Diesmal gewöhnten sie sich besser an die Helligkeit und ich musste nur ein paar mal blinzeln. Das Licht kam von der Nachttischlampe. Meine Hand, an der irgendwas dran hing, das nach einem dünnen Schlauch aussah, wanderte langsam zu meinem Oberkörper. Ganz vorsichtig tastete ich diesen ab. Ich trug einen Verband unter diesem Kittel. Danach führte ich meine Hand zu meinem anderen Arm, der ebenfalls schmerzte und den ich nicht bewegen konnte. Auch verbunden, eingegipst. Ich sah dabei die ganze Zeit an die Decke. Sie war weiß und ganz sauber. Es war keine bekannte Decke. Doch auf der einen Seite schon. Aber es war keine Zimmerdecke, die ich alltäglich sah, wenn ich aufwachte. Ganz langsam hob ich meinen Kopf aus dem Kissen. Es dauerte nicht einmal eine Sekunde, bis mir schwindelig wurde. Vorsichtig legte ich den Kopf wieder ins weiche, weiße Kissen. Meine Hand, die eben noch den rechten Arm abgetastet hatte, legte ich wieder auf meine linken Seite zurück. Als ich sie gerade wieder ablegen wollte, spürte ich etwas weiches, flauschiges unter ihr. Eher unbewusst strich ich hindurch und vergrub meine Hand in diesen weichen Wölkchen, ehe ich meinen Kopf etwas hob und zu meiner Hand blickte. Ich bemerkte, dass dieses weiche, Haare waren. Jemand saß auf einem Stuhl vor dem Bett, hatte sich vorgebeugt, seine Arme auf die Bettkante gelegt und den Kopf darauf. Ich strich diesem jemand erneut durchs Haar, strich sie ihm dabei aus dem Gesicht. Es war ein mir sehr bekanntes Gesicht. Aber was machte er hier? Mein Blick fuhr auf seine Armbanduhr. Es war kurz nach Mitternacht. Aber wieso saß er hier und war nicht heim gegangen, um dort zu schlafen? Denn er schlief. Scheinbar tief und fest. Er atmete ruhig und gleichmäßig, schnarchte nicht. Ich konnte mich auch nicht erinnern, dass er überhaupt irgendwann mal geschnarcht hatte. Ich legte meinen Kopf wieder ins Kissen und schloss meine Augen. Nur das Kopf anheben tat mir weh und war anstrengend. Es machte mich total fertig. Schließlich bewegte ich nur noch meine Finger, die mit seinem Haar spielten. Seine Haare fühlten sich noch immer so an, wie ich es kannte. Nur waren die Locken weniger geworden. Und von Gesicht her hat er sich ziemlich verändert, weshalb ich ihn nicht gleich erkannte hatte. Ob er in den letzten Jahren auch so oft an mich gedacht hatte? Ich jedenfalls hatte viel an ihn gedacht. Ein leises Seufzend entfuhr mir. Als ich geschlafen hatte, hatte ich von ihm geträumt, von unserem Abschied. Erst zehn Jahre später haben wir uns wieder gesehen. Und erstaunlicherweise waren es auf den Tag genau zehn Jahre. Jedoch hatte ich ihn erst auf dem Fest bei meinem Onkel wiedererkannt, als er mir seinen Namen gesagt hat. Ob er auch weiß, wer ich bin? Sicherlich. Schließlich war ich der Neffe von Richard und er kannte Richard.

Ich öffnete meine Augen, als er leise im Schlaf etwas murmelte. Vorsichtig hob ich meinen Kopf etwas an, verzog dabei das Gesicht, das die Schmerzen stärker wurden. Ich sah ihn lächeln. Er hatte noch immer ein wunderschönes Lächeln... Es kribbelte in meinem Bauch, doch wusste ich nicht, ob es Hunger, eine andere Art von Schmerzen oder einfach nur ein komisches Kribbeln war, das ich nicht kannte. Stöhnend ließ ich meinen Kopf wieder sinken und schloss die Augen. Ich versuchte tief durch zu atmen, doch schmerzte es zu sehr. Noch immer wusste ich nicht genau, was ich überhaupt hatte. Ich konnte mich nur daran erinnern, dass ich zusammengeschlagen wurde. In der Schule. Nach der Sportstunde. In den Duschen. Und wie Blondi und mein Klassenlehrer hinein gerannt kamen. Mehr wusste ich nicht.

Noch immer spielte ich mit seinem Haare herum. Es war nicht das erste Mal, dass er mich gerettet hat. Er hat es so oft schon getan. Er war mein Held. Das war er schon immer.

Plötzlich ging die Tür auf und ich nahm sofort die Hand aus seinem Haar. Meine Eltern traten ein. Sie sahen völlig übermüdet aus. "Du bist endlich wach", sagte meine Mutter leise, da sie gesehen hatte, dass er schlief. Ich nickte ganz leicht, war mir aber nicht sicher, ob sie es gesehen hatte. Mutter setzte sich an meine Bettkante, Vater blieb neben ihr stehen und legte seine Hand auf ihre Schulter. "Wie geht es dir?", fragte meine Mutter besorgt. Sie hatte mich noch nie so angesehen. Jedenfalls konnte ich mich daran nicht erinnern.

"Hm... nicht so gut", krächzte ich und schloss die Augen. Ich wickelte unauffällig eine seiner Locken um meinen kleinen Finger.

"Ist ja auch kein Wunder", sagte mein Vater leise und sah mich an. "Du hast eine schwere Gehirnerschütterung und sie haben dir zwei Rippen gebrochen. Deinen rechten Unterarm auch. Elle und Speiche, beide durch", erklärte er mir. "Und von den Prellungen und blauen Flecken ganz zu schweigen.

Leicht nickte ich. Noch immer atmete ich etwas abgehackt, da ich Schmerzen hatte. "Ich hab Durst", flüsterte ich.

Meine Mutter sprang auf. "Ich hole dir sofort was, mein Spatz."

"Danke..."

Sie verließ leise das Zimmer. Der rothaarige setzte sich an ihren Platz und strich mir über die Finger, die aus dem Gips rausguckten. "Du hast zwei Tage geschlafen...", flüsterte er. "Wir hatten solche Angst um dich." Seine Stimme zitterte etwas.

Zwei Tage... Heftig! "Wo... wo ist Danny? Und Scarlett?", mehr als ein Hauchen brachte ich nicht heraus.

"Ryan hat die beiden nach Hause gefahren. Aber ich denke nicht, dass sie schlafen können", erzählte er leise. Kurz sah er zu dem Mann, dessen Kopf noch immer auf seinen Armen auf der Bettkante lag und schlief. Er hockte links von mir, mein Vater rechts. Das Bett stand mitten im Raum. Ich hatte ein Zimmer für mich allein. Es stand auch kein zweites Bett darin, obwohl sehr wohl Platz wäre.

Zum Glück bemerkte er nicht, dass ich immer wieder die Locke neu um meinen kleinen Finger wickelte.

"Wir haben morgen einen Termin mit deinem Direktor. Wir wollten endlich klären, was da immer los ist."

Ich öffnete schlagartig meine Augen und starrte meinen Vater etwas ängstlich an. Der Direktor wusste über alles bescheid und würde es ihnen sagen. Sie durften es einfach auf keinen Fall wissen! Jedenfalls wollte ich nicht, dass sie es von jemand anderes erfuhren, dass ich auf Männer stand und deshalb die Probleme in der Schule habe.

Mein Vater sah mich etwas komisch an. "Jack? Hast du mir etwa was zu sagen?", fragte er etwas misstrauisch.

Ich schüttelte ganz leicht den Kopf.

Er schien sich wieder zu entspannen. "Jack, wenn etwas ist, dann sag es uns bitte", sagte er leise und strich wieder über meine Finger. "Der Arzt hat dich auch erstmal ein paar Wochen krank geschrieben. Sobald du Zuhause bist bekommst du Privatunterricht, bis du wieder zur Schule kannst. Mr Jones hat sich bereit erklärt dir Unterricht zu geben." Er blickte auf den schlafenden Mann.

Ich schloss wieder meine Augen und nickte leicht.

"Und ich habe mit Richard telefoniert. Er wünscht dir gute Besserung."

Wieder nickte ich leicht. "Sag ihm danke, wenn ihr wieder sprecht", flüsterte ich und legte meine Hand vorsichtig an meine Rippen, ließ dabei seine weiche Locke los.

Meine Mutter kam mit einem Glas Wasser wieder ins Zimmer. Da mir alles wehtat, konnte ich mich nickt aufsetzten. Ich hob meinen Kopf an und ließ mir von ihr helfen etwas zu trinken.

"Danke", sagte ich leise, als sie das Glas abstellte.

"Sei uns nicht böse, aber wir werden gleich wieder heim fahren. Wir brauchen auch etwas Schlaf. Aber wir kommen morgen Nachmittag wieder, okay?", verkündete meine Mutter, die ihre langen Haare neu zusammenband. Offene Haare standen ihr besser als dieser strenge Dutt, den sie immer trug. Aber irgendwie traute ich mich nie, es ihr zu sagen,

"Geht ruhig", murmelte ich erschöpft.

"Ruh dich aus, mein Spatz", sagte sie und gab mir einen Kuss auf meine blasse Stirn, nachdem sie mir die schwarzen Haare weggestrichen hatte.

Mein Vater klopfte mir sanft auf die Schulte, ehe sie das Zimmer verließen.

Schließlich hörte ich wieder nur den ruhigen gleichmäßigen Atem von William. Und wieder vergrub ich meine Hand in seinem gelockten Haar.

"Lockilein...", hauchte ich und lächelte ganz schwach, ehe ich wieder erschöpft einschlief.

My Teacher [boyxman]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt