Hunderttausend Meilen

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POV Timi

Ich brauchte immer wieder meine Ruhe – um eine Party zu „überstehen" musste ich mindestens drei Tage lang niemanden sehen, mehrere Partys bedeuteten, dass ich von einer Woche bis zu mehreren keinen Kontakt haben wollte. Ich konnte mir das nicht erklären. Partys erschöpften mich. Lukas' ruhige Art half mir, diese Zeit zu überbrücken. Ich konnte mich auf mich selber und auf ihn konzentrieren, nichts anderes, niemand anderes. Er wusste, wenn ich mal alleine sein wollte, ob ich niemanden im gleichen Raum haben wollte, oder ob er im gleichen Raum und doch unsichtbar sein sollte, ob er mich berühren sollte. Lukas war wahnsinnig enfühlsam – ich merkte dies jetzt erst recht, als sein Partner – er konnte oft erkennen, wann es einem nicht gut ging und versuchte immer sein Bestes, um den anderen (also mir) zu helfen. Die nächsten Tage nach Igor's Party verbrachten wir in Lukas' Wohnung – einfach mal weg von den anderen – und verließen diese kaum. Wir hatten auf der Couch gesessen und Filme angeschaut, immer wieder spielte Lukas mir was auf der Gitarre vor, und wir schliefen viel miteinander; es war alles sehr gechillt und sehr...heiß. Dass Vortex uns gesehen hatte, wie ich Lukas einen blies störte mich mittlerweile gar nicht mehr. Es war viel mehr etwas anderes, über das ich mir Gedanken machte.

"Sag mal, Lukas, weiß es eigentlich jemand aus deiner Familie? Also, von unserer Beziehung", fragte ich meinen Freund beim Frühstück. Er verschluckte sich an seinem Toast und hob seine Tasse an seine Lippen. Anscheinend nicht.

„Naja, hatte noch nicht so..." den Rest verstand ich kaum, da Lukas anfing in seine Tasse Kaffee zu nuscheln. Ich schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Warum denn nicht?

„Du...schämst dich doch nicht, oder?" Er schaute mich erschrocken an.

„Nein! Nein überhaupt nicht!" Gut. Seine Hand umklammerte nun meine, er schaute besorgt aus und auch etwas blass.

„Gut, dann kannst du mit ihnen dann darüber reden!"

„Nein, also...irgendwie..."

„Lukas, liebst du mich?" Ok, es war gemein, ihn so in eine Ecke zu drängen, jedoch sprudelten die ganzen Worte aus mir raus. Lukas schaute mir in die Augen.

„Ja, natürlich liebe ich dich! Ich liebe dich über alles! Es ist nur..." Was für eine unangenehme Situation.

„Dann sag's deiner Familie!" Ich ließ ihn nicht weiter reden und stand auf und ging genervt in Lukas' Küche. Dort wartete ich, dass Lukas mir nachlaufen würde. Tat er aber nicht. Sollte ich mittlerweile besser wissen – ich war immer derjenige, der ihm nachlief, er blieb generell dort, wo er war und kam dann zu mir, sobald er dachte, es sei genug Zeit verstrichen, dass ich mich wieder beruhigt habe, oder er wartete einfach, bis ich zu ihm zurück kam. Ich zog eine Packung Zigaretten aus der Hosentasche und ging auf den Balkon. Draussen war es bevölkt, grau, kalt. Ich verzog die Mundwinkel. Wenn es sein muss, lauf' ich nochmal diese hunderttausend Meilen. An diesem Song arbeitete ich schon seit langem. Er war eigentlich fast fertig, aber irgendwas fehlte noch.

POV Lukas

Nach der Diskussion von vorhin blieb ich am Tisch sitzen. So früh schon streiten? Mir war ganz unwohl. Ich wollte nicht mit Tim streiten – ich hatte das oft genug mit meinen Ex-Freundinnen gemacht, das musste ich nicht mit ihm wiederholen. Ich würde gerne mit jemanden über unsere Beziehung reden, keiner der Jungs – auch wenn es ihnen nichts ausmachte, konnte ich mir kaum vorstellen, mit ihnen ein emotionales Gespräch unter Männern zu führen. Ich scrollte durch mein Handy und rief meine Schwester an. Ich schlug vor, dass wir uns in einem Café treffen und verabschiedete mich von meinem Freund, der immernoch schmollend auf dem Balkon stand und mich ignorierte. Als ich in meinem Lieblingscafé ankam, sah ich sie dort schon sitzen. Wir begrüßten uns herzlich – wir hatten uns schon sehr lange nicht mehr gesehen, sie wusste nichts von meiner Beziehung und ich war etwas nervös, wie immer eigentlich.

Lass liegen bleibenWhere stories live. Discover now