Amnesie

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Flashback Februar 2015, Berlin

POV Lukas

Wochen nach der Trennung von Anna und mir dachte ich noch lange an unsere Beziehung. Auch wenn Tim und ich immer wieder rummachten, ließ mich meine bisher längste Beziehung nicht in Ruhe. Ich saß auf dem Sofa in meiner neuen Wohnug und dachte an die Zeiten, die Anna und ich miteinander verbracht hatten. Die meiste Zeit kam sie nicht mit meinem Leben als Musiker zurecht. Termine, Touren, Lieder schreiben und produzieren. Ich hatte das Gefühl, sie würde denken, dass sobald Triebwerke fertig war, würde ich mehr Zeit (für sie) haben und könnte mich von dem Album alleine ernähren. Sie hatte sich ein Bild vom „Star-Leben" gemacht, was eher richtig bekannten, amerikanischen Musikern entspricht und was für mich überhaupt nicht der Fall war. Dadurch kamen dann natürlich die vielen Enttäuschungen, wenn ich nun doch nicht jeden Abend ein anderes – und vor allem teures – Restaurant ausprobieren konnte, dass ich nicht täglich mit Geschenken nachhause kam und vor allem, dass ich nicht ständig auf irgendwelchen Verleihungen war. Ich hatte ständig versucht, ihr zu erklären, dass es Ränge gebe und ich war nunmal in dem „Noch-nicht-ganz-berühmt-aber-doch-bekannt"-Rang. Tim verstand mich – meine Musik, mein Leben - so viel besser. Auch wenn alles mit ihm noch ziemlich ungewohnt war, hatten wir eine viel bessere Chemie als Anna und ich je hatten. Kennt man ja. Aber halt eher mit einer anderen Person, nicht unbedingt mit dem besten Freund. Hatten Anna und ich eigentlich gute Zeiten miteinander verbracht? Ja, doch. Da war der eine Tag, an dem sie nachhause kam, total glücklich, weil sie einen Job bekommen hatte. Ich war glücklich weil...keine Ahnung. An dem Tag kam sie also nachhause, strahlte bis über beide Ohren und kam direkt auf mich zugerannt. Ich hatte mich wirklich für sie gefreut und küsste sie, bis ich sie auf die Theke hob und ihr das Kleid auszog. Wir hatten richtig geilen Sex an dem Tag, einfach so, unbeschwert, in der Küche. Schnell, dreckig, und doch voller Leidenschaft und Liebe.

Tim anzufassen war so anders. Klar – es gab so viele Unterschiede zwischen Männern und Frauen, jedoch merkt man das am meisten, wenn man in einer Beziehung mit beiden mal war oder ist. Was ich an Frauen liebte war wie sanft sie waren, deren Haut, deren Geruch...Und doch fand ich mich immer wieder in sehr zärtlichen Situation mit Tim. Seine Haut war eigentlich auch ziemlich weich. Ich fand seine Muskeln – auch wenn es nicht gerade viele waren – sehr sexy und anziehend. Wenn er aus dem Bett stieg und sich streckte, beobachtete ich gerne seine Schultermuskeln, wie sie sich bewegten. Dann, was noch dazu kam, war sein Gewicht, das ich spürte, wenn er auf mir lag. Es war sehr angenehm, ich fühlte mich immer sehr...geborgen. Konnte man einfach so plötzlich schwul sein? Oder war ich bi? Ich kaute an meinem Nagel herum und schaute dann auf mein Handy. Tim war gerade auf WhatsApp online. Ich fing an, eine Nachricht zu schreiben, als er plötzlich offline ging.

„Schade..." Ich fuhr traurig über eins der Fotos, die Tim und ich auf einem Trailerpark-Konzert gemacht hatten. Wir sahen beide so glücklich aus – ich, wahrscheinlich weil ich von Anna weg war, er weil er das Tourleben liebte; auch wenn er gerne mal zuhause blieb und nichts tat. Der faulste Mensch der Welt.

Januar 2014, Bielefeld

POV Timi

Ich blätterte durch eine Zeitschrift, von der ich wusste, dass ein Interview mit Lukas, beziehungsweise Alligatoah, drin war. Ich fand die Seite mit dem Interview ziemlich schnell und las es mir durch. Immer wieder schaute ich mir die Fotos von ihm an. Willst Du war gerade rausgekommen, was natürlich für Aufregung gesorgt hatte. Er sah echt süß aus. Je älter er wurde, desto besser sah er aus. Ich strich über das Foto. Der Song war schon sehr poppig, jedoch gefiel er mir ziemlich gut. Raop oder so. Im Radio wurde der Song eh nicht gespielt – „kinderschädlich" oder so'n Scheiss. Wer war denn bitte so blöd, Drogen zu nehmen, nachdem er einen Alligatoah-Song hörte? Achso, ja...die ganzen Teenies. Ich verzog die Mundwinkel und baute mir einen Joint. Als ich die Hälfte des Joints geraucht hatte, schaute ich ihn mir an.

„Wir haben alle in der Schule geraucht...", sang ich vor mich hin. Klang eigentlich nicht schlecht. Vielleicht wäre das ja eine gute Hook für einen der Songs des neuen Albums. Ich öffnete die Trailerpark-WhatsApp-Gruppe und schrieb die Line mit den Worten:

T: Ergänzung gesucht! Ihr Muschis

Wenig später – genauer gesagt, 2 Minuten später - kam eine Antwort von Lukas:

L: und jetzt sieh uns an. Sie sagen, wir ham' uns die Zukunft verbaut...

T: Läuft.

B: wird das jetzt eine schwule Reimkette, oder was?

T: Basti will anscheinend wieder nicht arbeiten!

B: bin ja auch der Labelboss und ihr meine Sklaven.

S: das Ganze klingt doch gut! Macht doch mal weiter während ich n bisschen rumficke :)

Lukas und ich schrieben uns noch weiterhin ein paar Zeilen, natürlich ohne Basti und Sudden's Parts, die es eigentlich gar nicht schafften, was Anständiges hinzuzufügen und wenig später war ein neuer Song fertig.

„Geht doch", meinte ich zu mir selber und war ziemlich stolz auf den heutigen Fortschritt. Ich zog die Ärmel meines Pullovers über meine Hände und zog die Wolldecke bis zur Nase hoch. Es war so kalt. Auch wenn ich das Feuer im Kamin angezündet hatte, und es das Haus so langsam aufwärmte, wäre ich nun viel lieber bei Lukas. Wir würden Glühwein trinken, uns auf der Couch zusammenkuscheln...so wie letzten Dezember. Wann würde er sich endlich von Anna trennen und zu mir kommen? Er sollte sie einfach vergessen und stattdessen mit mir zusammenkommen.

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Titel: Amnesie – Alligatoah

Sorry, wenn das Kapitel etwas hingerotzt aussieht – ich wollte unbedingt einen Filler und einen Flashback einbauen, und konnte mir nichts anderes ausdenken.


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