Kapitel 10

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Beim folgenden Mittagessen war Aylin immer noch nervös, nachdenklich und abweisend. Daven versuchte mehrmals ein Gespräch mit ihr zu beginnen, aber als es ihm auch zum dritten Mal nicht gelang, gab er frustriert auf.

Aylin nahm ihn und alles andere um sich herum kaum war. Zu sehr war sie in verwirrenden Gedanken versunken. Sie war sich mittlerweile hundertprozentig sicher, dass das, was sie gesehen hatte, ganz sicher keine Einbildung gewesen war. Es sei denn, sie wurde wirklich aus irgendeinem Grund verrückt und bekam jetzt psychische Probleme inklusive Halluzinationen.

"Aylin. Aylin!"

Daven unterbrach nun energisch und endgültig ihren Gedankenverlauf und sie blickte auf. Er sah sie ernst an.

"Aylin, was ist denn plötzlich los mit dir? Seit du vor einer halben Stunde auf dem Flur die Wand angestarrt hast, bist du total seltsam."

Sie sah auf ihre Hände hinunter. Sie konnte ihm unmöglich von der... Halluzination erzählen. Er kannte sie kaum. Er würde sie für verrückt halten.

"Es tut mir leid...Ich...Wir sehen uns später."

Daven sah sie erschrocken an, als sie plötzlich aufsprang und zum wiederholten Male an diesem Tag aus dem Saal lief.

Sie hörte Daven ihren Namen rufen, aber sie drehte sich nicht um. Sie lief einfach weiter, bis sie ihr Zimmer erreicht hatte.

Dort angekommen, warf sie die Tür hinter sich zu und sich selbst auf ihr Bett.
Was zur Hölle war nur mit ihr los?

Sie vergrub schnell ihr Gesicht in ihrem Kissen, als Tränen begonnen ihre Wangen runterzulaufen. Es war zwar keiner da, der sie hätte weinend sehen können, aber sie wollte dennoch jegliche Möglichkeiten ausschließen. Aylin hasste es zu weinen. Sie fühlte sich schwach und verletzlich, wenn sie das tat. Und das wollte sie auf keinen Fall.

Aber das alles war einfach zu viel für sie gewesen. Es war ihr so...real vorgekommen.

Es konnte sich unmöglich um eine Halluzination handeln. Und doch...hatte sie am Schluss nur in eine Tapete gestarrt. Und es war offensichtlich, dass Daven nichtsdergleichen wahrgenommen hatte wie sie.

Wurde sie jetzt zum Freak?

Immer noch ihr Gesicht in ihr Kissen vergrabend und immer noch ungewöhnlich laut schluchzend, hörte sie das Klingeln nicht, welches das Ende der Mittagspause und den Beginn der letzten zwei Stunden andeutete.

Langsam und ungewollt, wurde ihr Schluchzen nun leiser und schwächer, bis sie in einen tiefen Schlaf glitt.

Aylin rennt durch einen Flur. Sie hat keine Ahnung wo genau er sich befindet, aber sie ist sich sicher, dass sie im Internat ist. In einem Abschnitt, den sie vorher nie betreten hat. Sie blickt sich verwirrt um. Wie ist sie dort nur hingekommen und wieso läuft sie? Vor was hat sie solche Angst?
Plötzlich hört sie schnelle Schritte hinter sich. Panisch und schwer keuchend hält Aylin an und dreht sich um, aber hinter ihr befindet sich nur weiterhin der nicht zu enden scheinende Flur. Blasses Mondlicht scheint durch die vielen Fenster zu ihrer Linken und tunkt alles in ein unheimliches Licht.

Aylin schluckt schwer und beginnt langsam in Richtung eines der Fenster zu gehen. Vorsichtig nähert sie sich der Scheibe, bis sie sehen kann, was sich draußen befindet.

Aylin stolpert erschrockem zurück. Der Boden scheint etwa 20 Meter unter ihr zu liegen. Sie ist im zweiten Stock.

"Aber...", Aylins Stimme zittert. Ihr ist es nur möglich den Satz in Gedanken zuende zu führen.

'...Das Internat hat keinen zweiten Stock...'

Schreiend fuhr Aylin in ihrem Bett hoch. Schweiß rann ihr Gesicht hinunter und ihre Haare klebten an ihren nassgeweinten Wangen. Ihre Hände zitterten, als sie sie hochhob und sich mit ihnen die Haare aus dem Gesicht strich.

Immer noch keuchend, sah sie nach rechts auf ihren Wecker. Ihre Augen weiteten sich.

Sie hatte etwas weniger als zwei Stunden geschlafen. Draußen vor ihrer Zimmertür herrschte reges Treiben. Sie hatte genau die letzten beiden Unterrichtsstunden verschlafen.

Aylin stöhnte.

'Und das an meinem ersten Tag...'

"So ein Mist!", murmelte sie und schwang die Beine über die Bettkante. Das würde garantiert Ärger geben, denn sie hatte sich nicht abgemeldet und das galt nun als Schwänzen.

Allerdings würde ihr in ihrem Zustand auch jeder glauben, dass es ihr nicht besonders gut ging.

Aylin sah auf den Boden vor ihr und Erinnerungen an den seltsamen und gruseligen Traum wirbelten in ihrem Kopf herum. Wieso war sie nur so verängstigt gewesen?

Was hatte das zu bedeuten? Wenn es überhaupt etwas zu bedeuten hatte. Schließlich war es ja nur ein Traum gewesen.

"So hat es sich aber nicht angefühlt..."

"Was hat sich nicht wie angefühlt?", hörte sie plötzlich jemanden aus Richtung Tür sagen und sah auf. Dort stand Clarice mit verschränkten Armen und sah sie hämisch grinsend an.

Hinter ihr stand Sarah, welche Clarice sanft zur Seite schob und Aylin eher besorgt, als streng musterte, als sie sich neben Aylin auf dem Bett niederließ.

"Ist alles in Ordnung? Du siehst ja furchtbar aus."

"Ja und sie hat den Unterricht geschwänzt.", zickte Clarice dazwischen und kassierte einen tadelnden Blick von Sarah.

Aylin seufzte. "Ich..." Sie brach ab. Sollte sie wirklich sagen, dass sie einfach eingeschlafen war und einen Albtraum gehabt hatte, während sie hätte zum Unterricht gehen sollen?

"Mir...Mir geht es nicht so gut und ich...ich habe mich lieber gleich hingelegt, tut mir leid, dass ich mich nicht abgemeldet habe."

Sarah sah sie lange an, was Aylin sehr verunsicherte, da sie den Ausdruck in Sarah's Augen nicht deuten konnte.

"Nun gut. Ich werde das für dich beim Schulleiter entschuldigen lassen.", sagte sie dann nach einer Weile.

Das empörte Japsen von Clarice ignorierend, legte sie die Hand auf Aylin's Stirn.

"Fieber scheinst du nicht zu haben...Trotzdem sollte ich dich wahrscheinlich zur Krankenschwester bringen la-"

"Nein, nein!", sagte Aylin vielleicht ein wenig zu hastig und räusperte sich, "I-Ich meinte...nein. Ich glaube ich lege mich einfach noch ein wenig hin und dann geht es mir bestimmt wieder gut."

Sarah sah sie noch einmal etwas länger an und Aylin hatte das Gefühl, dass sie ihr das alles nicht wirklich abnahm. Deswegen war sie froh, als Sarah nicht weiter nachfragte und sich nun wieder von Aylin's Bett erhob, ihren adretten Rock glatt streichend.

"Nun gut. Ich erwarte aber von dir Aylin, dass du das nächste Mal, wenn es dir schlecht geht, wenigstens gleich zur Krankenschwester gehst, die dich dann abmelden kann, und dich nicht auf deinem Zimmer versteckst."

Aylin nickte schuldbewusst und sah Sarah nachdenklich hinterher, als diese in ihrem allbekannten flotten Schritt den Raum verließ und Aylin mit Clarice allein ließ. Diese jedoch blieb ebenfalls nicht lang, sondern drehte sich mit einem empörten Schnauben um und stürmte aus dem Raum. Kurz daraufhin knallte die Tür hinter ihr zu.

Aylin schüttelte nur den Kopf. Sie sah sich um. Da sie jetzt ja praktisch eine offizielle Erlaubnis zum Schlafen erhalten hatte, ließ sie es sich nicht nehmen, sich in ihren Schlafanzug und kurz darauf wieder in ihr Bett zu werfen.

Aber sofort einschlafen konnte Aylin nicht. Denn nun kamen zu den Erinnerungen an den Traum auch noch die an ihre komische Halluzination hinzu. Ob diese beiden Sachen womöglich in Zusammenhang standen?
Aylin runzelte die Stirn, als sie die angebliche Halluzination wieder in ihr Gedächnis rief.

Eine Treppe. Sie hatte definitiv eine Treppe gesehen.

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