Kapitel 1

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Träge floss das Wasser über den groben Steinboden, das warme Sonnenlicht reflektierend. Kleine Fische ließen sich unter der Wasseroberfläche mittreiben.

'Faszinierend. Es scheint so friedlich. Und doch birgt es so viele Gefahren.'

Mit einem Seufzer ließ Aylin sich rückwärts ins Gras fallen, während ihre Füße immer noch im kühlen Nass verweilten. Sie spürte, wie das lauwarme Wasser sanft ihre Knöchel umspülte und atmete dabei die frische Sommerluft ein.
Ihr langes, braunes Haar verteilte sich um sie herum, fast als wolle es sie beschützen. Genüsslich streckte sie die Arme aus und ließ ihre Finger durch die dunklen Strähnen gleiten. Dann kniff Aylin die Augen zusammen, als sie in den Himmel sah. Es war schon spät und doch schien die Sonne mit all ihrer Kraft auf sie hinunter. Keine einzige Wolke bedeckte den blauen Himmel.

'Wieso kann es nicht immer so ruhig und gelassen sein?'

Grade als Aylins außergewöhnliche Augen einem Zitronenfalter folgten, der über sie hinweg flatterte, unterbrach eine schrille Stimme das Stillleben und ihre poetischen Gedanken.

"Lynn, Abendessen!"

Aylin verdrehte die Augen, bevor sie von ihrem Platz auf der Wiese aus, hinter dem Haus ihrer Familie, die Antwort zurückbrüllte:

"Ich bin nicht taub, Dean!"

Sie hörte nur ein lautes 'Bääh!', als ihr Bruder ihr die Zunge rausstreckte, gefolgt von einem Rumsen, als er die Terrassentür hinter sich zuknallte.
Nachdem Aylin aus Protest noch ein wenig länger auf ihrem blumigen Platz verweilt hatte, schien alles plötzlich nicht mehr so friedlich und beruhigend zu sein wie zuvor. Die Gedanken des Alltags strömten in ihren Kopf zurück und sie ballte ihre Hände frustriert zu Fäusten zusammen.
Schließlich stand sie wider willen auf und schlenderte ohne Eile den kleinen Weg zum Hintereingang des riesigen Hauses.
Heute war ihre Mutter Caroline von einer sehr langen Geschäftsreise zurückgekehrt und das wollte die Familie nun mit einem Festmal feiern.
Aylin sah keinen wirklichen Bedarf, aber ihr Stiefater Roy, der seit drei Monaten bei ihnen lebte, ließ es sich nicht nehmen, ihre Mutter auf jegliche Art und Weise zu bezirzen.
Sie konnte nur mit den Augen rollen, als er nun das Gesicht seiner Frau förmlich abschleckte, als Aylin die Küche betrat.
Sie verzog das Gesicht, als hätte sie gerade herzhaft in eine saftige Zitrone gebissen.

War es eigentlich nicht zu sehr wie ein Klischee?
Der nervige, schleimige Stiefvater mit schwarzen zurückgegelten Haaren, welchen die Tochter des Hauses auf den Tod nicht ausstehen kann?
Tja. Natürlich hatte es genau Aylin sein müssen, welche von genau diesem Schicksal mit Füßen getreten wurde.
Als der Schleimer sich endlich von ihrer entzückten Mutter löste, die er während des Kusses auch noch Teenie-Komödien-mäßig in seine Arme gehoben hatte, lächelte er Aylin gezwungen an.
'Du mich auch.', dachte sie und warf Roy einen finsteren Blick zu, den er gekonnt ignorierte.

Auf dem Tisch standen währenddessen schon die leckersten Gerichte. Das musste man dem Kerl ja lassen. Er konnte unverschämt gut kochen.
Trotzdem war das für Aylin noch lange nicht Grund genug, um nachzuvollziehen, wie Caroline ihn hatte heiraten können.
Ihr dämlicher, kleiner Bruder Dean verstand sich prächtig mit Roy. Er wurde von ihm behandelt und bevorzugt wie ein kleiner Prinz und ließ es sich nicht nehmen, Aylin so oft wie möglich damit aufzuziehen.
Aber Aylin wollte seine Aufmerksamkeit ja nicht mal. Sie hatte definitiv besseres zu tun, als mit ihm zu langweiligen Baseballspielen zu gehen, oder drei Stunden lang auf einem See darauf zu warten, bis einer der verkorksten drei Fische, die dort hausten, endlich anbiss. Ihrer Meinung nach, war der Typ einfach nur der absolute Langweiler.
Caroline war sich dem Verachten ihrer Tochter gegenüber ihres Ehemannes sehr wohl bewusst, aber sie schien immer noch auf ein Wunder der Freundschaft zu hoffen.

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