Kapitel 7

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Aylin blinzelte. Grelles Sonnenlicht blendete sie und sie hielt sich rasch eine Hand vor die Augen, während sie die andere auf den Wecker neben sich donnerte.

Es war sechs Uhr morgens und Aylin war wie immer noch leicht orientierungslos, als sie sich verschlafen aufsetzte. Sie sah sich um.

Ihr Gesichtsausdruck verfinsterte sich, als alle Erinnerungen zurück in ihren Kopf strömten.

'Ach ja richtig. Internatsgefängnis. Erster Tag.'

"So ein Mist...", stöhnte Aylin, als sie vornüber auf ihre von der Decke versteckten Beine klappte.

"Na, na.", hörte sie plötzlich eine bekannte Stimme neben sich sagen, "So kann es doch kein guter Morgen werden."

Clarice sah sie vorwurfsvoll an, während sie den letzten Lockenwickler aus ihrem vollen, glänzenden Haar zog.

'Gibts was an der, was nicht perfekt ist? Jetzt ist die morgens auch noch gut drauf...', grummelte Aylin in ihrem Kopf und antwortete Clarice gar nicht erst.

Stattdessen schlug sie die Decke zur Seite weg und warf die Beine über die Bettkante, wo auch hier geduldig ihre Tigerhausschuhe auf sie warteten.

Sie ignorierte die kritischen Blicke ihrer Zimmergenossin entgegen besagter Schuhe, nahm sich ein Handtuch, Dusch- und Zahnputzsachen und drückte die Tür zum Flur auf. Auf dem Weg ins Badezimmer begegnete sie einigen Schülerinnen, die sie belustigt, aber auch gleichzeitig interessiert beäugten.

Aylin schluckte peinlich berührt. Sie hatte völlig vergessen wie dämlich sie in ihrem morgendlichen zerzausten Zustand ja aussah und schalt sich dafür, dass sie sich nicht wenigstens die Haare gekämmt hatte, bevor sie vor die Augen der Öffentlichkeit trat.

Sie beschleuigte ihre Schritte und war froh, dass das Gemeinschaftsbad nicht allzu weit entfernt war.

'Na das gibt ja nen tollen Eindruck von der ohnehin schon komischen Neuen...'

Sie duschte sich rasch, putzte sich die Zähne und stapfte dann mit weniger Schamgefühlen in ihr geteiltes Zimmer zurück.

Dort schlüpfte sie widerwillen in die strenge Schuluniform, band sich die langen Haare zu einem Zopf hoch und trug nur wenig Make-Up und Mascara auf.

Clarice hatte das Zimmer bereits verlassen und war zum Frühstück gegangen, aber sie war sehr früh dran, deswegen machte Aylin noch kurz ihr Bett und ließ ihre Gedanken schweifen. Ihre Bücher für den Unterricht und ihren Stundenplan würde sie kurz nach dem Frühstück erhalten. Sie verzog das Gesicht bei dem Gedanken, dass der Unterricht hier wahrscheinlich genauso langweilig und streng war wie die Uniform, die sie trug.

Sarah hatte ihr ausrichten lassen, dass sie Aylin um halb acht vor dem Speisesaal erwarten würde um sie ins Direktorat zu bringen.

Als ihre Gedanken um dieses Thema kreisten stoppte sie ihre Bewegungen ruckartig.

'Direktorat?'

Sie schluckte. Erinnerungen an die letzte Begegnung mit dem ungewöhnlichen Schulleiter und an das seltsame, heftige Gefühl wurden wach. Aylin fühlte sich plötzlich sehr unwohl und sie beschloss die Gedanken an das folgende Gespräch mit Emory vorerst zu verdrängen.

Stattdessen nahm sie sich das kleine Regelheft des Internats und stopfte es in ihre Rocktasche. Sie hatte sich vorgenommen noch ein bisschen beim Frühstück darin zu blättern.

Mit einem Blick auf die Uhr bemerkte sie, dass sie sich nun doch schon beeilen musste und schnell machte sie sich auf den Weg.

Im Speisesaal angekommen, blickte sie sich um und entdeckte schnell Blondie und Gale, welche an dem selben Tisch wie am Vortag saßen. Sie zögerte leicht, aber als Clarice dann winkte, bahnte Aylin sich erleichtert ihren Weg durch die Unmengen von Tischen.

Als sie sich setzte flüsterte Clarice grade etwas in Gale's Ohr und die beiden kicherten.

'Die haben doch alle ein Rad ab.'

Nun wandte sich Clarice an Aylin.
"Ah, der Morgenmuffel ist auch endlich da.", sagte sie grinsend, aber Aylin war eher genervt von der Bemerkung als dass sie sie lustig fand.
Sie nickte nur knapp und Clarice verdrehte teathralisch die Augen.

"Also ich hole mir jetzt jedenfalls was zu essen."

Just in diesem Moment gab Aylin's Magen grummelnde Geräusche von sich und sie stand zustimmend auf.

Sie nahm sich zwei belegte Brötchen, die auch rasch von ihr verputzt wurden. Aylin hatte schon immer einen unbändigen Hunger morgens gehabt.

Das wurde natürlich sofort kommentiert.

"Man, du isst aber schnell.", sagte Clarice, welche immer noch mit der Hälfte ihres ersten Brötchens beschäftigt war, und schmiss sich fast unterstreichend ihre Haarpracht über die Schulter.

'Nein. Ich kann sie doch nicht leiden.'

Aylin zeigte auch auf diese Aussage hin keine Reaktion und stand einfach mit einem Blick auf ihre Armbanduhr auf. Es war beinahe halb acht und Sarah würde schon draußen auf sie warten.

Ohne ein weiteres Wort verließ sie den Speisesaal, während sie das Regelheft wieder in ihre Rocktasche stopfte.
Ihr entging das
"Hey, sei doch nicht gleich beleidigt!" von Clarice keinesfalls, aber sie war mit ihren Gedanken schon ganz woanders.

Aylin war sich jetzt schon sicher, dass sie vor dem jungen Schulleiter, der für sie immer noch ein einziges Rätsel darstellte, nicht viel sinnvolles hervorbringen würde. Nicht nur seines guten Aussehens wegen, sondern auch, weil sie Angst hatte, dass er sie für verrückt halten würde, wenn sie wieder einen dieser komischen Anfälle bekam.
Sie begann leicht zu schwitzen, als sie Sarah entdeckte, welche wirklich bereits auf sie wartete. Auch heute sah sie so adrett aus wie eh und je. Die Lehrerin trug eine elegante graue Anzughose, eine ärmellose hellrosafarbene Bluse und weiße Heels, welche nur zum Teil zu sehen waren.
Ihr weißes Haar trug sie geflochten über eine Schulter und ihr Make-Up war auch heute sehr natürlich. Neben ihr fühlte Aylin sich mal wieder wie ein kleines, unreifes Kind.

"Hallo Aylin.", begrüßte Sarah sie mit ihrer hellen und sanften Stimme.
"Hallo.", gab Aylin zurück und erwiderte ihr Lächeln.

"Ich hoffe du hast die Nacht gut überstanden und bist bereit für den ersten Tag an unserem Internat."

Aylin nickte zögerlich und bekam ein verständnisvolles Lächeln von Sarah, was zeigte, dass die Lehrerin wusste, dass genau das Gegenteil der Fall war.
"Ich bin sicher du wirst dich hier gut einleben. Für dich mag es alles erstmal schrecklich und ungewohnt sein, aber das ändert sich, vertrau mir."

Aylin war sich da bei weitem nicht so sicher, aber sie zwang sich ein zuversichtliches Gesicht zu machen, als sie mit einem knappen "Ja, bestimmt." antwortete.

"Folge mir jetzt, ich bringe dich zu Mr. Renell, welchen du gestern beim Abendessen ja schon mehr oder weniger kennengelernt hast. Gestern hatte er leider nur flüchtig Zeit um mit deinen Eltern zu sprechen, aber heute würde er dich gerne offiziell in Empfang nehmen und dir deinen Unterrichtsplan inklusive Schulbücher überreichen."

Aylin nickte mal wieder - irgendwie war sie in letzter Zeit nicht die Gesprächigste - und folgte Sarah zur Tür, durch welche man in die große Eingangshalle gelangte.

Sie wusste nicht wieso, aber ein ungutes Gefühl machte sich mal wieder in ihr breit. Es war nicht so heftig, wie am Vortag, aber trotzdem nicht angenehm. Sie runzelte die Stirn.

Was war das nur immer?

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