Kapitel 3

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Als Aylin die Haustür hinter sich ins Schloss fallen ließ, hörte sie Stimmen aus der Küche. Eine war ihr fremd. Die anderen waren von ihrer Mutter und Roy.
Stirnrunzelnd ließ sie ihre Schultasche neben die Kommode im Flur fallen und machte sich sofort auf in die Küche.
Kurz bevor sie ins Blickfeld derjenigen in ihr trat, blieb sie wie vom Donner gerührt stehen, als sie hörte, was die fremde Stimme, welche offensichtlich einer Frau gehörte, nun verkündete.

"Aber natürlich Caroline. Ich werde dafür sorgen, dass Aylin sich dort zurechtfindet."

Zurechtfinden? Wo? Wer zum Teufel war diese Frau?

Als sie als nächstes Roy's Stimme vernahm, war Aylin sicher, dass sie knallrot im Gesicht war. Nicht vor Scham oder etwas Derartigem. Nein. Sie kochte vor Wut.

"Wir sind dir sehr dankbar Sarah. Aylin kann...sehr schwierig sein, weswegen sie wahrscheinlich etwas Zeit brauchen wird, sich an die neue Situation zu gewöhnen."

Erstens. Aylin hatte keine Ahnung von welcher neuen Situation hier überhaupt die Rede war. Zweitens. Sie kannte Roy erst seit einem Jahr, wie konnte der Typ es wagen einfach so über sie zu reden, als wäre er... ihr Vater? Drittens. Aylin stiegen die Tränen in die Augen. Denn egal was es letztendlich war, was sie erwartete: Es würde ihr ganz bestimmt nicht gefallen.

Zögernd trat sie nun um die Ecke in die Küche. Ihre Mutter und Roy saßen nebeneinander am Esstisch. Gegenüber von ihnen saß eine Frau. Sie musste etwa Mitte dreißig sein und hatte ihre beinahe weißen Haare, welche Aylin ehrlich gesagt einfach nur faszinierten, offen über eine Schulter gelegt.

'Mh. Sieht nicht gefärbt aus.'

Sie hatte weiche Gesichtszüge und ihre graubraunen Augen, welche seltsamerweise so gar nicht zu ihren Haaren passten, strahlten eine liebenswürdige Wärme aus, als sie nun Aylin ansah.
An Kleidung trug sie eine blassrosa Bluse, einen strengen schwarzen Rock und hohe Schuhe, welche ihre schlanken Beine betonten.
Aylin musterte sie von oben bis unten. Die Frau sah wirklich umwerfend aus und Aylin fragte sich, ob sie Sarah, sie glaubte den Namen kurz zuvor gehört zu haben, wohl gleich hasste musste.

"Hallo Aylin."
Aylin zuckte zusammen. Die leise Stimme und ganze Aura dieser Person strahlte eine solche Autorität aus, dass sie es nicht wagte etwas zu sagen.

"Aylin sei nicht unhöflich."
Das Erfurchtsgefühl verschwand und Verachtung nahm dessen Platz ein. Roy hatte keinerlei Wirkung auf sie und das schien er nun auch mit einem nervösen Blick auf Sarah zu merken.
Diese nahm keinerlei Notiz von ihm und betrachtete Aylin nur weiterhin mit diesem seltsamen und doch netten Lächeln.

"Ist schon in Ordnung.", sagte sie nun an Roy gewandt und Aylin sah belustigt, dass eine Schweißperle über die weite Stirn des Langweilers lief.

Caroline, welche bis jetzt nichts gesagt hatte, meldete sich nun ebenfalls zu Wort. Ihre Augen wanderten unruhig von Aylin zu Sarah und wieder zurück.
"Aylin...wir müssen mit dir sprechen. Setz dich doch bitte einen Moment zu uns, damit ich dir jemanden vorstellen kann."

Aylin warf ihrer Mutter einen sehr skeptischen Blick zu, näherte sich aber dennoch dem Küchentisch. Schien ja wichtig zu sein.

"So. Dann mal raus mit der Sprache. Ihr guckt ja alle so, als wäre jemand gestorben."
Aylin versuchte locker zu klingen, aber als keiner lachte, war sie einfach still.

"Aylin..." Caroline legte eine Hand auf die ihre.
"Das ist Sarah Omally. Sie...ist Lehrerin an dem Leighmont Internat, am Rand der Stadt."

Aylin blickte ihrer Mutter ausdruckslos ins Gesicht. Langsam sickerte sie Information in ihren Kopf und ihre Augen weiteten sich, als sie endlich verstand was Caroline ihr gerade mitgeteilt hatte.
"Nein..."

"Wie deine Mutter schon sagte Aylin, bin ich Lehrerin an diesem sehr schönen Internat und schon seit Jahren mit deiner Mutter befreundet.", brachte sich nun Sarah wieder mit in das Gespräch ein und Aylin's entsetzter Blick ging nun in ihre Richtung.

Der bedeutungsvolle Blickwechsel zwischen ihrer Mutter und der Lehrerin, war ihr trotz der Verwirrung aber nicht entgangen.

"Aber...", ihr stiegen die Tränen in die Augen. Diesmal wirklich, "warum tut ihr mir das an?", fragte sie leise und sah auf ihre Hände, die sich in ihrem Schoß zu Fäusten geballt hatten.

"Wir sind der Meinung, dass du mal ein wenig Abstand von deinem Alltag brauchst und...seien wir ehrlich...deine Noten sind nicht die Besten. Daher haben wir-"
"Wer hat dich eigentlich gefragt?", fauchte Aylin plötzlich Roy an und unterbrach ihn damit.
"Aylin!"
Caroline sah ihre Tochter wütend an und Aylin funkelte zurück.

Als Sarah began, wieder zu reden, senkte sich eine eigenartige Ruhe über die ganze hitzige Situation und Aylin erwischte sich dabei, wie sie trotz ihrer Wut und Angst, genau zuhörte, was die offensichtlich doch nicht so junge Lehrerin zu sagen hatte.

"Aylin sei bitte nicht so voreilig. Das Internat ist ein abgelegener Ort mit netten Leuten, an dem du deinen...Alltag mal etwas vergessen und dich wieder mehr auf den Unterricht konzentrieren kannst. Bitte sei offen für Neues und versuche es wenigstens. Ich bin sicher es wird dir gefallen."

Und nochmal ließ Aylin das alles erstmal sacken.
Sie hatte verloren.
Sie hatte noch nicht mal angefangen zu diskutieren und trotzdem wusste sie, dass sie keine Chance hatte.

In den Augen ihrer Mutter lag etwas Bestimmtes, was sie nicht oft zum Besten gab.
Entschlossenheit. Caroline war ein sehr unsicherer Mensch, aber in dieser Sache schien sie sich absolut sicher zu sein.

Aylin seufzte.
Ihr Leben und ihr Alltag würde sich komplett verändern. Sie würde Janine und Nick nicht mehr sehen können.
Sie würde stattdessen in einem spießigen Internat verrotten.                                                                   Ohne ein weiteres Wort stand sie auf und verließ die Küche. Diesmal ohne sich umzudrehen, als die Menschen ihr nachriefen.
Aber die Tränen wollten einfach nicht fließen.
Im Moment war ihr alles egal. Sie war einfach nur verletzt und wütend.

Als sie in ihr Zimmer kam, fing sie dann doch an zu weinen. Sie heulte und schluchzte und schlug so hart auf ihr Kissen ein, dass sie für einen Moment dachte, die Federn würden ihr gleich um die Ohren fliegen. Sie war so frustriert. Ihr Leben ging schon den Bach runter und nun musste sie auch noch auf so ein bescheuertes Internat.
Aber über eins wunderte sie sich. Die Antwort auf die Frage, ob sie Sarah nun hassen musste, hätte wohl eindeutig ja lauten müssen. Aber doch...tat sie es nicht. Oder konnte es nicht. Irgendetwas an dieser Frau faszinierte sie so sehr, dass sie ganz vergaß, wer sie eigentlich war und was sie ihr vor ein paar Minuten alles mitgeteilt hatte.

An diesem Tag weinte Aylin sich in den Schlaf.

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