Super-Professor

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Der Wagen ächzte regelrecht, als Jackson ihn in unsere Einfahrt lenkte. Ich schwöre, wenn man genau hinhörte, konnte man hören, wie er leise „Warum tut ihr mir das an?" murmelte. Zwischen uns überall Tüten, Farbtöpfe, zusammengerollte Teppiche und diese Bilder, die Elly unbedingt haben wollte.
Und der rosafarbene Farbeimer, der mittlerweile einfach „Baby-Rosa" hieß, thronte wie ein ehrenwertes Mitglied unserer Crew auf meinen Knien. „Wir hätten zwei Wagen nehmen sollen", murmelte ich, während ich versuchte, die Tür aufzudrücken. „Wir hätten LEBERTRAN trinken sollen, damit wir alle wachsen und stärker werden", antwortete Elly trocken, während sie rückwärts aus dem Auto stieg und die Arme voller Farbmuster hatte. „Aber hier sind wir."

Wir lachten – ein bisschen hysterisch, ein bisschen glücklich. Im Haus roch es sofort wieder nach unserer halbfertigen Zukunft. Nach Farbe. Nach Holz. Nach etwas Neuem. „Okay," seufzte ich, „Operation: Chaos beseitigen – aber erst streichen. Mama würde uns sonst die Ohren langziehen."
„Sie ist nicht mal hier", warf Jackson ein.
„Sie spürt es im Geist, wenn wir keinen Pinsel in der Hand haben." Elly knickte zustimmend. „Sie hat so eine Aura." Wir verteilten alles im Flur, halb ordentlich, halb verzweifelt. Die Farbkarten wanderten auf die Kommode, die Teppiche lehnten an der Wand, die Bilder... na ja, fielen zweimal um, bevor wir sie so hinstellten, dass sie zwar schief, aber wenigstens stabil waren. Dann griff ich nach meinem Pinsel. Das vertraute Gewicht. Dieses kleine, zufriedene Kribbeln in der Brust. „Bereit, Leute?" fragte ich. „Bereit, Chef", rief Jackson und salutierte mit einem Farbroller. „Bereit, die Wände so schön zu machen, dass sie weinen", ergänzte Elly.

Ich stellte mich wieder vor die Stelle, an der wir aufgehört hatten – eine breite Wand, halb grundiert, halb fleckig vom Licht der Nachmittagssonne. Und ich atmete einmal tief durch, bevor ich erneut eintauchte. Der erste Strich war immer der Beste. Glatt, satt, zielgerichtet. „Nira, du hast was im Haar", meinte Elly nach ungefähr zwei Minuten. Ich seufzte. „Ich weiß. Es ist Tradition."
„Es sind drei Farben", ergänzte Jackson.
„Auch das ist Tradition."

Und so füllten wir wieder Raum für Raum mit Farbe. Mit Chaos. Mit Gelächter. Mit dem Gefühl, dass irgendwas an diesem Tag – an diesem Leben – richtig war. Und während ich strich, dachte ich an Jinyoung. Ob er schon bei der ersten Uni war. Ob er nervös war. Oder ob er gerade jemanden mit seinem perfekten, höflichen Lächeln umgehauen hatte. Ich lächelte vor mich hin. „Guter Tag?" fragte Elly leise. Ich nickte. „Ja. Ein richtig schöner."

Wir legten eine Pause ein, ich half Mama in der Küche, Elly half meinen Papa im Garten und Jackson ging meinen Geschwistern auf die Nerven. Perfekte Aufteilung. Ich sitze am Esstisch meiner Eltern und sortiere Paprikastreifen nach Farbe, als würde davon die Zukunft der Menschheit abhängen. Eigentlich war das der Plan: irgendwas mit den Händen machen, damit mein Kopf nicht komplett durchdreht. Hat super funktioniert. Bis jetzt. Also gar nicht. Mama klappert hinter mir mit Töpfen, riecht nach Knoblauch, Tomaten und ihrer Lieblingscreme, und jedes Mal, wenn sie an mir vorbeiläuft, streicht sie mir im Vorbeigehen kurz über den Rücken. Beruhigend. Und gleichzeitig gar nicht. „Er ist ein guter Junge", sagt sie schließlich, ohne dass ich überhaupt etwas gesagt habe. Natürlich. „Ich hab nichts gesagt", murmele ich. „Musst du nicht." Sie stellt die Pfanne auf, dreht die Hitze runter. „Seit du heute Morgen seine Krawatte zum dritten Mal gerichtet hast, war mir alles klar." Ich starre auf die Paprika. „Sie war schief."
„Mhm." Mama zieht das „Mhm" so lang, dass ich es körperlich spüre. „Und dein Herz war laut." Ich will protestieren, aber in dem Moment quietscht die Haustür. Dieses ganz bestimmte Geräusch, das ich seit meiner Kindheit kenne. Metall, Holz, ein bisschen Wind. Normalerweise bedeutet es: Papa kommt von der Arbeit, eines der Geschwister stürmt rein, irgendwer hat wieder was vergessen. Heute bedeutet es nur eins: Er ist zurück.

Mein Messer bleibt mitten in der Luft stehen. Meine Hände sind plötzlich schwitzig. Großartig. „Niiiiraaa!" Sofia schreit durch den Flur, als wären wir in einem Palast und sie mein persönlicher Herold. „Der Professor ist daaa!" Mama verdreht liebevoll die Augen. „Geh schon", sagt sie nur. „Sonst fällt er im Flur um, bevor er überhaupt gegessen hat." Ich lege das Messer hin, atme einmal tief durch – bringt nichts – und wische mir trotzdem die Hände an meinem Geschirrtuch ab, als könnten meine Finger damit irgendwie ruhiger werden. Dann gehe ich in den Flur.

Jinyoung steht dort, immer noch im hellen Hemd und Blazer, Krawatte locker, Haare ein bisschen durcheinander vom Wind. Seine Mappe hält er so fest, als wäre sie sein letzter Rettungsring. Und trotzdem – seine Augen. Dieses kleine Leuchten, das er nicht ganz verstecken kann. Mein Herz macht den dummen Salto, den es immer macht, wenn ich ihn sehe. „Hi", sage ich, und meine Stimme ist zu weich. Zu persönlich. Nicht für Hausflur-Akustik gedacht. „Hi", antwortet er, genauso weich. Hinter ihm klebt Sofia an der Wand wie eine sehr laute Deko, der Kopf zwischen uns eingeklemmt, weil sie wirklich alles sehen will. Mateo steht mit verschränkten Armen am Türrahmen zum Wohnzimmer, halb beschützerisch, halb neugierig, und Lucia lehnt auf dem Treppengeländer, als wäre das hier eine Live-Soap.
Familie. Toll.
„Und?" fragt Sofia direkt. „Bist du jetzt der Super-Professor oder nicht?"
„Sofia." Mateo schnaubt.
Jinyoung lacht leise, aber sein Blick bleibt an mir hängen.
Er macht einen Schritt näher. Nur einen. Genug, dass ich seinen Atem hören könnte, wenn es im Flur nicht so laut wäre. „Darf ich...?" Er hebt kurz die Mappe. „Kann ich dich kurz sprechen?" Ich nicke, schnapp mir seine Jacke und ziehe ihn an den Rand des Flurs, ein Stück Richtung Gästezimmer, weg von den Augen der kleinen Paparazzi.
Sofia dreht sich demonstrativ mit. Mateo seufzt und hält ihr kurzerhand die Augen zu.

„Heeey!"
„Du siehst später alles", sagt er. Ich liebe meinen Bruder. Kaum sind wir halb hinter der Ecke, schaut Jinyoung mich an. Jetzt, wo wir für alle anderen „verschwunden" sind, fällt der ganze Uni-Dozent-Teil für einen Moment von ihm ab. Zurück bleibt nur... er. „Also?" flüstere ich, obwohl das eigentlich albern ist. „Wie war's?" Er atmet aus. Langsam. Und dann setzt sich dieses Lächeln durch, das ich inzwischen auswendig kenne – das kleine, schiefe, das er nur zeigt, wenn er selbst noch nicht ganz glaubt, dass etwas gut gelaufen ist. „Ich hab sie", sagt er. Leise, aber klar. „Die Stelle."

Mein Gehirn braucht eine Sekunde, um das zu verarbeiten. Die Stelle. Die Gastprofessur. An der Uni hier. In meiner Heimatstadt. In meinem Land. „Wirklich?" Meine Stimme rutscht ein bisschen höher, als ich geplant hatte. Er nickt. „Sie... äh... fanden es gut, dass ich schon Erfahrung habe, und die Kombi aus Mathe und Geschichte passt in deren Programm. Und..." Er zögert. „Sie fanden es interessant, dass ich bereit bin, für mindestens ein Jahr hierher zu ziehen." Da ist es. Das Wort. Ziehen. Ich merke, wie meine Finger sich in seinem Ärmel festkrallen. „Das heißt... du..." „Ich komme her", beendet er den Satz für mich. „Nicht nur besuchen. Richtig. Mit Wohnung. Verträgen. Vorlesungen. Alles." Ich starre ihn an. Dummerweise nicht besonders elegant, sondern mit offenem Mund. Er wird leicht rot. „Also... falls du mich hier überhaupt in deiner Nähe haben willst."

Ich antworte nicht. Ich stoße nur einen Ton aus, der irgendwo zwischen Lachen, Schluchzen und „Oh mein Gott" liegt, und werfe mich dann praktisch gegen ihn. Meine Arme landen um seinem Hals, seine Hände finden automatisch meinen Rücken, und zum ersten Mal seit diesem Morgen lasse ich alles los. „Du bist verrückt", murmele ich gegen seine Schulter. „Ein bisschen", gibt er zu. „Aber mathematisch kalkuliert." „Das war keine gute Rechnung", schnief-lache ich. „Du ziehst für mich ans andere Ende der Welt."

„Für uns", korrigiert er leise.

Urgh. Herz. RIP.

„Ihr wisst schon, dass wir ALLES hören?" ruft Sofia aus dem Flur.
„SOFIA!" Mama diesmal, aus der Küche.

Wir lösen uns halb voneinander, bleiben aber nah. Sein Stirnrunzeln ist zurück. „Ich wollte... es eigentlich allen zusammen beim Essen erzählen", sagt er. „Deiner Familie. Offiziell. Wie so ein... kleiner Antrag ohne Ring." Ich pruste los. „Bitte nenn es nie wieder so."
„Zu spät." Trotzdem nicke ich. „Okay. Dann tu so, als hätte ich gerade nicht schon alles erfahren."

„Das wird schwer." Er streicht mir mit dem Daumen kurz über den Handrücken, als müsste er sich selbst beruhigen. „Du siehst... sehr stolz aus." Ich hole tief Luft, zwinge meine Gesichtsmuskeln zu „ganz normale"-Neutralität und zupfe an seiner Krawatte herum. „Die ist schon wieder schief", sage ich nur.
„Die war nie gerade", murmelt er.

Wir gehen zurück in den Flur. Sofia reißt sich gerade zum dritten Mal von Mateos Hand los. „UND?!" Ich grinse. „Beim Abendessen", sage ich nur. Sofia jault. „Das ist Folter!"
„Willkommen im Erwachsenenleben", kommentiert Lucia trocken von der Treppe.

The way that I'm addicted is specificWo Geschichten leben. Entdecke jetzt