29 | IVETE

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Los Angeles.

Als ich am späten Nachmittag endlich das Ortsschild vor mir sehe, atme ich erleichtert auf. Ich bin auf dem Heimweg nach einem nicht enden wollenden Arbeitstag. Frühmorgens nach San Diego, dort den ganzen Tag auf einer Auktion, Gespräche mit potenziellen Kunden, auf die ich mich nur mit großer Mühe konzentrieren konnte, und dann eine Heimfahrt, auf der ich verkehrsbedingt mehr im Schritttempo unterwegs war, als dass ich die PS meines BMW wirklich ausnutzen konnte.

Nachdem ich den ganzen Vormittag versucht hatte, Bob zu erreichen, er aber wie vom Erdboden verschluckt war, bin ich fast durchgedreht und hätte beinahe die Polizei, die Feuerwehr, die Nationalgarde und alle, die mir sonst noch in den Sinn kamen, informiert. Ich hatte mir schon alle möglichen Horrorszenarien ausgemalt, wie er irgendwo in Los Angeles in einem Hinterhof lag, ausgeraubt und zusammengeschlagen. Peter anzurufen war für mich der letzte Strohhalm. Und als hätte er es gespürt, erhielt ich kurz nach dem Anruf tatsächlich eine Nachricht von Bob.

Ich brauchte Zeit zum Nachdenken. Mach dir keine Sorgen, mir geht es gut.

Die Nachricht war keineswegs zufriedenstellend und gab auch keine Erklärung für seinen Aufenthaltsort, den ich nur dank Peter wusste. Aber immerhin war es ein Lebenszeichen, das mich irgendwie den Tag überstehen ließ.

Dass ich nicht mit ihm reden konnte, macht mich fertig. Was in der Nacht passiert ist, hätte so nicht passieren dürfen. Ja, Peter und ich haben Fehler gemacht. Aber Bob hat uns in der denkbar ungünstigsten Situation erwischt und die völlig falschen Schlüsse gezogen.

Wobei, sind sie wirklich völlig falsch? Ja, es war nur der eine Kuss. Aber Tatsache ist, dass sich unsere Gefühle füreinander in den letzten Wochen verändert haben. Was das bedeutet und welche Konsequenzen das haben wird, weiß ich noch nicht. Aber die Frage, ob da wirklich nichts ist, kann ich inzwischen nicht mehr ehrlich mit ›Nein‹ beantworten, so viel steht fest.

Caralho! Es hätte nie so weit kommen dürfen und ich hoffe sehr, dass ich das irgendwie wieder in Ordnung bringen kann. Aber dazu muss ich erst einmal Bob finden.

Am liebsten hätte ich jetzt mit meiner Schwester über die Situation gesprochen. Sie weiß ja noch gar nicht, was zwischen Peter und mir passiert ist. Und sie hätte mir so richtig den Kopf gewaschen, was unangenehm gewesen wäre, aber mir auch geholfen hätte, mich zu beruhigen und die Situation neutral zu sehen. Aber ich erreiche sie nicht. Keine Ahnung, wo sie sich rumtreibt.

Eine Stunde später bin ich endlich in Rocky Beach angekommen und steuere den Schrottplatz an. Ich war noch nicht so oft hier, weshalb ich mir die Adresse des ›Gebrauchtwarencenters T. Jonas‹ aus dem Internet besorgt habe. Das wäre allerdings gar nicht nötig gewesen, denn das Gebrauchtwarencenter, alias Schrottplatz, ist ein ziemlich prominenter Ort in der Kleinstadt Rocky Beach.

Das Gelände ist umsäumt von einem hohen Holzzaun, auf dem sich eine ganze Menge Künstler ausgetobt haben. Als ich das letzte Mal hier gewesen bin, habe ich die Kunstwerke, die ganze Landstrafen mit Geschichten darstellen, bewundert. Nun habe ich da keinen Sinn für. Das große Tor, über dem in großen Lettern ›Gebrauchtwarencenter T. Jonas‹ steht, ist offen und ich fahre meinen BMW auf das Gelände. Links ist neben Unmengen an Regalen voller Ware ein Parkplatz, auf den ich mich stellen kann.

Viel Kundschaft ist aktuell nicht da, daher bleibe ich nicht lange unbemerkt. Als ich aussteige, sehe ich Justus bereits vor einer niedrigen Hütte stehen, über der das Schild ›Büro‹ prangt. Abwartend sieht er mir entgegen, als ich auf ihn zugehe und lässt sich wie immer keinerlei Gefühlsregung ansehen. Seine Reaktion – oder besser gesagt Nicht-Reaktion – macht mich nervös. Ist Bob jetzt hier oder nicht? Wenn nicht, habe ich ein Problem. Ich könnte es noch bei seinen Eltern versuchen, aber dann gehen mir die Ideen aus.

Unbekannter Gegner (Drei Fragezeichen Fanfiction)Where stories live. Discover now