5 | PETER

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Etwa zwei Stunden später hat sich die Stimmung etwas aufgelockert und ich finde es gar nicht mehr so schlimm, hier zu sein. Der Waffenstillstand zwischen uns hält - und das erstaunlich gut. Das vorsichtige Abtasten am Anfang haben wir inzwischen hinter uns gelassen. Wir haben beide eine Weile gebraucht, bis wir nicht mehr jedes Wort dreimal umgedreht haben, damit es nicht provozierend klingt.

Ivete knüpft fleißig neue Kontakte oder frischt alte auf. Einige sind sogar ganz nett, auch wenn mir viele ziemlich abgehoben vorkommen. Aber trotzdem habe auch ich in der Zwischenzeit einige nette Gespräche geführt. Meistens über Sport. Sport ist immer ein guter Aufhänger.

Aber seit der Begegnung mit unserem Gastgeber beobachte ich die Menschen - vor allem die Männer - um uns herum noch genauer und bin ziemlich erschüttert, wie viele sich nach Ivete umdrehen. Allen voran unser Gastgeber, dieser schmierige, widerliche Ortiz. Mir war vorher nicht bewusst, was eine junge, attraktive Frau wie Ivete alles ertragen muss. Ich sehe ihr Leben und ihre Arbeit nun in einem ganz anderen Licht und bei weitem nicht mehr so glamourös, wie ich es bisher getan habe. Wenn ich daran denke, wie Ortiz Ivetes Haut mit seinen schmierigen Fingern berührt hat, wird mir immer noch schlecht. Ich weiß nicht warum, aber der Kerl hat sofort alle Alarmglocken in mir ausgelöst. Am liebsten hätte ich Ivete in diesem Moment in meine Arme gezogen, um ihm zu zeigen, dass sie ›mein‹ ist.

Dabei ist sie gar nicht ›meine‹ und ich bezweifle, dass sie es so lustig gefunden hätte, wenn ich sie vor den Augen eines Geschäftskunden auf so primitive Art und Weise markiert hätte. Trotzdem bin ich ihr nicht von der Seite gewichen und habe allen Gaffern so gut es ging zu verstehen gegeben, zu wem sie gehört. Entweder durch Blicke oder manchmal durch Gestik, indem ich meinen Arm um ihre Taille legte.

Ich kenne dieses besitzergreifende Verhalten von mir nicht. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich es Bob schuldig bin. Schließlich bin ich mit seiner Freundin hier. Und ich wollte ihr auch das Gefühl geben, da zu sein. Nicht nur physisch neben ihr zu stehen, sondern wirklich ›anwesend‹ zu sein.

Ivete wendet sich in diesem Moment von ihren Gesprächspartnern ab und schaut mich an. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, prostet sie mir mit ihrem alkoholfreien Cocktail zu. Ich tue dasselbe mit meinem. Ich weiß nicht, wo sie ihn aufgetrieben hat, aber er schmeckt erstaunlich gut. Und ich bin sehr dankbar, ein Getränk in der Hand zu haben, das mich nicht völlig benebelt. Ich erinnere mich dunkel, wie Bob einmal erzählte, dass Ivete kaum Alkohol trinkt. Weil sie es hasst, die Kontrolle zu verlieren. Er nannte sie liebevoll ›Kontrollfreak‹. So blöd ist das aber eigentlich nicht. Vor allem nicht, wenn sie normalerweise allein zu solchen Veranstaltungen geht.

Ivete kommt einen Schritt näher und reckt sich, um mir etwas ins Ohr zu flüstern. Sie ist bestimmt einen Kopf kleiner als ich, also mache ich es ihr leichter und beuge mich ein wenig vor.

»Du siehst aus, als wärst du endlich angekommen. Oder ist der Fluchtreflex immer noch so stark und du hast ihn nur besser unter Kontrolle?«

Ich muss lächeln. »Im Moment finde ich es eigentlich ganz erträglich.«

Sie erwidert mein Lächeln. »Das freut mich. Willst du ein bisschen rausgehen? Wir stehen hier schon seit Ewigkeiten und ich brauche etwas Bewegung.«

Ich nicke zustimmend. Tatsächlich kann ich schon eine ganze Weile nicht mehr still stehen und wippe die ganze Zeit irgendwie mit den Füßen.

Wir trinken unsere Getränke leer und ich stelle beide Gläser auf das Tablett einer gerade vorbeigehenden Servicekraft ab. Ivete verabschiedet sich von ihrem Gesprächspartner und wir schlendern langsam durch den Saal. Als ich den Weg zur großen Terrasse einschlagen will, hält sie mich jedoch zurück. Fragend schaue ich sie an und bemerke plötzlich, dass sich ihre Stimmung verändert hat. Sie wirkt nachdenklich und ein wenig wie ein kleines Kind, das etwas ausgefressen hat.

Ihr Verhalten weckt sofort mein Misstrauen. »Was ist los?«

Sie holt tief Luft und sieht mich ernst an. »Ich hab da noch ein Anliegen«, gesteht sie mir und irgendwie ahne ich, dass mir ihre nächsten Worte nicht gefallen werden.

Sie dreht sich wieder in Richtung des Saals und deutet mit dem Kinn nach rechts. »Siehst du den Mann mit den langen schwarzen Haaren und der Brille? Bei ihm steht eine Frau in einem recht auffälligen, bordeauxroten Kleid. Das ist Ritsuki Ozawa, ein Geschäftsmann aus Japan, der mit Seay Geschäfte macht. Ich bin schon seit längerem hinter ihm her und habe nun erfahren, dass er hier im Hilton untergekommen ist. Das wäre also die perfekte Gelegenheit ...«

Was sie mir weiter erzählt, höre ich gar nicht mehr. Ich wusste es! Ich wusste die ganze Zeit, dass man ihr nicht trauen darf. Dass alles, was sie tut, nur zu einem bestimmten Zweck geschieht.

Ein Gedanke schießt durch meinen Kopf und durchbohrt mich wie ein scharfes Messer. Dass ich heute hier bin, ist bestimmt kein Zufall. Das ganze Gerede darüber, dass sie jemanden an ihrer Seite haben will, den sie kennt - das war doch alles Quatsch! Vielleicht hat sie Bob die Idee in den Kopf gesetzt und ihn so manipuliert, dass er glaubt, es sei seine eigene Idee. Das würde ich ihr auf jeden Fall zutrauen.

Langsam schüttel ich den Kopf und unterbreche sie damit in ihrem Redeschwall. »Nein!«

»Peter, hör dir bitte erst mal an, was ...«

»Nein!«, sage ich energischer, aber immer noch so leise, dass wir nicht auffallen. Meine Stimme klingt kalt und hart und lässt keinen Zweifel, dass ich es todernst meine.

Ivete klappt den Mund zu und atmet tief durch.

»Ich will nicht hören, was du da geplant hast! Ich will mit deinen krummen Geschäften nichts zu tun haben, Ivete!«

Ich bin einfach fassungslos! Und ich fühle mich richtig mies. Ausgenutzt und verraten. Warum habe ich nicht auf mein Bauchgefühl gehört und von vorne herein abgesagt?

»Hättest du das auch geplant, wenn Bob mitgekommen wäre?«, frage ich weiter und beantworte mir die Frage selbst. »Ja, hättest du. Einmal mit den Wimpern klimpern und deinen Charme spielen lassen und Bob hätte sogar die Mona Lisa für dich geklaut. Aber das kannst du bei mir vergessen!«

»Hör auf, so unfair zu sein«, verteidigt sie sich. »Bob hätte mitgemacht, aber nur, weil er weiß, was es mir bedeutet!«

»Hattest du nicht gesagt, dass du die Sache mit Seay auf sich beruhen lässt? Wir haben den Fall nach Absprache mit dir und deinem Vater vor Monaten fallen lassen, weil es nach erneuter Einschätzung deines Vaters zu gefährlich für uns alle ist.«

Sie schüttelt den Kopf und stößt ein abfälliges Schnauben aus. »Ich werde es nie ruhen lassen, egal, was er sagt. Seit Monaten bin ich in der Sache nicht mehr weitergekommen. Heute ist DIE Gelegenheit.«

Wut durchströmt meine Adern. »Du hast dich kein bisschen geändert. Nur deine eigenen Interessen zählen, sonst nichts! Und weißt du, was ich dir wirklich übel nehme? Dass du Bob wieder mit reinziehst! Du hast ihn schon einmal in Schwierigkeiten gebracht und würdest es ohne Skrupel wieder tun!«

»Das passiert mir definitiv kein zweites Mal, verlass dich drauf!«

Dass sie keine Einsicht zeigt, sollte mich nicht überraschen. Trotzdem weiß ich nicht mehr, was ich antworten soll. Ich weiß nur eins: Ich muss hier raus! Sonst flippe ich noch vor den Augen der ganzen Gesellschaft aus.

»Ich brauche frische Luft«, sage ich emotionslos. »Mach hier fertig, was immer du zu tun hast. Ich nehme mir ein Taxi und fahre nach Hause.«

Damit drehe ich mich um und lasse sie einfach stehen.

Unbekannter Gegner (Drei Fragezeichen Fanfiction)Where stories live. Discover now