16 | Vilão*

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Die Dunkelheit der Nacht weicht langsam dem anbrechenden Tag, und die ersten Anzeichen der aufgehenden Sonne zeigen sich über den nahen Hügeln. So früh am Morgen herrscht Stille im Viertel. Die Nachbarn schlafen noch oder endlich, und alles ist still. Keine lauten Stimmen, kein Kindergeschrei, keine voll aufgedrehte Musik, niemand, der Rasen mäht. Auch im Haus herrscht Stille, besonders hier im Keller, abgesehen vom Ticken der Wanduhr, die er hier unten aufgehängt hat. Aber er genießt die Ruhe, die der anbrechende Tag mit sich bringt. Es ist die perfekte Atmosphäre, um nachzudenken und Pläne zu schmieden. Die Ruhe vor dem Sturm.

Er lacht über diese überaus passende Metapher.

Zufrieden betrachtet er die Wand, die er in den letzten Monaten immer weiter ausgebaut hat. Fotos, ausgedruckte Informationen, Zeitungsartikel, kleine Zettel mit Stichworten. Alles ist geordnet und an der Wand befestigt.

Monatelange Vorarbeiten, Mühen und Entbehrungen scheinen sich endlich zu einem stimmigen Ganzen zusammenzufügen. Nicht zuletzt durch die unerwartete Hilfe und die wertvollen Informationen, die er erhalten hat.

Ja, er kann zufrieden sein. Bald ist es so weit! Endlich! Bald hat er sie dort, wo er sie haben will! Aber bis dahin sind noch einige Schritte zu gehen und Weichen zu stellen. Der Gedanke an das große Finale, das er sich ausgedacht hat, löst ein angenehmes Kribbeln in ihm aus.

Er greift nach dem Umschlag auf dem Schreibtisch und breitet die Bilder darin vor sich auf dem Boden aus. Er hat sie extra in einem Copyshop ausdrucken lassen. In solchen Dingen ist er altmodisch und nutzt lieber analoge Möglichkeiten, um seine Informationen zu sichten und zu sortieren. Das ist für ihn immer noch die beste Methode, um den Überblick zu behalten und das große Ganze nicht aus dem Blick zu verlieren.

Die Fotos hat er in der letzten Woche gemacht, aber noch keine Zeit gehabt, sie an die Wand zu hängen. Alle zeigen seine Zielperson in unterschiedlichen Situationen. Mal sitzt sie in einem Café. Mal ist sie unterwegs, mit dem Handy am Ohr. Mal ist sie mit ihren Freundinnen zu sehen. Oder mit ihrem Freund, diesem Blonden mit der Brille.

Und dann hat er das Foto in der Hand, das er vor dem Beverly Hilton gemacht hat, an diesem Samstag letzter Woche. Sie in ihrem fantastischen Kleid, in Begleitung dieses großen sportlichen Mannes mit den rotblonden Haaren.

Beim Anblick des Mannes überkommt ihn eine Wut, die er aber ebenso schnell wieder verdrängt, wie sie gekommen ist. Eigentlich muss er ihm dankbar sein, dass er seine ursprünglichen Pläne durchkreuzt hat. Sie waren unausgereift und zeugten von seiner Ungeduld. Durch sein Eingreifen wurde ihm die Chance gegeben, alles noch einmal zu überdenken und sich etwas viel Besseres für sie einfallen zu lassen. Mit den zusätzlichen Informationen und der Unterstützung war das ein Kinderspiel.

Ein Grinsen legt sich über seine Lippen. Den Plan wird er vermutlich noch einmal anpassen müssen, wenn er das, was er in diesem angesagten Club gesehen hat, richtig deutet.

Sein Blick wandert suchend an der Wand entlang, bis er das Foto entdeckt, das ihm gerade in den Sinn gekommen ist. Ein Paar ist darauf zu sehen, sie und diese Brillenschlange. Sie gehen nebeneinander über den Bürgersteig und scheinen gut gelaunt zu sein. Sie sagt etwas, er lacht herzhaft. Ein hübsches Paar, muss er zugeben. Und ein sehr glückliches Paar. So erweckt es jedenfalls auf den ersten Blick den Anschein.

Er nimmt die Fotografie ab, greift mit der anderen Hand nach dem Bild vor dem Beverly Hilton und hält beide nebeneinander. Es hatte genug Gelegenheiten gegeben, die beiden auf der Gala zu beobachten. Auch mit dem großen Mann scheint sie vertraut zu sein, wenn auch auf eine ganz andere Art und Weise. Allein die Art, wie er sie verteidigt hatte, spricht eine deutliche Sprache. Allerdings hatte es keine intimen Gesten zwischen den beiden gegeben. Zumindest waren ihm keine aufgefallen.

Bis auf diese eine Situation im Club. Hat er sie vielleicht fehlinterpretiert? Oder verbargen die beiden bisher einfach nur sehr geschickt ihre Gefühle vor der Außenwelt?

Das Grinsen wird breiter. Das ist etwas, was er unbedingt weiter beobachten muss. Ja, vielleicht wird ihm diese Information auch in die Hände spielen. Aber zunächst hat er andere Pläne, und es ist Zeit, die erste Phase einzuleiten.


* [= Bösewicht/Gegner]

Unbekannter Gegner (Drei Fragezeichen Fanfiction)Where stories live. Discover now