6 | IVETE

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Ich habe Mist gebaut. Richtigen Mist. Das war mir sofort klar, als ich Peters Gesichtsausdruck gesehen habe. Den Ausdruck von Enttäuschung und Resignation in seine Augen werde ich so schnell nicht vergessen.

Betroffen sehe ich ihm nach, als er den Saal verlässt. Schnellen Schrittes und mit angespannten Schultern. Sichtlich darum bemüht, nicht die Fassung zu verlieren. Vermutlich ist ihm gerade eher danach, eine Tür einzutreten.

Merda!

Ich habe auch das Gefühl, dass dieses Mal etwas zerstört wurde, was nicht wieder gut zu machen ist. Ich verfluche mich dafür, dass ich die Situation so falsch eingeschätzt habe. Der Abend lief so gut, aber unser Waffenstillstand war offensichtlich brüchiger, als ich dachte.

Und jetzt hab ich es versaut.

Unschlüssig gehe ich wieder zurück und lasse den Blick durch den Saal schweifen.

Mein Blick fällt auf Ozawa, der sich köstlich zu amüsieren scheint und nicht danach aussieht, als wolle er die Party in nächster Zeit verlassen.

Was mache ich jetzt? Soll ich mir diese einmalige Chance entgehen lassen? Seit Monaten warte ich darauf, an Ritsuki Ozawa heranzukommen. Er ist einer der engsten Verbündeten von Seay, und es gibt Hinweise darauf, dass auch er in die Geschäfte verwickelt war, die meiner Mutter das Leben gekostet haben.

Während er hier beschäftigt ist, wollte ich mich in Ruhe in seiner Suite umsehen. Ich denke nicht, dass er Unterlagen dabei hat, aber auf einen Laptop habe ich gehofft. Und mithilfe des kleinen Sticks, den mir meine Schwester besorgt hat, hätte ich die komplette Festplatte einfach kopieren können. Meine Schwester ist ein Computerfreak und hat mich in den letzten Jahren mit der entsprechenden Technik ausgestattet. Nette kleine Gadgets, die meine Arbeit einfacher und vor allem sicherer gemacht haben.

Das alleine zu machen wäre eigentlich keine große Sache. Aber plötzlich habe ich ein wahnsinnig schlechtes Gefühl dabei. Es fühlt sich falsch an, jetzt so etwas durchzuziehen. Ohne Peter und nach dem Streit, den wir hatten.

Ob er sich schon ein Taxi genommen hat? Sollte ich ihm nicht besser hinterherlaufen? Aber was sollte das bringen? Wir sind beide temperamentvoll und würden uns vermutlich lediglich an die Gurgel gehen. Ich hätte Peter definitiv früher vom meinen Plänen in Kenntnis setzen sollen. Das sehe ich definitiv ein. Aber seine Reaktion hat mich auch verletzt. Die Jagd nach Seay ist etwas, dass ich nicht so leicht aufgeben kann, auch wenn mein Vater mir alle Aktionen in dieser Richtung quasi verboten hat. Ich habe es akzeptiert und Monatelang die Füße still gehalten. Als ich aber dann auf der Gästeliste den Namen von Ozawa gelesen hatte, konnte ich nicht anders, als die Chance zu ergreifen. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass Peter das versteht. Immerhin geht es darum, den Mord an meiner Mutter aufzuklären. Und er kennt meine Motive sehr genau.

Unschlüssig stehe ich am Rand des Saals, drehe meine Clutch in den Händen und überlege, was ich machen kann.

»Miss, darf ich Ihnen ein Glas Champagner anbieten?«, fragt mich plötzlich eine Frauenstimme.

Ich drehe mich zu ihr um und will automatisch ablehnen, als ich die Frau mit dem Tablett voller Gläser vor mir stehen sehe. Aber - puta de merda! - warum eigentlich nicht. Vielleicht hilft mir das, Ordnung in meine Gedanken zu bekommen.

»Gerne.« Mit einem Nicken nehme ich die Flöte mit dem sprudelnden Getränk entgegen, die sie mir reicht.

Während ich trinke, beobachte ich einfach nur das Geschehen um mich herum und lasse meine Gedanken schweifen.

Vielleicht gäbe es eine andere Möglichkeit, an Informationen zu kommen. Es sollte eigentlich kein Problem sein, Ozawa in ein direktes Gespräch zu verwickeln. Nach meinen Recherchen war er mehrfach in Brasilien tätig und hat dort unter anderem mit Diamanten gehandelt. Da auch meine Familie ihr Vermögen ursprünglich mit Diamanten gemacht hat, wäre das ein guter Anknüpfungspunkt. Mein Vater hat sich zwar schon vor meiner Geburt aus dem Geschäft zurückgezogen und sich dem Kunsthandel gewidmet, aber ich habe immer noch einen kleinen Einblick. Außerdem scheint Ozawa hübschen Frauen nicht abgeneigt zu sein, wie man an der Traube von Begleiterinnen sehen kann. Etwas, das ich nur ungern ausnutze, aber manchmal heiligt der Zweck die Mittel. Das Problem ist nur, dass ich dann meine Deckung aufgeben und mich direkt zeigen muss. Bisher habe ich ausschließlich im Hintergrund agiert.

Ein plötzlich auftretender Schwindel stoppt meine Überlegungen. Ich schließe die Augen und kneife mir in die Nasenwurzel, aber der Schwindel bleibt. Wo kommt das so plötzlich her?

Als ich die Augen wieder öffne, hat sich das Licht irgendwie verändert. Es ist greller und sticht mir in den Augen. Auch die Musik scheint plötzlich lauter und irgendwie unangenehm. Ich will mich abwenden und halte mich instinktiv an einem der Stehtische fest, als ich mein Gleichgewicht verliere.

Merda! Was ist hier nur los? Ich habe nur Champagner getrunken! Seit wann reagiere ich so heftig auf das Zeug?

Apropos, wo ist mein Glas?

Mehrfach blinzele ich, atme ruhig und tief und versuche irgendwie, die Orientierung zu behalten. Dann fällt mir die kleine Pfütze vor meinen Füßen auf und die vielen Scherben, die das Licht reflektieren.

»Miss, ist alles in Ordnung?«, ertönt eine mir unbekannte Männerstimme neben meinem Ohr.

Ich versuche mich zu ihm hinzuwenden, aber der Schwindel erfasst mich mit der Wucht eines Vorschlaghammers. Ich wäre vermutlich zu Boden gegangen, wenn mich nicht jemand festhalten würde.

»Kommen Sie, ich bringe Sie an die frische Luft, dann wird es sicher gleich besser.«

Etwas eiskaltes Wasser im Gesicht wäre mir lieber.

Und Peter. Wo zur Hölle ist Peter? Warum ist er nicht hier, wenn ich ihn brauche?

Ich versuche zu sprechen, aber aus meinem Mund kommt einfach nichts Vernünftiges, weil meine Zunge mir nicht mehr gehorcht. Und doch gelingt mir irgendwann offenbar doch ein Laut, der einem Namen irgendwie ähnelt.

Der Mann scheint jedenfalls zu verstehen, was ich meine. »Ihren Begleiter habe ich gerade gesehen. Ich bringe Sie zu ihm«, bietet er hilfsbereit an.

Erleichterung durchflutet mich. Ich spüre, wie ich weggeführt werde. Wohin, keine Ahnung. Irgendwie verliert alles plötzlich an Bedeutung und sämtliche Probleme treten in den Hintergrund. Ich habe vollkommen die Orientierung verloren. Starke Arme halten mich fest und verhindern, dass ich einfach wie ein gefällter Baum umkippe. Die Musik wird leiser und erträglicher, das Licht verändert sich auch. Plötzlich ist alles so viel erträglicher für meine überreizten Sinne. Und ich bin einfach nur dankbar, dass mir jemand in dieser unangenehmen Situation hilft und mich zu Peter bringt. Weg aus dem Saal voller Menschen, die mich in diesem Zustand nicht unbedingt sehen müssen.

Aber da ist auch eine leise Stimme, die mich vor etwas warnt. Ich verstehe nicht, wovor, aber sie lässt nicht locker. Eine Frage ist besonder laut und durchdringt schließlich den seltsamen zähen Nebel, der meine Gedanken umgibt.

Kenne ich den Mann? Woher weiß er, mit wem ich heute Abend hier bin?

Und als plötzlich die Geräusche nur noch gedämpft zu mir dringen und die Helligkeit gegen Dunkelheit ausgetauscht wird, lichtet sich der Nebel noch weiter und mir wird eins ganz klar:

Ich stecke in großen Schwierigkeiten.

Ich stecke in großen Schwierigkeiten

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Unbekannter Gegner (Drei Fragezeichen Fanfiction)Where stories live. Discover now