Kapitel 1

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Die Vögel zwitscherten bereits munter, als Rose Vallington von ihrer Zofe geweckt wurde. ,,Mylady, es ist Zeit aufzustehen. Euer Vater hat Besuch und wünscht Euch bald in Empfang nehmen zu können, um Euch einem seiner Freunde vorzustellen." Rose seufzte. Sie wusste genau wie so eine Vorstellung ablief.
Ihr Vater stellte sie als die verantwortungsvollste und liebenswerteste junge Frau des gesamten Königreiches da, um sie dann herum zeigen zu können wie ein Tier, das er erlegt hatte. Sie kam sich vor wie eine Trophäe, die er von Hand zu Hand reichte, damit sie bekannter wurde und so vielleicht irgendwann eine gute Partie mit einem reichen Gatten abgeben könnte. Und zu ihrem Leidwesen wusste sie auch, dass sie sich ihrem Vater nicht zu widersetzen hatte. Also ließ sie sich ankleiden und ihre Haare frisieren. Wenig später schritt sie möglichst elegant die lange Wendeltreppe zum Spiegelsaal hinab und betrat ihn mit einem aufgesetzten Lächeln, um ihre bereits aufkeimende Langeweile zu verstecken. ,,Ah, da ist sie ja. Meine liebste Tochter, Rose." Ihr Vater kam mit schwungvollen Schritten auf sie zu, um sie kurz zu umarmen. ,, Lord Lancaster, darf ich Euch meine Tochter vorstellen? Rose Vallington, sie ist beinahe 18 Jahre alt, doch sie gleicht noch immer einem jungen Sommermorgen, nicht wahr?" Lord Lancaster wandte sich zu Rose um und unterzog sie einer genauen Musterung. ,, So kann man es wahrlich ausdrücken, mein Freund. Was habt Ihr ein Glück solch Frauen in Eurem Leben zu haben." Sein kurzes Lächeln war kalt und berechnend, doch Rose's Vater schien dies nicht aufzufallen. ,, Ich kann mich glücklich schätzen, da bin ich ganz Eurer Meinung."
Kurz herrschte eine unangenehme Stille im Saal, währenddessen Rose Mühe hatte, Lord Lancasters Blick zu erwiedern. Seine schwarzen Augen schienen sie zu durchbohren.
,, Vater, ich werde mich zum Frühstück in den Speisesaal begeben. Lord Lancaster." Sie machte eine Referenz vor ihm und eilte leichtfüßig aus dem Spiegelsaal.
Doch sie spürte seine Blicke im Rücken, die sie wie Dolche aufzuspießen drohten.

Als ihr Vater sie am Nachmittag wieder zu sich rufen ließ, ahnte sie nichts Gutes.
Er wartete in seinem Arbeitszimmer auf sie. Seine Frau, ihre Mutter, stand neben ihm. Während er auf seinem Stuhl thronte, stand sie hinter ihm und hatte eine Hand auf seine rechte Schulter gelegt. Es sah bizarr aus, als würden sie für ein Portrait Modell stehen. ,, Rose, wir haben dir etwas mitzuteilen.", verkündete Lord Vallington nahezu majestätisch und Rose hob eine Augenbraue. ,, Lord Lancaster war nicht ohne Grund hier. Er hat einen Sohn, Lord Adam Lancaster. Er ist gerade 25 Jahre alt geworden und wäre bereit dich zu seiner Frau zu nehmen.", erklärte er ohne Umschweife. Normalerweise war Rose ihm dankbar für diese Eigenschaft, doch diese Nachricht traf sie völlig unvorbereitet. Noch nie hatte sie sich ernsthaft mit dem Thema Heirat auseinandergesetzt. Und jetzt war es zu spät, ihre Eltern hatten ihre jegliche Entscheidung abgenommen. Doch sie war alles andere als dankbar. ,,Das könnt ihr mir nicht antun...", flüsterte sie. Die Miene ihres Vaters blieb starr, so wandte sie sich Hilfe suchend an ihre Mutter, doch diese betrachtete sie nur traurig. Rose hatte keine Wahl. Sie würde heiraten. Einen Mann, den sie nicht kannte. Einen Mann, dessen Vater die Ausgeburt des Teufels zu sein schien. Ein Mann, der aus der Familie Lancaster stammte. Natürlich wusste Rose, was es mit der Vermählung auf sich hatte. Seit Jahrzehnten befand sich die Familie Lancaster in einem Krieg gegen ihre eigene Familie. Keiner wusste mehr genau worum es ging, doch inzwischen stritten sich die Oberhäupter um Land und Ernte.
Der Krieg könnte mit ihrer Hochzeit ein Ende nehmen. Doch war sie bereit, die Bürde allein zu tragen? Ihre Zukunft aufs Spiel zu setzen, damit sich die endlose Feindschaft in eine ,,Freundschaft" wandeln konnte?

Im Haus der FeindeWhere stories live. Discover now