44. Die alte Heimat

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Die Reise von der Ostmark zurück in den bekannten Teil Alagaesias war für die Reiter ohne Schwierigkeiten verlaufen. Saphira näherte sich nun mit kräftigen Flügelschlägen dem Ort, der, bevor sie geboren wurde, das Zentrum von Eragons Leben gewesen war. Arya war mit den Schülern und Saphiras Kindern am Rand von Du Weldenvarden zurückgeblieben. Sie würden morgen Abend eintreffen.
Die Elfe hatte ihren Gefährten etwas Zeit allein mit seiner Familie geben wollen. Eragon hatte das Angebot dankbar angenommen. Die Anwesenheit anderer, vor allem fremder Reiter hätte der Situation etwas steifes und förmliches gegeben.
Verborgen von Tarnzaubern hatte Eragon bereits einen Blick auf seine neu entstandene Heimat geworfen. Es war nicht mehr das Carvahall seiner Kindheit. Zwar waren einige Häuser an bekannten Stellen wieder errichtet worden aber alles wirkte neuer und stabiler. Auch war das ehemalige Dorf zu einer kleinen Stadt herangewachsen. Es sprach wohl für die Fähigkeiten Rorans, das Tal als Graf zu verwalten, dass mehr Menschen versuchten sich hier ein Leben aufzubauen.
Der ehemalige Hof von Eragons Familie war nun ein stolzer kleiner Landsitz welcher in der Nähe zu der Burg lag, die den Dorfbewohnern nun Schutz gewährte. Alles in allem war der junge Anführer der Reiter einmal mehr tief beeindruckt von seinem Cousin.
- "Ich glaube hier ist es." - Erklärte Saphira und begann über einer bestimmten Stelle des Waldes zu kreisen. Eragon blickte an ihrer Flanke hinab und konnte ihr nur zustimmen. Dies war der Ort den sie gesucht hatten: Eragons altes Geheimversteck. Die künstlich geschaffene Lichtung inmitten mächtiger Dornensträucher. Inzwischen hatten die Pflanzen natürlich einen Teil der Lichtung wieder überwuchert doch mit etwas Magie räumte Eragon einen Landeplatz für seine Drachendame frei.
Vorsichtig setzte Saphira auf und achtete dabei besonders auf ihre Flügel.
"Hier zeigt sich mal wieder wie sehr Du gewachsen bist." Staunte ihr Reiter.
Noch gut erinnerte er sich daran wie er gemeinsam mit Brom und Saphira hier gelagert hatte bevor sie aufgebrochen waren um die Ra zac zu verfolgen. Damals war genug Platz gewesen für die zwei Menschen, die junge Drachendame und ein Lagerfeuer. Nun füllte Saphira die Lichtung praktisch völlig aus. Es war gerade noch genug Platz für Eragon um ihr den Sattel abzunehmen.
- "Hier haben Brom und ich deinen ersten Sattel hergestellt weißt du noch?" -
Saphira summte zustimmend und begann dann es sich bequem zu machen.
- "Und es macht dir nichts aus erst hier zu warten?" -
- "Natürlich nicht Kleiner! Ich mag eine gute Überraschung genauso sehr wie Du. Außerdem ist es die einzige Möglichkeit, wie du erst ein paar Worte allein mit Roran und Katrina wechseln kannst. Wenn ich vor ihrem Haus lande, sieht es das ganze Dorf und du hast keine ruhige Minute mehr." -
Liebevoll strich Eragon seiner verständnisvollen Gefährtin über die Schnauze und suchte dann den Durchgang, der von der Lichtung herunter führte. Als er ihn gefunden hatte musste er auch hier Magie anwenden um die schmale Passage wieder begehbar zu machen. Schließlich jedoch hatte er es geschafft und lenkte nun seine Schritte durch das ihm bekannte Waldgebiet.
- "Gehst du nicht in die falsche Richtung?" - Saphira beobachtete seine Schritte durch die Augen ihres Reiters und hatte nicht ganz unrecht.
- "Ich suche nur etwas. Und ich habe es auch schon gefunden! Erinnerst du dich noch an diesem Baum?" -
Lächelnd strich Eragon über den Stamm der Eberesche vor der er stand. In seinen Gedanken hörte er Saphira kichern.
- "Das ist der Baum auf dem Du meinen ersten Unterstand gebaut hast." -
- "Es hat mir damals schrecklich leid getan, dich allein im Wald lassen zu müssen. Ich wünschte wir hätten damals jede freie Minute miteinander verbringen können." -
- "Haben wir doch." - Summte Saphira. - "Du bist zu mir gekommen wann immer du konntest und ich habe gespürt, dass du gern immer bei mir gewesen wärst." -
Eragon ging ein Stück weiter und entdeckte Saphiras zweiten Unterschlupf. Eine kleine Hütte aus Zweigen und Decken, die er auf ebene Erde errichtet hatte als sein Schützling zu groß wurde um auf einem Baum zu leben. Der junge Anführer der Reiter stutzte. Er hatte erwartet höchstens einige Überreste der Hütte zu finden. Stattdessen war sie in bemerkenswert gutem Zustand. Erst als er die Stimmen von zwei Kindern hörte wurde ihm klar, dass offenbar jemand Saphiras altes zu Hause repariert und einen neuen Zweck zugeführt hatte.
Während Eragon sich langsam und vorsichtig näherte, lauschte er den beiden Stimmen.
"Sie werden uns sowieso finden Ismira."
"Wie den? Dass ist unser Versteck! Du hast doch niemanden davon erzählt Hope, oder?"
Eragon musste schmunzeln. Ausgerechnet seine Nichte und Elains Tochter hatten sein altes Bauwerk entdeckt. Offenbar verneinte Hope Ismiras Frage mit einem stummen Kopfschütteln.
"Wie sollen sie uns dann also finden?"
"Erwachsene finden einen immer." quängelte die Stimme, die offenbar Hope gehörte. "Außerdem verstehe ich nicht was du gegen Baden hast. Wenn das Wasser schön warm ist macht es doch sogar Spaß!"
"Das schon, aber wenn man mal gebadet ist, dann sind die Erwachsenen so komisch. Immer sagen sie dann, dass man aufpassen soll dass man sich nicht gleich wieder dreckig macht. Da kann man überhaupt nichts tun, was Spaß macht."
Lächelnd ging Eragon neben dem Eingang zu der kleinen Hütte in die Hocke. Dieser war mit einer Pferdedecke zugehängt. So laut, dass man ihn im Inneren sicher hören konnte räusperte er sich und verdeckte dann seine elfengleichen Ohren mit der Kapuze seines Umhangs.
"Siehst du!" Ließ sich Hope vernehmen. "Erwachsene finden einen immer. Jetzt ist nicht nur unser Versteck entdeckt sondern das Badewasser ist bestimmt schon kalt."
Die Pferdedecke wurde zur Seite gezogen und die schuldbewußten Gesichter von zwei kleinen Mädchen tauchten auf. Eragon erkannte sofort welche von beiden Ismira war. Sie war eindeutig die Tochter ihrer Mutter. Dieselben kupferfarbenen Haare und auch das Gesicht war dem von Katrina sehr ähnlich. Hope hatte einen kräftigen naturblonden Haarschopf und trug ein grünes Kleidchen während das ihrer Freundin blau war.
"Oh! Wer bist du denn?" Wunderte sich Eragons Nichte beim Anblick des scheinbar fremden Mannes.
"Wir sollen nicht mit Fremden reden." Tadelte Hope und drückte einen Stoffhasen an sich, der Eragon gut bekannt war. Alberichts Lieblingsspielzeug als er noch ein Kind gewesen war. Er musste seine kleine Schwester sehr ins Herz geschlossen haben, wenn er ihr diese Kostbarkeit überließ.
"Da hat Hope Elaintochter durchaus recht Ismira Katrinatochter." Lächelte Eragon freundlichen.
"Woher weiß denn wer unsere Eltern sind?" Nun wirkte auch Hope neugierig.
"Ihr Beide wart noch zu klein um euch daran zu erinnern aber ich bin ein guter Freund von euren Eltern. Besonders von deinem Vater Ismira. Ich bin hier um ihn zu besuchen. Auch wenn ihr euch dann der Badewanne stellen müssten, könnte ihr mir helfen ihn zu finden?"
Skeptisch blickt die beiden Freundinnen sich an.
"Sie finden uns sowieso." beharrte Hope. "Wenigstens finden sie dann unser Versteck nicht und wenn wir einen alten Freund mitbringen vergessen Sie das mit dem Baden vielleicht."
Diese Möglichkeit schien Ismira zu gefallen.
" In Ordnung. Aber nur wenn du versprichst nicht zu verraten wo Du und gefunden hast. Dieser Ort ist unser Geheimnis."
"Großes Ehrenwort." Versprach Eragon. "Ich verrate euch sogar auch ein Geheimnis über diesen Ort: Diese kleinen Hütte die ihr wieder aufgebaut habt, habe ich gebaut!"
"In echt?" Wollte Ismira wissen und krabbelte gemeinsam mit Hope aus der kleinen Hütte. "War das hier mal dein Versteck als du klein warst?"
"Es war ein Versteck, das ich für jemanden gebaut habe. Sie werde ich euch später noch vorstellen."
Fürs erste gaben die beiden Kinder sich damit zufrieden und gingen gemeinsam mit Eragon auf den Waldrand zu. Von dort erklangen die Stimmen von zwei Frauen.
"Am Bach sind sie auch nicht Herrin."
"Dann können Sie ja wohl nur irgendwo im Wald sein."
"Die eine ist Anna. Die arbeitet für meinen Papa und meine Mama." Erklärte Ismira.
"Und vor zwei Wochen hat sie meine großen Bruder Alberich geheiratet." Fügte Hope hinzu.
Eragon nahm sich fest vor Alberich noch zu gratulieren. Auch er hatte also eine Frau gefunden.
"Die andere ist meine Mama." Erklärte Ismira. Beide Mädchen ergriffen Eragon bei den Händen und liefen auf die Stimmen zu.
"Da seid ihr ja ihr Ausreißer!" Rief Katrina als sie aus dem Wald traten. Rorans Gattin trug ein einfaches gelbes Seidenkleid und wurde begleitet von einer jungen Frau mit hochgesteckten blonden Haaren in einem grünen Kleid mit Schürze.
"Wen habt ihr denn da mitgebracht?" Fragte Katrina.
Eragon entging nicht der besorgte Ton der jungen Mutter. Ihre kleine Tochter und deren Spielgefährtin in Begleitung eines scheinbar Fremden zu sehen wäre für jede Frau ein Grund zur Sorge.
"Keine Sorge Gräfin Katrina." Lachte Eragon und schob seine Kapuze zurück. "Nur einen alten Freund, der keiner der beiden jungen Damen je etwas antun würde."
Einen Augenblick war Katrina sprachlos als sie Eragon erkannte, doch dann fiel sie im halb lachend halb weinend um den Hals und drückte ihren Schwager an sich.
"Eragon was machst du denn hier?! Ich meine, du bist natürlich willkommen aber ich hätte nicht damit gerechnet?"
Noch bevor Eragon antworten konnte, zupfte jemand an seinem Umhang. Ismira blickte ihn mit großen Augen an.
"Mama hat dich Eragon genannt. Bist du mein Onkel Eragon? Der Drachenreiter."
Eragon ging in die Hocke um mit seiner Nichte auf Augenhöhe zu sein.
"Genau der bin ich. Mein Drache wartet noch im Wald. Wir wollen dein Papa überraschen."
"Ein echter Drache?" Staunte die kleine Ismira und ihre Augen wurden noch größer.
"Ein ganz echter."
"Mama hat mal gesagt, dass ich als Baby sehr krank war und du mich gesund gemacht hast. Stimmt das?" wollte Hope nun wissen.
"Da hat deine Mama durchaus recht." Bestätigte Eragon auch wenn es ihm etwas peinlich war.
Inzwischen tastete Ismira die spitzzulaufen Ohren ihres neuen Onkels ab.
"Warum sehen die so komisch aus?"
"Ismira! So was sagt man doch nicht." Tadelte Katrina ihrer Tochter und nahm sie auf den Arm.
"Ich möchte das aber wissen." Forderte die Kleine.
"Ja weißt du......" Setzte Eragon an. Die Wahrheit würde das kleine Mädchen vermutlich noch überfordern. Daher entschloss er sich zu einer kleinen Lüge. "Als ich so alt war wie du, war ich eine furchtbare Last für deinen Opa Garrow. Und wenn ich dann wieder was angestellt hatte dieses immer: Eragon!!!!!"
Bedeutungsvoll zog sich der junge Anführer der Drachenreiter an einem seine elfengleichen Ohren.
"Ich hab halt soviel angestellt, das so oft an meinen Ohren gezogen wurde, dass sie irgendwann so spitz geblieben sind."
Ismira und Hope prusteten vor Lachen ebenso wie Katrina. Die junge Magd Anna versuchte offenbar gegen das Lachen anzukämpfen weil sie es für unangemessen hielt.
"Anna, nimm doch Hope und sag deiner Schwiegermutter, wer unser Gast ist. Sie und ihr Mann wollen Eragon bestimmt auch wiedersehen. Sie soll sich aber ruhig etwas Zeit lassen. Mein Gatte wird ihn sicher erstmal mit Beschlag belegen."
"Wie ihr wünscht Herrin."
Die junge Magd knickste vor Katrina und Eragon und ergriff dann Hopes Hand. Die Kleine winkte dem Drachenreiter noch einmal mit ihrem Stoffhasen zu.
"Ich komme mit euch zu Elain." Verkündete Ismira und ließ sich von ihrer Mutter absetzen.
"Ich hoffe dir ist klar, dass sie versucht auf diese Weise der Badewanne zu entgehen." Flüsterte Eragon seiner Schwägerin zu als die beiden Mädchen ein Stück entfernt waren.
Katrina schlug sich mit der Hand vor die Stirn.
"Dieser kleine Wirbelwind! Das hab ich jetzt wirklich völlig vergessen. Naja, aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Jetzt komme aber! Roran wird sich sehr freuen dich zu sehen und ich will auch endlich erfahren was dich wieder hierher treibt."
Katrina führte ihren Schwager zum Herrenhaus zurück. Dort war gerade ein weiteres Gebäude im Entstehen. Es sah aus wie ein kleines Wohnhaus.
"Unser Hochzeitsgeschenk für Alberich und Anna." Erklärte Katrina. "Auch wenn es für Anna immer noch etwas schwer zu akzeptieren ist: Sie gehört zur Familie. Und eine junge Ehe braucht ihr eigenes Nest und keine Dienstbotenkammer."
Eragon nickte verstehend, hatte aber inzwischen Roran entdeckt. Gemeinsam mit Alberich arbeitete er an dem neuen Haus. Der junge Anführer der Drachenreiter spürte Gefühle in sich aufsteigen, mächtiger als es erwartet hatte. Eigentlich hatte er geglaubt, die Tatsache akzeptiert zu haben, dass er durchaus fähig war nach Alagaesia zurückzukehren. Doch nun wo er Roran sah, den Mann, der für ihn wie ein Bruder war und mit dem er aufgewachsen war, brach doch eine unglaubliche Freude und Erleichterung aus ihm heraus. Arya war nicht die einzige die ihm gefehlt hatte. Die Vorstellung Roran und seine Familie nie wieder zu sehen war eine mindestens genauso große Quelle von Trauer und Schmerz gewesen.
"Legt eine kurze Pause ein, mein Liebster!" Rief Katrina plötzlich als sie noch wenige Schritte entfernt waren. "Sieh lieber mal, wer uns besucht."
"Wer denn mein Herz?" Antwortete Roran und drehte sich um.
Dieselben Gefühle, welche Eragon bewegten ließen sich nun auf Rorans Gesicht ablesen. Einen Augenblick sagte keiner der beiden etwas. Keiner von beiden konnte etwas sagen! Schließlich fiehlen sie sich einfach nur lachend in die Arme. Das Roran ihn so fest an sich drückte, dass das Atmen schwer wurde kümmerte Eragon nicht im Geringsten. Auch die zwei Tränen, die sich ihren Weg über seine Wangen suchten beachtete er kaum, denn er war sich sicher, dass es Roran in diesem Moment nicht anders ging.

Eragon Band 5 - Jedes Ende ist ein Anfang (wird überarbeitet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt