19. Die Schüler Teil 1

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Während Arya mit ihren Schülern auf der Schlüpflingswiese zurück blieb, machte sich Eragon mit Tar auf den Weg in das nahe gelegene Waldstück. Saphira hatte sich mit Aroc bereits in die Lüfte erhoben und begann die Fähigkeiten des jungen Drachens im Flug zu erproben.
Flüchtige Seitenblicke verrieten Eragon, das Tar während des ganzen Weges eisern auf seine Füße starrte. Die Gesichtszüge des jungen Urgals verrieten deutlich, dass er damit rechnete, was auch immer die Aufgabe sei, die ihm gestellt würde, zu scheitern.
Nach kurzen Fußmarsch erreichte die beiden Reiter eine kleine Lichtung. Diese hatte Eragon eigentlich vorgesehen, um seinen Schülern beizubringen die Umgebung mit ihrer geistigen Wahrnehmungsfähigkeit zu erkunden. Heute wollte er aber in erster Linie mit Tar reden.
Als sie auf die Lichtung traten, vernahm sie ein klägliches Fiepen. Nach kurzer Suche war die Quelle ausgemacht. Ein junger Eichelher lag neben einem Baum im Gras. Ein Flügel des Vogels schien verletzt zu sein. Eragon beruhigte den Vogel mit einem Versprechen in der alten Sprache ihm nichts zu tun und hob das zerbrechliche Wesen vorsichtig auf.
Zu seiner Überraschung, war Tars schüchternes Verhalten fast vollständig von ihm abgefallen. Interessiert und auch besorgt musterte der junge Urgal den Vogel.
"Da kann ich leider nichts mehr machen. "Erklärte Eragon mit ehrlichem Bedauern. "Der Flügel ist gebrochen. Ich kann nur sein Leiden beenden."
"Aber ihr müsst doch auch schon Verletzungen an den Flügeln von Meisterinnen Saphira geheilt haben. "Widersprach Tar erschrocken.
"Das ist leider nicht dasselbe Tar. Drachen sind magische Wesen. Heilzauber bei ihnen funktionieren grundsätzlich etwas anders als bei Wesen, welche nur aus Fleisch und Blut bestehen. Ich erinnere mich noch, dass Arya, trotz all ihrer Liebe zu lebenden Wesen, auf unserer ersten Reise nach Ellesméra einen Falken getötet hat. Auch sein Flügel war gebrochen. Ich habe später erfahren, dass die Elfen zwar versucht haben die Knochen von Vögeln zu heilen sie dann aber nie wieder richtig funktionieren. Irgend etwas an der Anatomie eines Vogels, an seinem Körperbau also, ist selbst den Elfen noch ein Rätsel."
"Ich glaube aber, dass ich es kann." Tar sprach mit einer Entschlossenheit, die Eragon bisher nicht von ihm gekannt hatte. "Meine Eltern haben früh erkannt, dass ich nicht zum Krieger tauge. Daher haben sie mich beim Schamanen unseres Stammes in die Lehre gegeben. Von ihm habe ich Heilzauber gelernt. Einmal ist mir gelungen einen Falken den Flügel zu heilen. Die Jäger unseres Stammes haben ihn daraufhin zur Jagd abgerichtet. Der Falkner sagte, dass dieser Falke einer der Besten wäre die er je gesehen hätte. Unser Schamane hat mich sehr gelobt, weil auch ihm so etwas noch nie gelungen ist. Er wollte eigentlich das ich es ihm beibringen, aber dann ist Aroc bei mir geschlüpft."
Mit einem stummen Nicken reichte er Eragon Tar den verletzten Vogel. Der junge Urgal legtet in vorsichtig aus seiner flachen Hände und begann eine Beschwörung in der alten Sprache zu murmeln. Sein Drachenmal glühte kurz auf als er den Zauber beendete. Der verletzte Eichelher richtete sich auf den Händen des Urgals auf und machte einige vorsichtige Flügelschläge. Als er von der Tragfähigkeit seiner Schwingen überzeugt war stieß er sich ab und flog davon.
"Beeindruckend!" Lobte Eragon.
"Ihr seid beeindruckt von mir?"
Es schmerzte Eragon, dass mit dem Vogel offenbar auch das Selbstbewusstsein schon wieder verschwunden war. Er brachte den Jungen dazu ihm anzusehen.
"Hast du mir gar nicht zugehört Tar? Ich hätte diesen Flügel nicht heilen können. Nicht mal die Elfen hätten das gekonnt! Und sie rühmen sich mehr über Magie zu wissen als jeder andere. Nun jeder andere kann nicht Du sein Tar. Denn Du weißt etwas was sie nicht wissen. Komm setzen wir uns."
Etwas unschlüssig was er von dem Lob seines Meisters halten sollte setzte sich der Urgal gemeinsam mit Eragon auf einen umgestürzten Baum.
"Erkläre mir wie Du das gemacht hast?"
"Na ja, eigentlich ist es ganz einfach." Begann Tar verlegen. "Bei uns im Dorf hat es einmal gebratene Hühner zum Essen gegeben. Dabei ist mir ein Knochen zerbrochen und mir ist aufgefallen, dass er ihnen ganz hohl war. Das macht ja auch Sinn! Fliegen geht einfacher wenn man möglichst leicht ist. Durch die fehlende Knochenmasse spart der Vogel Gewicht. Ich denke das ist auch der Grund warum Flügel, die von Elfen geheilt wurden nicht mehr richtig funktionierten. Der Knochen, den sie neu schufen, war vermutlich genau wie ihre Knochen. Massiv eben. Dadurch war der eine Flügel viel schwerer als der andere. "
"Jetzt habe ich schon drei sehr wichtige Dinge über dich erfahren Tar: Zum einen beherrschte bereits ein wenig Magie. Des weiteren hast Du eine gute Beobachtungsgabe. Nicht jedem wäre der hohle Hühnerknochen aufgefallen. Drittens achtest du die Geschöpfe um dich herum. Denn sonst wäre sie egal gewesen ob ich diesen Vogel heilen kann oder nicht. Das sind sehr wichtige Dinge und kommen deiner Ausbildung zum Reiter zugute. "
Ein trauriges Lächeln erschien auf dem Gesicht des jungen Urgals.
"Ich wünschte mein Clan würde das genauso sehen."
"Du hast bisher kein leichtes Leben geführt oder?" Erkundigte sich Eragon vorsichtig.
"Nein ganz sicher nicht Meister. "
"Erzähl mir davon. Ich möchte verstehen, warum du, obwohl du großes Talent zeigst und sogar von einem Drachen ausgewählt wurde, so gar kein Selbstvertrauen hast."
Eine Weile sagt Tar nichts. Dann begann er zu sprechen. Seine Worte kamen in zunächst nur sehr stockend über die Lippen, doch dann brach alles massiv aus ihm heraus.
"Weil ich immer eine Enttäuschung war. Für alle. Besonders für meine Eltern. Meine Mutter hat mich zusammen mit zwei Geschwistern zur Welt gebracht. Meine Schwester ist heute selbst bei den Kull unseres Clans eine begehrte Partie. Mein Bruder hat zwar nicht das alte Blut aber er ist trotzdem ein gefürchteter Kämpfer geworden. Er hat sogar zusammen mit eurem Cousin Hammerfaust in Urû'baen gekämpft. Ich war schon bei meiner Geburt klein und schwach. Meine Eltern haben mir gesagt, dass ich sie überrascht hätte als ich meinen ersten Winter überlebt habe. Bei unserem Volk gilt Stärke alles. Die Starken bekommen das beste Essen, damit ihre Stärke erhalten bleibt. Mein Vater hat sich nicht mal die Mühe gemacht mich am Speer oder Schwert auszubilden. Ich hätte zu dünnes Blut hat er gesagt. Das einzige Mal, dass meine Eltern nicht enttäuscht von mir waren, war als der Schamane unseres Stammes meinte ich hätte das Talent zum Magier. Meine Eltern haben mich nur zu gerne bei ihm in die Ausbildung gegeben. Jetzt muss sie ihren dünnblütigen Sohn, der immer nur Spott auf sich zog, nicht mehr um sich haben. Schamanen sind recht angesehen. Doch nur wenn sie fertig ausgebildet sind. Ihre Schüler werden eher belächelt. Taugen halt zu nichts anderem. Und selbst in dieser einen Sache, die ich konnte und meine Geschwister nicht, habe ich meinen Vater auch wieder enttäuscht. Der Schamane meinte ich würde vielleicht zum Heiler taugen. Zauber des Schutzes oder des Kampfes hat er mir nie beigebracht. Dafür sei ich zu schwach. Mein Vater hat nur gesagt, er hätte sowieso nie erwartet, dass ich ihm Ehre bringen würde. Als Heiler würde ich ihm wenigstens keine Schande mehr machen."
Eragon hatte Mitleid mit dem junge Urgal. Er hatte so etwas durchaus erwartet. Er kam nicht umhin, die Lebensweise der Urgals etwas zu kritisieren. Wie konnten Sie denn erwarten, dass ein ohne hin schon schwaches Kind, an Stärke gewinnen würde, wenn man ihm ausreichende Ernährung und Ausbildung verweigerte. Die Lebenseinstellung der Gehörnten hatte in der Tat etwas Selbstzerstörerisches. Glücklicherweise, so fand er Eragon, hatte in ihrer Gesellschafter ein gewisser Wandel eingesetzt.
"Und wie hat dein Clan reagiert als Aroc bei den geschlüpft ist?"
"Ich musste warten, bis alle andern das Ei berührt hatten. Erst sind immer die Stärksten dran. Als ich an der Reihe war, war es schon tiefe Nacht. Die meisten hatten sich bereits enttäuscht zurückgezogen. Nur der Schamane und einige Wächter waren noch auf dem Platz wo das Ei lag. Dann ist Aroc geschlüpft. Plötzlich haben mich alle angesehen als sei ich ein völlig anderer. Die ältesten des Clans wollten mich treffen, man hat Lieder zu meiner Ehre gesungen. Und selbst meine Eltern schien sich nicht mehr durch meine Anwesenheit gestört zu fühlen. Alle waren sich plötzlich sicher, dass ich zu Großem ausersehen wäre. Ich weiß, das sollte mich eigentlich freuen aber....."
"Aber es macht dir mehr Angst nicht wahr?" Vermutete Eragon. "Dein ganzes Leben lang, hat man dir erzählt, dass du nichts wert bis, und die Talente, die du besitzt, wurden nicht wert geschätzt."
Zum ersten Mal, flammte bei Tar so etwas wie Zorn auf. Bei näherem hinsehen, wurde jedoch klar, dass es schlichte Verzweiflung war.
"Ganz genau! Ich meine seht nicht doch an Meister! Ich bin klein, schwach und wenn ich mir die Hörner abschneiden würde, könnte ich fast als Mensch durchgehen. Wie soll ich denn etwas Großes vollbringen? Wie soll ich jemals so stark werden wie zum Beispiel Ihr?! Ihr habt einen Schatten getötet, und den dunklen Herrscher und seinen Drachen besiegt! Schattentöter, Flammenschwert! So nennen sie euch. Was bin ich denn dagegen? Das Schlimmste ist, dass wenn ich versage auch Aroc darunter leiden wird. Der dumme Drache der einen Fehler gemacht hat. Das wird man über ihn sagen. "
Eragon wartete bis Tar sich etwas beruhigt hatte, dann begann er zu sprechen: "Tar, ich wünschte, ich könnte dir zeigen wie ich war bevor man mich mit diesen Ehrennamen überhäuft hat. Stell dir einen mickrigen kleinen Bauernjungen vor, der nichts von der Welt versteht. Nicht einmal lesen konnte ich. Mehr als einmal habe ich mich äußerst dumm angestellt. Und ich frage mich auch heute noch, was hat Saphira in mir gesehen, dass sie bei mir geschlüpft ist. "
Der junge Urgal blickte sein Lehrmeister unschlüssig an.
"Ist das euer Ernst?"
"Ich gebe dir mein Wort als Drachenreiter darauf, wenn du willst sogar in der alten Sprache. Ich glaube nicht das Aroc bei dir einen Fehler gemacht hat. Wie gesagt: Du hast bereits heute, am ersten Tag deiner Ausbildung, etwas vollbracht was keinem Reiter, und keinen Elfen je gelungen ist. Ich möchte die Lebensweise deines Volkes nicht beleidigen. Aber auch Du wirst gemerkt haben, dass eine Veränderung bei euch im Gange ist. Ihr Versuch den Frieden mit den Menschen zu leben, sowie mit den anderen Völkern Alagaesias. Eure Stärke wollt Ihr von nun an in Spielen beweisen. Sind euch eure alten Gebräuche langweilig geworden? Nein. Die ältesten eurer Stämme haben erkannt, dass sie auf dem Weg, den er bisher beschritten habt keine Zukunft habt. Ich weiß nicht, nach welchen Kriterien ein Drache sein Reiter wählt aber vielleicht hat Aroc in dir Stärken gesehen die dein Volk lernen sollte Wert zu schätzen wenn es eine Zukunft haben will. Vielleicht auch nicht. Aber eins ist sicher: Du wirst erst dann wissen was du wirklich kannst, wenn du es versuchst. Auf deine Füße zu starren und von Anfang an davon auszugehen, dass du nur scheitern kannst ist ein sicherer Pfad zum Versagen. Ich erwarte also das von jetzt an deinen Blick auf die Aufgaben richtest, welche vor dir liegen. Du wirst nicht jeder sofort bewältigen. Das habe auch ich nicht vollbracht. Aber wenn Du dir Mühe gibst und hart arbeitest, hast Du die Chance es weiter zu bringen als Du es je für möglich gehalten hättest."
Tar hatte er Eragon schweigend zugehört und hing nun einen Moment seinen Gedanken nach. Schließlich atmet der junge Urgal tief durch und strafte seine Schultern. Er schien bemüht zu sein, die Last seiner Vergangenheit abzustreifen.
"Ich werde mein Bestes geben Meister. "
"Gut. Genau das erwarte ich nämlich auch von dir. Jetzt wolle mal sehen wie viel Talent für das Schwert du mitbringst."

Eragon Band 5 - Jedes Ende ist ein Anfang (wird überarbeitet)Where stories live. Discover now