Die Bitterkeit des Verrats I

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Nicht nur einige Tage vergingen. Erst fast zwei Wochen später beschlossen sie, dass der entscheidende Augenblick gekommen war.

In dieser Zeit hatten die Diebe stets das Rabenversteck im Auge behalten und beobachtet, wann sie ihr Nest verließen und wie viele sich in ihm aufhielten. An diesem Tag, den sie für den Angriff ausgewählt hatten, weilten mehr in der Stadt, als in den Wochen zuvor. Zwar war es nur wahrscheinlich, dass es weitere Versprengte gab, die überall in der Welt ihre Aufträge ausführten, doch das Vorhaben würde ihnen trotzdem vernichtend zusetzen.

Über die Jahre würden sie sich wieder sammeln. Solange Menschen bereit waren, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen und für das Morden zu bezahlen, würden sie fortbestehen. Für die nächste Zeit gäben sie aber vielleicht Ruhe und wenn sie wieder zusammengefunden hatten, konnten die zukünftigen Generationen nur hoffen, dass Eugene noch lebte und ihnen helfen würde.

»Ich geh hinein«, sagte Ejahl. »Halte die Stellung und wenn ich nicht wiederkomme ...« Er schluckte. »Nun, du weißt, was dann zu tun ist.«

Er hatte angewiesen, das ganze Haus in die Luft zu jagen, wenn es ihm nicht gelingen sollte, unbemerkt innerhalb des Nestes ein Feuer zu legen und wieder hinauszuschleichen. Sicherlich wäre es einfacher, sofort jeden Eingang zu verschließen und die Raben im Inneren zugrunde gehen zu lassen, aber dann würde ganz Cyrill erbeben und jeder von den Kämpfen wissen.

Eugene nickte nur. Er hatte sich bereit erklärt, eine der Diebesgruppen unter sein Kommando zu nehmen und einen der Eingänge im Auge zu behalten, während Ejahl in das Nest ging.

Eine andere Gruppe an einem anderen Zugang wurde von Jeanne angeführt. Und die dritte Öffnung bewachte Kematian. Das Angebot, einige Diebe bei sich zu haben, hatte er abgelehnt und gemeint, sie würden ihm nur im Weg stehen.

Ava und V hatte Ejahl aus der Stadt geschickt. Die Raben hatten schon einmal das Diebesversteck gefunden und er konnte nicht riskieren, dass es ein zweites Mal geschah und den Mädchen etwas zustieß.

Ehe Ejahl sich abwandte, hörte er noch ein »Viel Glück« von Eugene. Seine Miene verfinsterte sich. Er brauchte kein Glück, er brauchte ein verdammtes Wunder, aber die Chance darauf hatte er schon bei dem letzten Angriff auf die Raben verbraucht. Diesmal mussten seine Fähigkeiten allein ausreichen.

Er kletterte auf ein benachbartes Haus und sprang von dort aus auf das Dach des Gebäudes, in das er eindringen wollte. Er landete leichtfüßig und seine Schritte blieben lautlos.

Durch Ritzen in den Ziegeln pfiff der Wind. Die Fensterläden hingen schief und nur anhand von wenigen verblichenen Farbresten ließ sich erahnen, dass sie einst rot bemalt gewesen waren.

Ejahl schob sich an das Dachfenster heran. Kein Licht erhellte das Innere, nur die Monde, die sich hinter den finsteren Wolken hervorkämpften, ließen den Staub auf Möbeln und Boden weiß wie Schnee schimmern.

Das Glas des Fensters bedeckte in Splittern die Holzdielen. Ejahl würde sich nicht darüber beschweren. Er griff nach der Kante und schob sich durch den Rahmen, ehe er losließ.

Er landete fast lautlos. Die unerwartete Bewegung wirbelte den Staub auf, der nun im Licht der Monde tanzte, glitzerte, und sich erst mit der Zeit wieder legte, teils zurück auf die Dielen, teils auf Ejahls dunkle Kleidung, denn der Dieb verharrte einige Sekunden und lauschte.

Nichts.

Der Staub legte sich bei jedem Atemzug in seinen Lungen fest, aber er hielt sein Husten zurück, bis ihm die Augen leicht brannten. Nur weil er nichts hörte, wähnte er sich nicht in Sicherheit.

Wenn Eugene die Wahrheit sprach, dann war es kein Wunder, dass die Raben das Obergeschoss nicht bewohnten. Sie hielten sich lieber im Untergrund auf.

Er schlich vorwärts. Seine Stiefel hinterließen Spuren. Viel zu viele Spuren für seinen Geschmack.

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