Von Kälte und Kummer I

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V schlug ihre Lider auf. Sie richtete sich auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen, ehe sie sich im Raum umsah. Spärlich eingerichtet war die Kammer, nicht mehr als ein Bett und ein Schrank bildete die einzige Einrichtung.

Schlagartig erinnerte sie sich an den vorherigen Tag und wo sie am Abend gelandet war. Eine Schlinge legte sich um ihren Hals und schnürte ihr die Luft ab.

Der Dunkle König. Sie war dem Dunklen König begegnet. Und sie hätte ihn umbringen können, wäre der Erzähler nicht dazwischen gegangen. Sie hätte alles beenden können, denjenigen, der jedem ein Feind war, töten können. Doch sie hatte es nicht getan.

Sie erhob sich. Das Band in ihren Haaren löste sie, kämmte diese mit den Fingern notdürftig durch, ehe sie versuchte, ihre Locken wieder zu bändigen. Vergeblich. Einige widerspenstige Strähnen musste sie trotzdem hinter ihre Ohren streichen, damit sie ihr nicht im Gesicht hingen.

Bevor sie aus dem Zimmer trat, richtete sie ihre Kleidung, strich jede noch so kleine Falte glatt und sammelte jeden Fussel aus ihrer Hose. Irgendwann gelang es ihr nicht mehr, sich etwas zu suchen, das sie unbedingt noch tun musste, bevor sie dem Dunklen König erneut entgegentrat, und sie verließ den Raum.

Ein schmaler Flur erstreckte sich dahinter, auf dem sich nur zwei Zimmer befanden – das, in dem sie erwacht war, und das, in dem Lloyd die Nacht verbracht hatte.

Ejahl hatte der Erzähler auf dem Boden liegen lassen, ihm aber zumindest eine Decke gegeben. Für den Dieb wäre jede Bewegung an dem Abend mehr als schmerzvoll gewesen.

Aus dem unteren Stockwerk kamen Stimmen.

V seufzte leise und überzeugte sich, nicht aus dem Fenster zu steigen, um all diesen seltsamen Gestalten Auf-Nimmer-Wiedersehen zu sagen und zurück zu Sal und Luana zu rennen.

Wie es den beiden wohl ging? Sicher fragten sie sich, was V zugestoßen war, suchten sie vielleicht auch. Sie hatte gedacht, sie wäre nur kurz weg, doch nun dauerte die Reise schon einige Tage.

Sie stieg die Treppe hinab. Ejahls Blut färbte den violetten Teppich vor der Tür rot, aber der Meisterdieb lag nicht länger auf dem Boden.

Ein weiteres Seufzen schwebte von ihren Lippen.

»Aber, aber«, hörte sie die Stimme des Erzählers aus dem angrenzenden Raum, »das ist doch nicht der richtige Weg, in den Tag zu starten.« Das Wohnzimmer war nur mit einem Rahmen, keinesfalls aber mit einer Tür ausgestattet, und daher hatten die Anwesenden V schon bemerkt.

Der Erzähler erhob sich von der Lehne des Sessels. Auf dem Sessel selbst saß nämlich der Dunkle König, die Miene von kühler Nüchternheit und die Brauen finster zusammengeschoben.

»Möchtet Ihr Tee, meine Liebe?«, fragte der Erzähler.

V riss sich von dem Anblick des Königs los. Ihr erster Instinkt war es, auf die Frage mit einem Nicken zu antworten, aber dann erinnerte sie sich an Ejahls Worte: ›Traue ihm nicht.‹ Vielleicht sollte sie ihm nicht einmal so weit vertrauen, dass sie Tee von ihm annahm.

»Nein«, antwortete sie daher nur, konnte ihre Stimme aber nicht dazu bringen, laut oder gar fest zu sein.

»Wie Ihr wünscht«, sagte er und deutete auf einen freien Platz auf dem Sofa neben Ejahl, ehe er sich wieder auf der Lehne des Sessels niederließ.

V kam seiner Bitte nach, wenn auch nur mit zitternden Knien, und setzte sich neben den Meisterdieb, der ihr ermutigend zulächelte. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen und Blässe auf seinen Wangen, obwohl er von Natur aus eigentlich einen gebräunten Teint hatte. Er trug kein Oberteil, aber anstelle davon wickelte sich ein Verband weiträumig um seinen Oberkörper.

The Tale of Greed and VirtueWhere stories live. Discover now