Alte Freunde I

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Eine Woche verstrich, in der Ejahl jeden Tag zur Zuflucht ging, um Ava zu überzeugen, zu ihm zurückzukehren. Und jedes Mal wurde er mit knallenden Türen begrüßt, seine Fragen mit Schweigen beantwortet und am Ende eines jeden Tages gestand er seine Niederlage ein und ging.

Das Licht der Abendsonne blendete ihn, als er aus den Tunneln trat. Er hob eine Hand, um sich gegen die unerbittlichen Strahlen zu schützen.

Nie war etwas Gutes aus den Worten ›Wir müssen reden‹ entstanden.

Er hätte es besser wissen sollen, denn Ava kam nach ihrem Vater. Stur und dickköpfig, doch glücklicherweise hatte sie die Blutgier gegen Klugheit eingetauscht.

Er hatte ihr viel mehr sagen wollen, aber sie war fortgelaufen und hatte ihm nicht die Chance gegeben, zu erklären. Wenigstens war sie nur zu V gerannt und nicht nach Cyrill, um sich eigenhändig auf die Suche nach Antworten zu begeben. Die Stadt der Raben war zu gefährlich für sie.

Ein Rascheln riss ihn aus den Gedanken. Seine Hand zuckte in Richtung des Dolches, den er stets an seinem Gürtel trug, aber er zog ihn nicht. Das Dorf war in der Nähe und die Bewohner verdächtigten ihn schon als Dieb – zugegeben, nicht haltlos. Da sollten sie nicht auch noch erfahren, dass er nur bewaffnet das Haus verließ.

Ein Luftzug brachte die Gräser zum Schwingen. Dort im Süden des Königreiches öffneten sich bereits die ersten Blüten, während der Norden noch mit dem Winter kämpfte. Wärme kam mit dem Wind aus den Wüsten des imperialen Reiches und hatte den Schnee schon vor einigen Wochen geschmolzen.

Es raschelte.

Ejahl drehte sich um die eigene Achse, fand auf den Wiesen jedoch nichts, was das Geräusch verursacht hatte.

Stille folgte. Das Blut pulsierte in seinen Ohren. Er bemühte sich um eine aufrechte Haltung und straffte die Schultern, obwohl alles in ihm schrie, er müsste sich zusammenkauern und in den Schatten verstecken, damit, was auch immer hier lauerte, ihn nicht fand.

Da ist nichts, sagte er sich und holte tief Luft. Da ist nichts.

Er drehte sich ein weiteres Mal im Kreis, nur um erneut zu sehen, dass er allein auf dem Sandpfad stand.

Er schüttelte den Kopf und setzte seinen Weg fort. Seine Schritte beschleunigten sich. So sehr er den Drang unterdrückte, er kam nicht umhin, den Blick immer wieder über die Wiesen schweifen zu lassen, bis er vor seinem Laden ankam. Er riss die Tür auf – das Glöckchen klingelte – und knallte sie hinter sich ins Schloss.

Erst da erlaubte er sich, stehen zu bleiben. Er lehnte den Kopf gegen die Tür, schloss die Augen und atmete tief durch. Nichts jagte ihn. Nichts verfolgte ihn außer der Schatten der Vergangenheit. Hier war er in Sicherheit.

Er öffnete die Augen und sein Herz setzte einen Schlag aus. Etwas war anders. Etwas, das er nicht genau benennen konnte.

Wie von selbst legte sich seine Hand auf den Griff des Dolches. Er setzte sich langsam in Bewegung, jede Faser zum Zerreißen gespannt, jeder Schritt erst nach kurzem Überlegen gesetzt. Wo waren die knarzenden Dielen, wo würde er Staub aufwirbeln und sich verraten?

Ein Scheppern hallte durch die Stille. Aus dem oberen Stockwerk.

Ejahl zuckte erst zusammen, dann erstarrte er in der Bewegung.

Da war also tatsächlich etwas.

Tausende Male hatte er es sich nur eingebildet, doch diesmal bewahrheitete sich sein Bauchgefühl. Er zog den Dolch und schlich vorwärts. Kaum wagte er, zu atmen.

Er setzte den Fuß auf die erste Stufe. Die Haltung gebeugt. Eine Hand legte er an die Wand und blickte hoch auf die Tür. Sie war einen Spaltbreit geöffnet und ein schwacher Schimmer fiel auf die Treppe.

The Tale of Greed and VirtueWhere stories live. Discover now