37. Kapitel

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Der Tag im Café scheint sich nur so langzuziehen. Ich darf wieder einmal Kartons einräumen, spülen und putzen. Wieso zum Teufel muss ich genau hier zwei Wochen Praktikum machen? Es beruhigt mich etwas, dass heute der vorletzte Prakitkumstag ist. Ich habe langsam wirklich einen Hass auf dieses Café entwickelt.
Obwohl ich diesem Café wohl doch einiges zu verdanken habe. Ohne dieses Prakitkum hätte ich Binah vermutlich niemals kennengelernt. Okay, das ist sogar ist die ganze Drecksarbeit wert. Außerdem hatte ich so genug Zeit, mir über heute Abend Gedanken zu machen.
Ich werfe einen Blick auf die Wanduhr in meinem Zimmer. Alice hatte meine Schicht heute natürlich extra lang gemacht, obwohl ich um sieben Uhr schon wieder bei Binah sein muss. Jetzt ist halb sieben und ich bin vor wenigen Minuten erst angekommen, was dazu führt, dass meine Hände sich noch immer wie Eisklötze anfühlen. Pünktlich Mitte Dezember, wo Weihnachten gerade näherkommt, hat sich der Schnee nämlich auf einmal in Regen verwandelt. Nur die Temperatur ist natürlich kaum gesunken. An Weihnachten wird es wahrscheinlich wieder den ganzen Tag schütten, wie es jedes einzelne Jahr meines Lebens war.
Ich schalte meine Musikbox an und koppele sie mit meinem Handy. Ich scrolle mich durch meine Spotify-Playlist, als ich auf meine Liebesplaylist treffe. Ich habe sie erstellt, als ich total in Marie verknallt war und sie seitdem nicht mehr gehört, aber irgendwie scheint jetzt ein guter Moment zu sein, um sie zurück ins Leben zu rufen. Ich stelle auf zufällige Wiedergabe und Pink setzt mit True Love ein. Natürlich muss ich bei diesem Song sofort an Binah denken, sodass sich ein glückliches Grinsen auf meinem Gesicht ausbreitet.
Energisch öffne ich meinen Kleiderschrank, in der Hoffnung irgenwas Passendes fürs Abendessen in einer halben Stunde zu finden. Ich muss mich echt beeilen.
Ich durchkrame meine Pullis, während ich mit dem Gedanken spiele, mir ein Kleid anzuziehen. Ich meine, es ist nicht irgendein Abendessen. Es ist ein Abendessen, was darüber entscheidet, ob ich mit Binah zusammenkommen werde. Zumindest mehr oder weniger. Ist das nicht Anlass genug, ein Kleid anzuziehen? Hilfe, was soll ich nur machen?
Ich ziehe erstmal alle Sachen aus den Schubladen und Schränken, die sich eignen würden, bis vor mir ein riesiger Stapel Kleidung liegt.
Es klopft an meiner Zimmertür und Mom steckt ihren Kopf durch die Tür.
„Willst du nochmal weg?", fragt sie verwirrt. Ich nicke. Ups, habe ich ihr das gar nicht erzählt.
„Ich bin bei Binah zum Abendessen eingeladen.", erkläre ich, während ich weiter meinen Kleiderstapel beäuge, in der Hoffnung, dass mir so das perfekte Outfit vor die Augen springt. Aber das passiert leider nicht.
„Binah? Das Mädchen, was letztens hier war?" Mom sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an.
„Das Mädchen, auf das Jule steht!", höre ich Nikolas' Stimme aus dem Flur. Gott, wie ich ihn manchnmal hasse! Aber gerade habe ich einfach nicht die Kraft dazu, mich bei ihm gerecht zu rächen. Ich hole das einfach ein anderes Mal nach.
„Du hast eine Freundin?" Mom sieht mich erwartungsvoll an. Über ihre Lippen hat sich ein kleines Lächeln gespannt.
„Nein! Also, noch nicht... Vielleicht bald...", erwidere ich und löse meinen Blick wieder von den vielen Klamotten, die sich auf meinem Zimmerboden ausbreiten.
„Scheint aber ziemlich ernst zu sein, wenn du bei ihr zum Abendessen eingeladen bist.", kommt es von Mom. Ihr Lächeln wird ein bisschen weiter.
„Anscheinend. Und das macht mich fertig, weil ich keine Ahnung, was ich anziehen soll und in..." Ich sehe auf die Uhr. „...zwanzig Minuten muss ich schon da sein!"
Mom grinst, als wüsste sie genau, wie ich mich gerade fühle. Dann beginnt sie in dem Kleiderstapel zu fühlen. Wenige Sekunden später hält sie mir eine rosa-rote Bluse mit hellblauer Hose hin.
„Wie wäre es damit?" Ich beäuge das Outfit kritisch. Ich weiß ja nicht... Aber als ich aus dem Augenwinkel die Uhr erblicke, die inzwischen schon Viertel vor sieben anzeigt, schnappe ich mir die Kleidung. Mom grinst mich an.
„Na dann. Viel Spaß bei deinem Date." Sie zwinkert mir vielsagend zu. Aber ich verdrehe nur grinsend die Augen.
„Von mir auch!", wirft mein Bruder aus dem Flur hinterher. Ich weiß manchmal echt nicht, ob ich meine Familie lieben oder hassen soll.
Ich schlüpfe schnell in die Kleidung und schalte die Musikbox aus. Dann schnappe ich mir mein Handy und laufe nach unten, wo ich schnell meine Jacke überziehe und in meine Stiefel steige.
Ich laufe nach draußen und schwinge mich aufs Rad. Ich hoffe wirklich, dass ich nicht zu spät bin. Dann würde ich nämlich einen richtig schlechten Eindruck machen. Und das will ich auf gar keinen Fall. Im Gegenteil. Ich will, dass Binahs Eltern mich sofort sympathisch finden. Auch wenn ich gerade total nervös bin, versuche ich mir Mut zuzusprechen. Das wird schon. Ich schaffe das schon. Binahs Eltern werden mich lieben.
Oh Gott, wie soll ich die überhaupt begrüßen? Guten Tag, Binahs Eltern? Hilfe! Ich drehe komplett durch.
„Beruhig dich, Jule. Alles ist gut.", flüstere ich leise in die von Straßenlaternen erleuchteten Straßen. Der Regen prasselt auf mich hinab und ich wünsche mir sofort, Handschuhe angezogen zu haben. Aber dafür war einfach keine Zeit.
Ich biege in Binahs Straße ein und wenige Sekunden später lehnt mein Fahrrad schon an ihrer Hauswand.
Ich laufe die Stufen hoch, bis ich vor dem Klingelschild stehe. Es ist dunkelgrau und darauf sind die Namen der Bewohner*innen abgedruckt. Matthias – das ist wohl Binahs Vater -, Noemi – das scheint ihre Mutter zu sein – und daneben ein Name, der mit einem Papierstreifen und Tesafilm überklebt wurde. Darauf steht Binah in etwas verwischter Schrift. Ich muss lächeln.
Ich atme tief durch. Ein. Und wieder aus. Ein. Und wieder aus. Dann strecke ich meine zitternde Hand aus und drücke auf den Klingelknopf. 

You make it feel like Christmas (Deutsch, girlxgirl)Where stories live. Discover now