19. Kapitel

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Wir laufen in die Küche und suchen uns dort alles zusammen, was wir zum Backen brauchen. Ich ziehe das Rezeptebuch hervor und schlage eine Seite auf, auf der leckere Weihnachtsplätzchen abgebildet sind.
Wir schmeißen die Zutaten nach Rezept in der richtigen Menge in die Schüssel, während im Radio All I Want For Christmas Is You läuft. Ich komme nicht mehr aus dem Grinsen heraus. Einfach, weil uns ständig etwas nicht gelingt. In den Keksen ist zu viel Backpulver, der ganze Küchentresen ist mit Mehl voll und der Teig ist viel zu flüssig. Ich glaube, wir haben so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Aber irgendwie macht es trotzdem riesigen Spaß. Wir lachen und kichern die ganze Zeit. Es ist einfach schön. Immer wieder haben Binah und ich Körperkontakt. Ich habe keine Ahnung, ob das absichtlich ist oder sie mich zufällig berührt. Aber es fühlt sich toll an. Kribbelig und unglaublich schön.
"Jetzt nur noch in den Ofen!", sage ich und schiebe das Blech mit unseren ausgestochenen Keksen in den Ofen. Ich stelle die richtige Temperatur ein und richte auf meinem Handy einen Timer auf eine halbe Stunde ein.
Wir grinsen uns an und beschließen, wieder hochzugehen, bis die Plätzchen fertig gebacken sind.
Noch immer lachend lassen wir uns auf mein Bett fallen.
"Es ist echt total lustig mit dir.", sagt Binah, noch immer grinsend. Ich lächele zurück.
"Finde ich auch."
"Ich finde es generell echt schön mit dir." Ich weiß nicht, woher ich diesen Mut nehme, aber ich habe Binah das gerade tatsächlich gesagt. Ich überlege, ob ich ihr auch sagen soll, dass ich sie wirklich mag, aber dafür habe ich dann doch nicht genug Mut.
"Finde ich auch. Danke übrigens, dass ich hier sein darf." Wow, Binah ist wirklich höflich.
"Ist doch klar, ich freue mich."
Wir lächeln uns an, dann ist wieder kurz Ruhe.
"Kann ich dir was erzählen?", fragt Binah dann.
"Ja, klar." Mein Herz beginnt schneller zu pochen. Wird sie mir jetzt sagen, dass sie mich schon bei unserer ersten Begegnung mochte? Oder will sie mir sagen, dass sie mich generell mehr als freundschaftlich mag?
Ich spüre ein aufgeregtes Kribbeln in meiner Magengegend. Dann beginnt Binah, zu sprechen.
"Mir geht es gerade eigentlich nicht so gut. Aber mit dir Zeit zu verbringen, macht mich trotzdem total glücklich."
"Wieso? Was ist los?" Es tut mir total leid, dass es Binah schlecht geht. Ich wünsche mir so sehr, dass es ihr total gut geht. Einfach, weil es mir dann auch besser geht. Weil mir Binah so viel bedeutet. Mehr, als ich jemals dachte. Vor allem nicht bei unseren ersten Begegnungen.
"Na ja, ich verstehe mich zwar gut mit meinem Vater, aber zu meiner Mutter habe ich kein besonders gutes Verhältnis. Sie ist die meiste Zeit zwar eh auf der Arbeit, aber trotzdem... Sie versteht mich einfach nicht. Sie versteht nicht, dass ich kein Junge bin. Sie versteht nicht, dass ich die Hormone brauche und mir auch wünsche, mich operieren zu lassen. Papa versucht ständig, ihr das zu erklären, aber sie sieht es einfach nicht ein. Gestern ist das alles mal wieder eskaliert."
"Das tut mir total leid... Hast du ihr denn schon mal ruhig erklärt, wie du dich fühlst?", frage ich.
"Ja. Schon mehrmals. Aber sie checkt einfach nicht, wie es mir geht. Sie checkt nicht, dass ich zwar in diesem blöden Jungenkörper auf die Welt gekommen bin, aber es einfach nicht zu mir passt. Ich. Bin. Kein. Junge. Ich bin ein Mädchen. Sie versteht echt gar nichts!"
"Das ist wirklich doof... Spricht sie dich zumindest mit den richtigen Pronomen und deinem neuen Namen an?"
"Teilweise. Aber wenn, dann nur total übertrieben, mit einem angeekelten Tonfall. Zum Glück setzt sich Papa aber dann immer für mich ein."
"Das tut mir echt leid.", sage ich nur, weil ich nicht weiß, was ich noch dazu sagen soll. Es tut mir total leid für Binah, dass sie nicht von ihren Eltern akzeptiert wird. Ich wünschte, ich könnte irgendwas daran ändern, aber für sie da zu sein, ist wahrscheinlich das einzige, was ich tun kann. 
Ich lege meine Arme um Binah und umarme sie. Es fühlt sich gut an, kribbelig. Ich fühle ihre Brüste an meinen und rieche den Geruch ihres Shampoos durch die Nase. Es riecht nach Melone. Ziemlich sommerlich. 
Binahs Wärme geht durch meinen ganzen Körper, während mein Herz so schnell pocht, als würde es jeden Moment aus meinem Brustkorb springen. 
"Danke. Danke für alles.", murmelt Binah. Ich höre an ihrer Stimme, dass sie kurz vor dem Weinen ist. Als ich mich wieder ein Stück von ihr löse, läuft auch schon die erste Träne über ihre Wange. 
"Ich bin für dich da, okay? Du kannst immer mit mir reden. Wenn ich dir irgendwie helfen kann, dann sag Bescheid.", flüstere ich leise. Binah lächelt knapp, aber sieht nicht auf. 
"Danke. Aber du kannst da leider auch nichts machen. Ich werde wohl warten müssen, bis ich ausziehen kann...", meint sie. 
"Aber das ist doch auch keine Lösung.", erwidere ich. Ich habe noch immer meinen Arm um Binahs Schultern gelegt und ihr Kopf fällt jetzt schwer auf meine Schulter. Ich lege meinen darauf. 
"Ich weiß, aber was soll ich denn machen? Ich habe sogar als neuen Namen den Zweitnamen meiner Mutter genommen, weil sie meinte, sie hätte mich so genannt, wenn ich als Mädchen geboren worden wäre. Ich dachte, dass sie es sowieso akzeptiert, weil sie eh lieber ein Mädchen bekommen hätte. Aber das hat sie nicht getan."
"Wie ist denn das Outing genau abgelaufen? Willst du darüber reden?"
Binah nickt. "Es war vor fünf Jahren. Ich habe schon immer gemerkt, dass ich eigentlich kein Junge bin. Mit neun habe ich es dann meinen Eltern gesagt. Papa hat mich sofort unterstützt, aber meine Mutter meinte schon da, es wäre nur eine Phase. Als ich dann angefangen habe, mit Papa zu einem Therapeuten zu gehen, hat sich Mama immer mehr von uns abgewandt. Irgendwann habe ich dann endlich die Hormone bekommen. Es hat sich für mich perfekt angefühlt, aber Mama meinte immer nur, dass ich es alles bereuen würde. Dabei habe ich es nur bereut, meine Zeit für sie verschwendet zu haben."
"Das ist echt mies. Aber wenn sie es einfach nicht versteht, bringt es wahrscheinlich auch nichts, es weiter zu probieren.", sage ich. 
"Eben. Zumindest Papa unterstützt mich total." Sie fängt an zu grinsen. "Der hat mich ewig ausgefragt, nachdem ich im Café nach deiner Nummer gefragt habe."
Ich lächele auch und werde knallrot. Aber bevor ich noch etwas sagen kann, meldet sich mein Handy mit dem Timer zu Wort. Die Kekse sind fertig!

You make it feel like Christmas (Deutsch, girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt