34. Kapitel

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Die Tür öffnet sich und Mirays Mutter steht davor. Sie blickt erst in die Augen ihrer Tochter, die sich nun wieder mit Tränen füllen, dann sieht sie an mir herunter. 
Ich lächele Miray knapp an, die meine Hand jetzt noch fester drückt. Ich spüre ihre Nervosität und Angst und - so komisch es auch klingt - mir geht es genauso. Ich bin auch total nervös und ängstlich, als würde es um mein Outing gehen. Miray ist schließlich meine beste Freundin und ich will, dass es ihr gut geht. Weil sie das verdient hat. Sie hat es nicht verdient, dass ihre Mutter sie so abstoßt. 
"Ähm, guten Tag, Frau Öztürk.", begrüße ich Mirays Mutter. Ich zwinge mich zu einem freundlichen Lächeln, aber es gelingt mir irgendwie nicht so wirklich. Mirays Mutter aber auch nicht. Wobei sie es nicht mal wirklich versucht. 
"Hallo, Jule.", sagt sie nur, aber mit diesem ungewöhnlichen Klang in ihrer Stimme. Es fühlt sich sofort an, als wäre ich Fehl an diesem Platz. Ich gehöre hier eigentlich nicht hin. Es ist eine Sache zwischen Miray und ihrer Mutter. Ich gehöre hier nicht hin. Die beiden müssen das alleine klären. 
Aber als ich einen Blick zu Miray werfe, sehe ich sofort, dass sie das ganz anders sieht. Das feste Drücken meiner Hand zeigt, dass ich gerade ihr einziger Halt bin. Vielleicht bin ich das wirklich. Miray braucht mich gerade anscheinend. Also werde ich für sie da sein. So wie sie es immer für mich ist. 
"Können wir reinkommen?", frage ich flüsternd. Ich weiß selbst nicht, wieso ich auf einmal flüstere. Es scheint irgendwie, als wäre es unangebracht, wenn ich laut rede. Und zudem sieht Mirays Mutter gerade so aus, als müsste sie vorsichtig behandelt werden. Und das werde ich auch tun. Trotzdem müssen Miray und ich ihr irgendwie klarmachen, dass Miray nichts dafür kann, dass sie aromantisch ist und ihr erklären, was das bedeutet. Vielleicht bringt das ja schon was. 
"Ach so, ähm, ja, klar." Mirays Mutter geht vorsichtig auf Seite und wir treten ein. Nervös schlüpfen wir aus den Jacken und Schuhen, dann folgen wir Frau Öztürk ins Wohnzimmer, wo wir uns auf die große blaue Couch fallen lassen. Ich habe hier schon oft gesessen. Auch, dass Mirays Mutter neben uns sitzt, ist nichts neues, aber trotzdem fühlt es sich anders an, als all die Momente vorher. Einfach, wegen diesem Hintergrund wissen, dass dieses Gespräch verdammt nochmal irgendwie über Miray entscheidet. 
"Möchtet ihr... was trinken?", ist das erste, was Frau Öztürk dann sagt. Wahrscheinlich traut sie sich nicht, schon jetzt das Gespräch zu beginnen. 
"Nein, danke." Eigentlich habe ich totalen Durst, aber das ist mir gerade egal. Ich will so schnell wie möglich mit dem Gespräch beginnen und die Vorurteile, die da im Kopf von Mirays Mutter herumwuseln, aus der Welt schaffen. 
"Miray?" Sie sieht ihre Tochter an, mit diesem gemischten Blick. Ich sehe die Trauer, Angst, Wut und gleichzeitig Hoffnung. Ich kann es nicht genau beschreiben, aber sie sieht ziemlich emotional aus. Insgeheim merkt sie wahrscheinlich, wie sehr sie ihre Tochter vermisst hat. 
Auch Miray schüttelt ihren Kopf. Eine Weile sitzen wir einfach nur da. Miray, die die ganze Zeit auf den Boden vor ihr starrt und wahrscheinlich versucht, ihre Tränen zurückzuhalten. Mirays Mutter, die ihren Blick immer wieder zwischen meinem, dem ihrer Tochter und dem Boden wechselt. Und dann ich, die nur auf Miray guckt. Ich wüsste so gerne, wie es gerade im Kopf meiner besten Freundin aussieht und was ich tun soll, um ihr wirklich zu helfen. Will sie, dass ich das Gespräch beginne? Oder ist sie selbst kurz davor, etwas zu sagen?
"Soll ich anfangen?", flüstere ich ihr also leise zu und sie nickt knapp. Darauf folgt ein Schniefen und ich sehe, wie Miray sich eine Träne aus dem Gesicht wird. Ich würde sie gerade so unglaublich gerne in die Arme nehmen, aber ich weiß, dass wir jetzt erstmal diese Sache hier klären müssen. 
"Okay, also, ähm...", beginne ich. Ich stelle Blickkontakt mit Mirays Mutter her, die mich sofort erwartungsvoll ansieht. Trotzdem kann ich nicht verhindern, dass ihr Blick immer wieder zu Miray schweift. Sie hält nicht mehr meine Hand, weswegen ich meine Hand auf ihre Schulter gelegt habe, um ihr zu zeigen, dass ich da bin. Es ist vielleicht bescheuert, aber ich habe mal gehört, dass Körperwärme helfen soll, wenn es einem schlecht geht. Und selbst wenn das nicht stimmt, schaden kann es auf keinen Fall. "Sie wissen wahrscheinlich, worüber wir mit Ihnen sprechen wollen. Miray hat Ihnen letztens gesagt, dass sie aromantisch ist. Ich weiß nicht, ob Sie genau wissen, was das ist, also, ähm, ich sag das einfach mal. Eine Person, die aromantisch ist, fühlt keine oder nur wenig romantische Anziehung zu einer anderen Person. Für Miray heißt das zum Beispiel, dass sie einfach noch nie verliebt war. Sie hat es wirklich versucht und glauben Sie mir, sie wollte nicht, dass alles so läuft. Sie hat sich viele Sorgen gemacht und für sie ist das ganze auch noch neu. Aber ich möchte, dass sie wissen, dass Asexualität oder Aromantik genauso eine valide Sexualität ist, wie Homo- oder Heterosexualität zum Beispiel. Und Ihre Tochter liebt Sie, daran wird sich nichts ändern. Und ich bin mir auch sicher, dass Sie ihren Tochter ebenfalls lieben."
"Ich wollte das wirklich nicht, Mama.", fügt Miray hinzu. "Du glaubst gar nicht, wie alleine ich mich gefühlt habe. Die ganze Welt dreht sich doch irgendwie um Liebe und dann ist mir das ganze Beziehungszeug so egal wie..." Miray sucht nach einem guten Vergleich. 
"Wie für Sie der Zweitname Ihres ersten Mathelehrers." Ich habe selbst keine Ahnung, woher ich diesen Vergleich auf einmal nehme, ich bin wohl mal wieder an den komischsten Stellen kreativ. 
Miray sieht mich kurz verwirrt an, aber dann führt sie fort. "Ähm, ja. Also... Ich... Ich verliebe mich einfach nicht. Da kann ich es noch so sehr versuchen. Ich bin nicht interessiert an einer Beziehung. Und ich war wie gesagt auch noch nie verliebt. Nicht mal ein kleines Bisschen. Und..." Miray schnauft. "Es hat mich verletzt, wie du reagiert hast. Ich habe nicht mal die Chance bekommen, mich zu erklären. Vielleicht würdest du es verstehen, wenn du mich hättest erklären lassen. Aber das wolltest du nicht. Du wolltest mich nicht. Und das ist wirklich schwer für mich, Mama. Es hat Überwindung gekostet, das zu sagen. Und es war auch für mich selbst nicht leicht, das einzusehen. Dass du so schlecht reagierst, hat mich echt fertig gemacht. Ich kann doch auch nichts dafür, dass ich einfach auf niemanden stehe. Ich habe es doch wirklich versucht. Aber ich kann mich einfach nicht verlieben. Wieso verstehst du denn nicht, dass es keine Entscheidung ist und ich dafür einfach nichts kann?" Miray beginnt wieder zu weinen. "Mama... Mama, sag doch was!"

You make it feel like Christmas (Deutsch, girlxgirl)Where stories live. Discover now