30. Kapitel

75 10 2
                                    

„Wirklich?" Binah sieht mich noch immer skeptisch an.
„Wirklich, Binah. Und ob du es glaubst oder nicht, aber ich halte es einfach nicht ohne dich aus. Ich will nicht, dass wir uns streiten. Ich brauche dich wirklich, Binah. Und bitte glaub mir, das mit Marie war echt nichts. Ich schwöre dir, ich habe absolut nichts gefühlt, außer absoluten Ekel. Es war echt nicht schön. Bei Weitem nicht so schön wie mit dir.", versichere ich ihr erneut.
„Okay... Sorry, dass ich dir nicht geglaubt habe." Binah scheint geknickt, sie hat ihren Kopf auf die Knie gelegt.
„Alles gut." Mir fällt ein Stein vom Herzen. Endlich ist wieder alles gut zwischen uns. Die Frage ist nur, wie es jetzt weitergehen soll. „Und... jetzt?"
„Ich habe keine Ahnung...", kommt es von Binah.
„Binah! Lernst du bitte weiter?", kommt jetzt die Stimme von Binahs Mutter aus dem Flur. Binah verdreht die Augen.
„Sorry, meine Mutter nervt echt. Vor allem in letzter Zeit. Aber das weißt du ja." Sie schnauft und beugt sich wieder über ihr Buch, was sie über das Notizheft ausgebreitet hat. Vermutlich zeichnet sie die ganze Zeit und tut nur so als würde sie lernen. Ich kann es irgendwie verstehen. Ihre Mutter scheint nicht besonders freundlich zu sein. Wie es scheint, setzt sie ihre Tochter wirklich unter Druck. Das tut mir echt leid für Binah.
„Maximilian? Äh, ich meine, Binah?", dröhnt wieder die Stimme von Binahs Mutter durch den Flur.
Ich sehe, wie sich Binahs Brustkorb langsam hebt und senkt. Wenn ich richtig gehört habe, scheint Maximilian Binahs Deadname zu sein. Es tut mir echt total leid für sie, dass sie von ihrer Mutter noch damit angesprochen wird.
„Was ist denn?" Binahs Stimme wird immer genervter.
„Du schreibst morgen Englisch! Also lern jetzt bitte! Ich will nicht, dass das wieder eine Drei wird.", höre ich wieder die Stimme von Binahs Mutter.
Binah verdreht ihre Augen. „Die nervt so sehr. Echt jetzt, ich hatte eine Drei, was ist denn daran schlimm? Sorry, dass ich keine Musterschülerin bin." Sie lässt sich nach hinten fallen.
„Macht sie dir immer so einen Stress?", frage ich zweifelnd. Es tut mir echt leid für Binah, dass ihre Mutter so mit ihr umgeht.
„Ja... Leider." Sie schnauft. „Und damit, dass ich trans bin, kommt sie auch noch nicht so richtig klar. Sie benutzt noch oft meinen Deadname, wie du ja gerade auch gehört hast. Und sie sagt auch fast immer noch er, statt sie. Dabei ist mein Outing schon vier Jahre her. Vier Jahre! Aber sie checkt immer noch nichts!"
„Das tut mir echt leid.", sage ich nur. Es tut mir wirklich leid. Binah hat es nicht verdient. Ich hoffe, sie wird zumindest in der Schule akzeptiert.
„Immerhin läuft es in der Schule ganz gut.", kommt es von ihr, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
„Wirst du da akzeptiert?"
„Ja, alle Lehrer sprechen mich mit Binah und den richtigen Pronomen an. Mit den Schüler*innen klappt es auch ganz gut. Manche machen sich einen Spaß daraus, meinen Deadname und die männlichen Pronomen zu benutzen, aber das ignoriere ich einfach. Okay, was heißt einfach, es tut echt weh, aber nur so checken sie, dass sie mir egal sind. Und meine Freund*innen unterstützen mich auch total."
„Das ist echt schön. Und nur dass du es weißt, ich unterstütze dich auch. Wirklich. Wenn irgendwas ist, kannst du immer zu mir kommen. Ich bin für dich da." Ich lächele Binah aufmunternd zu.
„Danke, Jule."
„Binah? Deine Freundin muss jetzt mal gehen!", kommt es wieder von ihrer Mutter.
„Lass doch das arme Kind in Ruhe!", höre ich jetzt eine männliche Stimme. Ich glaube, sie gehört zu ihrem Vater.
„Das arme Kind schreibt zufällig morgen Englisch!", kommt es wieder von ihrer Mutter.
„Ja, und das arme Kind hat auch noch besseres zu tun. Und wenn sie jetzt kurz was mit ihrer Freundin klären will." Das war wieder ihr Vater.
„Das kann er ja auch machen, aber nicht, wenn er morgen eine Arbeit schreibt.", kommt es wieder von Binahs Mutter. Ich werfe Binah einen kurzen Seitenblick zu. Ich sehe genau, wie fertig es sie wieder macht, dass ihre Mutter die falschen Pronomen benutzt. Ich verstehe es irgendwie. Ich stelle es mir auch echt nicht schön vor, immer mit männlichen Pronomen angesprochen zu werden. Trotzdem werde ich wahrscheinlich nie nachvollziehen können, wie sich Binah fühlt. Einfach, weil ich cis und nicht trans bin.
Er macht gar nichts. Nur sie. Versteh endlich, dass deine Tochter eine Tochter ist, kein Sohn. Sie ist ein Mädchen und deswegen ist sie auch eine Sie." Ich muss lächeln. Ich finde es schön, dass sich zumindest Binahs Vater so für sie einsetzt.
„Vielleicht solltest du wirklich gehen...", kommt es dann von Binah. „Ich schreibe morgen wirklich Englisch und... Es ist doch jetzt alles wieder gut." Der zweite Teil kommt er fragend und etwas ängstlich rüber, anstatt wie eine Aussage.
Ich nicke zufrieden und schenke Binah ein aufmunterndes Lächeln.
„Viel Erfolg noch beim Lernen. Du schaffst das schon morgen. Sehen wir uns vielleicht im Café?", frage ich und stehe auf.
„Klar. Ich komme sofort nach der Schule vorbei." Sie lächelt mich an und ich öffne die Zimmertür.
„Also dann... Tschüss." Ich schenke Binah eine sanfte Umarmung. Ihr weihnachtlicher Geruch umhüllt mich und die schwarzen Locken kitzeln mich an der Nasenspitze.
„Tschüss. Und danke, Jule. Es tut mir so unglaublich leid, dass ich dir nicht früher geglaubt habe. Hier war einfach so viel los... Sorry... Ich hätte nicht wegrennen sollen."
„Alles gut." Ich drücke Binah noch einmal, einfach, weil ich mich nicht von ihr lösen kann.
Dann laufe ich die Treppe runter, verabschiede mich freundlich von Binahs Eltern und schlage wieder den Weg nach Hause ein. 

You make it feel like Christmas (Deutsch, girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt