29. Kapitel

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Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als ich ein paar Stunden später den Klingelknopf von Binahs Haustür drücke. 
Ich hatte es mit Mirays Hilfe geschafft, die ganzen Kartons voller Zutaten in nur wenigen Stunden einzuräumen. Glücklicherweise musste ich heute nicht noch einmal meiner Ex begegnen, weil sie nicht bei uns im Café aufgetaucht ist. 
Tja, und jetzt stehe ich hier. Vor der Haustür von Binah, meiner Fast-Freundin, normalen Freundin und gleichzeitig irgendwie auch meiner Ex-Freundin. Ich weiß selbst nicht mehr genau, was sie denn jetzt eigentlich für mich ist. Ich weiß nur eine Sache: Ich mag sie wirklich. Und deswegen werde ich alles dafür geben, ihr endlich alles zu erklären. Egal, was passiert, ich werde um sie kämpfen. Ich werde es weiter und weiter versuchen. 
Die Tür öffnet sich und eine kleine Frau steht vor mir. Sie runzelt ihre Stirn und sieht an mir herauf, sodass sich mein Blick mit ihrem trifft. 
"Ähm hi. Also, ich meine, guten Tag. Ähm, also ich bin Binah. Äh, Quatsch, nee, also ich bin hier, um Binah zu sehen. Ich bin, äh, Jule." Oh Gott. Das war ja mal wieder perfekt, Jule. Ich habe wirklich einen Preis für die beste Kommunikation verdient.
"Jule? Ich kenne keine Jule.", kommt es von der kleinen Frau und sie macht Anstalten, die Tür wieder zu schließen, was ich jedoch nicht zulassen kann. Okay, es macht mich traurig, dass Binah nicht einmal ihrer Mutter von mir erzählt hat, aber trotzdem will ich jetzt mit Binah reden! Ich bin durch den Regen - ja, es regnet nur noch, der Schnee hat sich von uns verabschiedet - hierhin gefahren, mit nur einem Ziel: Binah endlich die Wahrheit zu sagen. Das kann sie mir jetzt nicht verbieten!
"Könnte ich bitte mit Binah sprechen? Bitte! Es geht auch ganz schnell." Während ich noch stolz bin, dass ich normale Sätze herausbekommen habe, sieht mich die Frau weiterhin zweifelnd an. Ihre Augenbrauen berühren fast den dunklen Haaransatz an ihrer Stirn. Unter ihren Augen strecken sich Falten. Ich schätze sie auf ungefähr vierzig bis fünfzig Jahre, vielleicht auch etwas älter. 
"Was willst du denn von ihr?", will die Frau jetzt wissen. Wie neugierig will sie denn noch sein?
Ich schnaufe. Ich brauche jetzt irgendeine Ausrede, mit der Wahrheit komme ich hier bestimmt nicht durch. 
"Ich muss etwas mit ihr klären, wegen Schule. Wir müssen zusammen ein Referat machen.", erkläre ich. 
"Welches Fach denn?" Kann sie mich nicht einfach reinlassen? Ist das so schwer? In der Zeit hätte ich Binah schon längst alles sagen können und sie hätte mir geglaubt und wir hätten uns umarmt und geküsst und wären zusammengekommen und die glücklichsten Mädchen der Welt gewesen. Aber stattdessen muss ich gerade Binahs Mutter erklären, welches ausgedachte Schulprojekt ich mit ihrer Tochter anfertigen muss. Na danke auch. 
"Musik.", sage ich also bloß, weil es das erste ist, was mir einfällt. 
"Und worüber?"
"Mozart." Ich weiß, ich weiß, das ist nicht besonders kreativ, aber wenn ich so zu Binah komme?!
"Na gut, aber in zehn Minuten bist du wieder weg! Sie muss lernen!" 
Ich nicke höflich, auch wenn ich gleichzeitig denke, wie sehr mir Binah leidtut, dass sie bei so jemandem wohnen muss. 
Ich betrete das Haus und schlüpfe aus meinen Schuhen. Dann spurte ich die Treppe hoch, wo laut Binahs Mutter ihr Zimmer sein soll. 
Ich klopfe an der beschriebenen Zimmertür und warte auf eine Antwort. 
"Herein?", ertönt es von innen. Mit zitternden Fingern drücke ich die Türklinke runter und betrete den Raum. Er sieht schön aus. An den Wänden hängen viele Poster, unter anderem von 5 Seconds Of Summer und Simple Plan. Alle Wände sind hellgelb gestrichen, was wirklich schön aussieht. 
Als ich Binah erblicke, sitzt sie an ihrem Schreibtisch und zeichnet etwas in ein kleines Notizheft. 
"Was machst du hier?", fragt sie sofort. Ich sehe ihr an, dass sie mich hier nicht haben will. Ihre Augen sind verengt, als würde sie mich jede Sekunde umbringen wollen. Dabei habe ich doch gar nichts getan! Ich bin einfach nur ein unschuldiges, verliebtes Mädchen, das endlich das Mädchen ihrer Träume zurück haben will. Aber Binahs Mutter und Binah selbst machen es mir unnötig schwer. 
"Mit dir reden.", sage ich nur knapp und setze mich auf Binahs Bett, das rechts neben ihrem Schreibtisch steht. Das Bett knarzt, während Binah mich zweifelnd und gleichzeitig irgendwie wütend ansieht. "Auch, wenn es vielleicht anders aussah. Ich habe rein gar nichts getan. Ich habe dich gemocht, Binah, die ganze Zeit über.", beginne ich sofort zu reden. Ich will keine Zeit verschwenden und zu Smalltalk wäre ich gerade eh nicht in der Lage. "So sehr, wie du es kaum glauben kannst. Ich war überglücklich nach unserem ersten Treffen in der Eislaufhalle und habe mich jedes Mal gefreut, wenn du einfach nur bei uns im Café warst. Und auch wenn es vielleicht komisch ist, sogar beim ersten Mal, als ich dich gesehen habe, fand ich dich gut. Auch, wenn es nur durch den Badezimmerspiegel war. Bitte glaub mir doch, zwischen Marie und mir war rein gar nichts. Sie ist auf einmal im Café aufgetaucht und hat begonnen mir mit zu reden, nachdem wir uns glücklicherweise ewig nicht gesehen haben. Sie ist meine Ex, Binah. Ja, ich mochte sie mal und wir waren auch zusammen. Aber nur einen Tag. Dann hat sie Schluss gemacht. Sie wollte nämlich nur beweisen, dass ich lesbisch bin. Das fand ich so gemein, dass ich sie gehasst habe und glücklich war, als sie die Schule verlassen hat. Als sie dann auf einmal wieder im Café stand, war ich gar nicht glücklich. Ich habe versucht, so wenig wie möglich mit ihr zu reden, weil ich absolut keinen Bock auf sie hatte. Dann aber, letztes Mal, wollte sie mich einfach küssen. Ich wollte es nicht, Binah, wirklich! Sie hat mich einfach ins Bad gezogen und ihre ekelhaften Lippen auf meine gepressten und weißt du was? Es war der schlimmste Kuss, den man haben kann. Ich habe zwar noch selten jemanden geküsst, aber wenn ich zwischen dem mit dir und dem mit Marie unterscheiden soll, dann war unserer... einfach wunderschön, wie im Himmel. Und der mit Marie war... absolut ekelhaft, ich hätte fast gekotzt! Aber sie wollte nicht loslassen. Ich habe versucht, mich von ihr loszureißen, aber sie hat weitergemacht. Irgendwann hatte ich keine Kraft mehr und als du kamst, war ich so perplex, dass ich mich nicht mehr gewehrt habe. Dann habe ich mich endlich von ihr lösen können und bin dir hinterher gerannt. Tja, und den Teil der Geschichte kennst du ja dann." Ich mache eine kurze Pause. "Denkst du wirklich, ich würde durch den Regen zu dir fahren und dir hinterherrennen, in die Kälte, in Arbeitskleidung und mit Verletzung an meinem Arm, wenn du mir nicht wichtig wärst? Sowas würde ich niemals für Marie tun. Sowas würde ich niemals für irgendeine andere tun, weil mein Herz schon lange vergeben ist. An das einzige Mädchen auf dieser Welt, von dem ich mich küssen lassen will. Das einzige Mädchen auf dieser Welt, für das ich alles geben würde. Das Mädchen auf der Welt, was ich so mag, wie keine andere. Bitte, Binah, glaub mir das. Denn es ist die Wahrheit. Ich mag nur dich."

You make it feel like Christmas (Deutsch, girlxgirl)Where stories live. Discover now