27. Kapitel

85 9 0
                                    

Ich bringe Miray den fertigen Zimt-Orangen-Tee nach oben. Sie nimmt ihn dankbar an und nippt an der weihnachtlichen Tasse. 
"Ruh' du dich erstmal aus, ich kümmere mich um eine Matratze und Sachen zum Schlafen.", sage ich, aber Miray hält mich zurück, bevor ich aus dem Zimmer verschwinden kann. 
"Jule, das ist wirklich nicht nöt-"
"Miray!", unterbreche ich meine beste Freundin. So lieb ich sie auch habe, sie kann echt mal mehr auf sich achten. Sie ist schließlich diejenige, der es gerade so schlecht geht. Okay, mir geht es auch nicht so gut und mein Tag war nicht gerade toll, aber Miray geht es bei Weitem schlechter. Und Freund*innen sind dazu da, füreinander zu sorgen, wenn es dem*der Einen schlecht geht. Und genau das tue ich jetzt. Da steht Binah, die Liebe und der ganze Rest erst an zweiter Stelle. "Wenn du noch einmal sowas sagst, dann..." Ich suche nach etwas, womit ich meiner besten Freundin drohen kann. "Dann... wickele ich dich in die Decke ein und kitzele dich durch!" Miray hasst es, gekitzelt zu werden. Es ist somit also eine perfekte Drohung. 
"Okay..." Miray grinst knapp, aber ich sehe ihr an, dass sie am liebsten sofort wieder etwas erwidern würde. Aber ich lasse sie nicht zu Wort kommen, sondern kümmere mich um Sachen für Miray. Ich ziehe eine Matratze aus der Abstellkammer hervor und schleppe sie ins Zimmer. Dann spanne ich ein Bettlacken darüber und beziehe Bettwäsche für Miray, die ich schlussendlich auf ihr Bett lege. 
"Danke, Jule. Ich weiß echt nicht, womit ich so eine tolle Freundin wie dich verdient habe." Miray sieht wieder aus, als wäre sie kurz davor, zu heulen. Es ist echt süß, wie emotional meine beste Freundin manchmal ist. "Ist das auch für deine Eltern okay?", will sie dann wissen. 
"Klar." Ich habe sie eben gefragt, als ich für Miray den Tee gemacht habe. Ich habe nur gesagt, dass es bei Miray zuhause etwas Krach gab und gefragt, ob sie vielleicht für die Nacht und gegebenenfalls auch länger bei uns bleiben kann. Sie hatten nichts dagegen. Kein Wunder, manchmal habe ich das Gefühl meine Mom mag Miray sogar mehr als mich. Zumindest lobt sie immer, wie höflich sie doch ist und dass sie so ein nettes Mädchen ist, wovon ich mir echt mal eine Scheibe abschneiden könne, zumindest wenn es nach ihr ginge. 
"Okay. Danke."
"Gerne, Miray. Wirklich. Ich bin immer für dich da. Ich lasse dich niemals alleine, okay? Du bist meine beste Freundin." Ich lächele Miray lieb an. 
"Ich heule gleich, Jule." Wie zur Bestätigung wischt sich meine beste Freundin mit einer theatralischen Handgeste eine Träne aus dem Augenwinkel. Ich muss lachen. 
"Wie wäre es jetzt mit einem Filmabend? Ich kann Chips holen und wir kuscheln uns zu irgendeiner weihnachtlichen Hetero-Liebesschnulze, die uns eigentlich beide nicht interessiert, weil ich lesbisch und du aromantisch bist, auf die Couch?", schlage ich vor. 
"Klingt super." Sie grinst. 
Ich schleppe also eine Packung Chips nach oben und stelle den Laptop vor uns auf. Wir beginnen, uns Tatsächlich... Liebe anzusehen. Okay, ansehen ist wahrscheinlich übertrieben, eigentlich beschweren wir uns nur die ganze Zeit darüber, wie heteronormativ dieser Film ist und dass Liebe so im echten Leben ja nie passiert, aber trotzdem ist es lustig. Und während wir uns mit Chips vollstopfen und ich merke, dass der Film doch gar nicht so schlimm ist, auch wenn er heteronormativ ist, fühle ich mich einfach glücklich. Glücklich, weil Miray hier ist, direkt neben mir, und wir endlich mal wieder zusammen übernachten. Ich weiß nicht, wie lange wir das nicht mehr gemacht haben. 
"Wie ist es eigentlich gerade zwischen Binah und dir?", will Miray wissen, als der Abspann läuft und ich mich müde räkele. 
"Falsche Frage...", murmele ich. Es ist so ziemlich das Letzte, woran ich gerade denken will. 
"So schlimm?" Sie sieht mich traurig an. 
"So ziemlich. Du erinnerst dich an Marie und daran, dass sie letztens schon wieder da war?", beginne ich. Ich hasse die reine Erinnerung an heute, aber doch weiß ich, dass Miray mich früher oder später eh durchlöchern wird. Also erzähle ich es ihr direkt jetzt. 
"Klar." Ihr Gesicht verwandelt sich von einem neutralen Ausdruck in einen geschockten. "Jetzt sag nicht, sie war wieder da?!" Sie reißt ihre Augen auf.
"Oh doch.", erwidere ich sarkastisch. "Und es war wieder wunderschön."
"Oh nein, was hat sie getan? Muss ich Angst haben? Dieses Mädchen ist so bescheuert!" Miray sieht mich zweifelnd an. 
"Ähm ja, deine Angst ist ziemlich berechtigt..." Ich erzähle Miray in der Kurzfassung, was passiert ist, wie ich es soeben auch bei meinem Bruder gemacht hatte. Während meiner Erzählung verwandelt sich ihr Gesicht in immer geschockter. Jetzt sitzt sie mit offenem Mund und aufgerissenen Augen vor mir. 
"Das ist ein Witz, oder?", ist das erste, was sie nach meiner Erzählung herausbringt. 
"Leider nicht. Auch wenn ich so wünschte, es wäre einer. Dann würde Binah zumindest wieder normal mit mir reden." Ich schnaufe und lasse mich erschöpft nach hinten fallen. Das weiche Polster der Couch fängt mich auf. 
"Oh shit. Was willst du jetzt tun?", fragt Miray und lehnt sich auch langsam zurück. Sie dreht sich so, dass sie mich genau ansieht. 
"Ich habe keine Ahnung! Binah denkt warscheinlich, ich wäre eine total Idiotin, die ständig auf ein neues Mädchen steht, obwohl ich das alles gar nicht wollte. Und Marie ist wahrscheinlich auch noch glücklich, weil es mir nicht gut geht. Boah, ich könnte dieses Mädchen ins Gesicht schlagen!"
"Verständlich! Das ist wirklich bescheuert von ihr. Was hat sie sich denn dabei gedacht?!"
"Wahrscheinlich nichts, die kann doch nicht mal denken."
"Auch wieder war..." Ich hebe einen Chipskrümel von der Decke und stecke ihn mir in den Mund. 
"Und jetzt?"
"Nichts jetzt." Ich schlucke runter. "Aus und vorbei. Binah wird doch nie wieder mit mir reden. Das war's mit Weihnachtszauber, Liebe und Freude."
"Du kannst doch jetzt nicht aufgeben, Jule! Du gibst NIE auf! Also tu es auch jetzt nicht. Wir werden Binah schon irgendwie beweisen können, dass du das alles nicht wolltest. Sei es mit der Aufnahme der Überwachungskamera."
Ich setze mich schwungvoll auf, sodass ich fast meinen Laptop mitreiße. "Aber das ist doch die Idee, Miray! Wieso bin ich da denn nicht selbst draufgekommen?"
"Hä?"
"Die Überwachungskamera! Die gibt es auf den Toiletten! Das ist DER Beweis." Ich lächele. Ich wusste es. Wie heißt es doch so schön? Es gibt für alles eine Lösung. Und das hat sich auch jetzt wieder bewiesen. Miray ist ein Genie!
"Meinst du nicht, das ist ein bisschen... kindisch?" Sie sieht mich skeptisch an. Ihre Augenbrauen sind so hochgezogen, dass sie fast ihren Haaransatz berühren. Und - puff - ist meine Freude wieder verschwunden. Danke, Miray. 
"Vielleicht... Aber darf man nicht auch mal kindisch sein? Ich will Binah zurück. Und dafür würde ich noch viel mehr machen." 
"Oh Gott, du bist echt verliebt. Aber wenn du meinst... Jetzt musst du nur noch an jemanden kommen, der dir die Aufnahmen besorgt.", merkt Miray an. Und da habe ich auch schon eine Idee... 
Ich grinse meine Freundin vielsagend an, sie braucht einige Sekunden, aber dann versteht sie, worauf ich hinauswill. 
"Nein, Jule! Das ist nicht dein Ernst! Vergiss es!" 
"Bitte, bitte, bitte. Du bist doch so eine liebe, nette, tolle Freundin. Bitteee!" Ich sehe Miray mit meinem bettelnden Hundeblick an, dem noch nie jemand widerstehen konnte.
"Womit habe ich dich nur verdient..." 
Ich grinse meine beste Freundin jubelnd an. Ich wusste, dass ich sie rumkriegen würde.  

You make it feel like Christmas (Deutsch, girlxgirl)Where stories live. Discover now