2. Kapitel

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"Da bist du ja endlich!", begrüßt mich meine Tante, freundlich wie immer. "Ich hatte doch gesagt, dass du dich beeilen sollst."

"Sorry...", schnaufe ich, während ich meine Schürze hinten zubinde. 

"Ich muss mich auf dich verlassen können, sonst kannst du gleich gehen." Ich lasse es, zu erwidern, dass es doch genau das ist, was ich will. Ich will gehen. Ich will hier nicht sein. 

Aber stattdessen sage ich wieder einfach nur "Sorry...". Ich habe diese nervige Angewohnheit, dass ich mich immer für alles entschuldige, egal, ob es wirklich meine Schuld war oder eigentlich die von jemand ganz anderen. 

"Was hast denn du so lange gemacht?" Alice sieht mich mit diesem Funkeln in ihren Augen an, als würde sie gleich ausflippen. Ich suche krampfhaft nach einer Ausrede, während ich mich frage, wie eine so unfreundliche Frau ein so nettes Café betreiben kann. 

Ich überlege, ihr von meiner Begegnung mit diesem Mädchen auf der Toilette zu erzählen, aber weil ich weiß, wie homophob meine Tante sein kann, entscheide ich mich dagegen. 

"Sorry..."

Alice stöhnt genervt, aber nimmt ihren strengen Blick nicht von mir. Hätte ich etwas anderes sagen sollen? 

"Also gut. Bediene bitte den jungen Herrn mit dem Mädchen dort drüben." Alice macht eine schwungvolle Handbewegung, knapp an meinem Stapel frischgespülter Teller vorbei und deutet auf einen Tisch in der hinteren Ecke. 

Es ist nicht irgendein Tisch. An diesem Tisch sitzt sie. Das Mädchen von der Toilette. Als ihr Blick in meine Richtung gleitet, wende ich meinen schnell ab und starre wieder meine Tante an. 

"Also los, worauf wartest du denn?" Sie macht hektische Handbewegungen in die Richtung des Mädchens und dem Mann, der wahrscheinlich ihr Vater ist. 

"Hier stehen die Bestellungen." Alice drückt mir ein Tablett in die Hand, wovon köstlicher Duft in meine Nase steigt. Vor mir liegt ein großer Schokoladenmuffin und ein Crêpe mit Erdbeeren und Vanilleeis. 

Während ich mich frage, welches der beiden Sachen das Mädchen von eben wohl bestellt hat, laufe ich konzentriert zum Tisch der beiden. Einen Schritt nach dem anderen, versuche ich mich zu konzentrieren. Bloß nichts umkippen!  Und ich schaffe es tatsächlich. Ich komme mit dem Essen an, ohne dass mir irgendein Missgeschick passiert ist. Ich bin von mir selbst überrascht. 

"Ähm, hier ihre, äh, Bestellung", stammele ich und stelle umständlich das Tablett auf den Tisch. Natürlich schaffe ich es dabei, die Blumenvase in der Mitte des Tisches in Wackeln zu versetzen. Toll gemacht, Jule. Im letzten Moment halte ich die Vase zurück, dabei komme ich jedoch mit meinem Ärmel an das Vanilleeis auf dem Crêpe. War klar, dass ich mich wieder so blamieren muss... 

Während der Mann mich aufmunternd anlächelt, sieht das Mädchen mich einfach nur an. Sie hat irgendwas in ihrem Blick, ein Funkeln in ihren tiefbraunen Augen. Und das sieht unglaublich süß aus. Es fällt mir schwer, weiter neutral zu bleiben. 

"Oh, ähm, sorry, das tut mir leid.", entschuldige ich mich, während ich aggressiv versuche, den großen Eis-Fleck von meinem Shirt zu wischen. Ich bleibe erfolglos. 

"Alles gut, junge Dame." Der Mann lächelt mich an. Ich bin total dankbar, dass er meine Missgeschicke so locker aufnimmt. Ich hätte auch bei Leuten landen können, die mich für sowas anmotzen. 

"Tut mir wirklich leid. Das, ähm, ist mein erster Tag hier.", versuche ich mich zu erklären. Ich weiß schließlich selbst genau, dass ich hier absolut nicht hingehöre. Ich gehöre in den Kindergarten. Zu Miray. In diesem Café bin ich komplett Fehl am Platz. 

"Ach, dann werden wir Sie in Zukunft öfters sehen?", fragt mich wieder der Mann, während er den etwas versauten Crêpe vom Tablett nimmt. Peinlich berührt stelle ich dem Mädchen ihren Muffin hin und sie lächelt mich knapp an. 

"Ja, die nächsten zwei Wochen. Ich mache hier mein Schulpraktikum.", erkläre ich. Immerhin im Smalltalk bin ich gut, wenn ich schon das Servieren komplett verhaue. 

"Ach, das ist ja schön!" Na ja, das kann man so oder so sehen. Aber dieses freundliche Gespräch ist definitiv das Highlight meines Tages. Wenn es nicht die Begegnung mit dem Mädchen ist. Auch wenn sie sich gerade ziemlich zurückhält. Wahrscheinlich hält sie mich eh für bescheuert und total inkompetent. Ich meine, ich schaffe es nicht einmal, den beiden ihr Essen zu servieren. 

"Dann noch viel Erfolg. Und mach dir nichts draus, wenn nicht alles sofort klappt. Das ist ganz normal. Bedienen ist schwieriger als man denkt.", ermuntert er mich freundlich. Ich kann gar nicht sagen, wie unglaublich froh ich bin, dass er das so locker sieht. Er ist wirklich freundlich. 

"Vielen Dank. Und nochmal Entschuldigung." Da ist sie wieder, meine Neigung zur Entschuldigung. Nur dass ich gerade wirklich selbst schuld bin. 

"Ach, alles gut!" 

Ich lächele den Mann freundlich an und er grinst zurück. Als ich einen kurzen Blick auf das Mädchen gegenüber von ihm werfe, sehe ich jedoch nur einen steifen, geradeaus gerichteten Blick. Sie sieht echt hübsch aus, aber ich weiß nicht, ob sie so nett ist, wie ich es dachte. Ich kenne sie ja nicht einmal. Und aus uns wird eh nie etwas werden. 

Wenn man mal ignoriert, wie sehr ich mich gerade vor ihr blamiert habe, gibt es immer noch das Argument, dass ich sie nicht kenne und nur gerade im Café bedient habe. Wenn man das überhaupt so nennen kann. Ich weiß rein gar nichts über sie und werde sie wahrscheinlich auch nie wieder sehen. Die Chancen stehen gleich null. Und wenn ich es mir so recht überlege, so kalt wie sie gerade gewirkt hat, habe ich auch gar nicht wirklich Interesse. 

Sie sieht einfach nur sehr gut aus. Viele Mädchen sehen sehr gut aus. Es ist nichts Neues, dass ich Mädchen heiß finde. Das fand ich schon immer. Zumindest nach meiner Hetero-Phase und der darauffolgenden Zeit, in der ich fest davon ausgegangen bin, dass ich dann eben bisexuell bin. Aber das bin ich eben nicht. Ich stehe auf Mädchen. Nur auf Mädchen. 

Schnaufend stelle ich das Tablett zurück auf den Tresen und lasse mich erschöpft auf einen Stuhl in der hinteren, unbesetzten Ecke des Cafés fallen. Ich muss echt mal daran arbeiten, mich nicht immer so vor heißen Mädchen zu blamieren. Kein Wunder, dass ich noch nie wirklich eine Freundin hatte. 

Ich starre nur in die Luft und ehe ich mich versehe, haben der Mann und das Mädchen von der Toilette fertig gegessen, gezahlt und verlassen den Raum wieder. Zweifelnd sehe ich den beiden hinterher, bis sie hinter der Tür verschwunden sind. Und mich alleine zurückgelassen haben. 

You make it feel like Christmas (Deutsch, girlxgirl)Where stories live. Discover now