dreiunddreißig

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TEIL ZWEI

Christian sah seinem Bruder nach. "So ist er eigentlich gar nicht", sprach er auf arabisch zu seiner Frau. "Du solltest zu ihm. Wir kommen klar." Christian nickte und seine Frau Samah nahm ihm ihren Sohn ab.

Er eilte zu seinem Bruder, welcher zusammengekugelt im Bett lag. "Matty, was ist los? Es tut mir leid, aber ich dachte, du verstehst das." Er hockte sich vor das Bett und sah seinen Bruder an. "Ich habe es satt, immer alles verstehen zu wollen. Warum hast du nichts gesagt? Wie lange schon?"

Christian seufzte. Ich habe sie vor sechs Jahren kennengelernt. Und als sie später schwanger wurde, mussten wir heiraten. Uneheliche Kinder werden nicht wirklich geduldet. Aber ich habe keine einzige Minute bereut." "Du belügst mich seit sechs Jahren?!"

Christian schluckte. So hatte er seinen Bruder noch nie erlebt- im Gegenteil. Matthew war immer der ruhigere von beiden, der verständnisvolle. Er wurde nie wütend.

"Matty, warum hast du vorhin Spencer erwähnt? Wo ist er? Wie geht es ihm?" Zum ersten Mal fing Matthew an zu weinen, obwohl jemand im Raum war. Das hatte er noch nie getan, damit sich niemand sorgen musste. "Wir haben uns getrennt", schluchzte er.

Matthew wollte den Grund nicht sagen. Er wollte nicht, dass seine Familie schlecht von Spencer dachte. Das könnte er nicht ertragen.

"Oh Gott, das tut mir leid. Und dann komme ich mit einer Familie an", flüsterte Christian und nahm die Hände von seinem Bruder in seine. "Es tut mir so, so leid." "Schon okay", schniefte er und wischte sich die Tränen weg. "Bald bin ich darüber hinweg", fügte Matthew flüsternd hinzu, doch er wusste, dass es gelogen war. Er würde niemals über Spencer hinweg kommen und das wusste auch sein Bruder.

"Würde es dir etwas ausmachen, wenn du dich vielleicht trotzdem mal duschst und dir etwas vernünftiges anziehst? Samah und Malik haben sich schon gefreut, dich kennenzulernen. Außerdem lenkt es dich ein bisschen ab." Matthew nickte und setzte sich auf. "Okay. Wissen sie denn..., dass ich schwul bin?" Christian nickte. "Aber sie finden es etwas merkwürdig, weil du im Jemen dafür ins Gefängnis gehst oder öffentlich gesteinigt wirst." Matthew schluckte, nickte aber. Das hatte Christian schon mehrfach erwähnt. "Okay, gib mir ein paar Minuten."

Sein Zwilling verließ das Zimmer und Matthew raffte sich auf, ging in sein angrenzendes Badezimmer und duschte sich.

Als er fertig war, zog er sich eine Jeans und einen Pullover an, sah in den Spiegel.

Was hatte er, was ich nicht hatte?! Oder stand Spencer eigentlich schon immer nur auf blonde Typen? Hatte er mich je geliebt? So richtig?, dachte er sich.

Dann wurde Matthew wütend. Wütend auf sich selbst. Ehe er überhaupt begriff, was passierte, war der Spiegel schon zerbrochen und seine Hand blutig. Überall lagen Scherben, das Blut tropfte von seinen Knöcheln.

"Ach Mist", murmelte er zu sich selbst und suchte nach einem Verband. Dann, als Matthew einen im erste Hilfe Kasten gefunden hatte, wickelte er den Verband um seine Hand und sammelte die Scherben ein. Den Rest würde er später aufkehren.

Als Matthew der Treppe hinunterging, hörte er seinen Neffen lachen. So ganz wusste er nicht, was er davon halten sollte. Ganz plötzlich und wie aus dem Nichts hatte er eine Schwägerin und einen Neffen und bald würden die nächsten Neffen oder Nichten auf der Welt sein. Ob er das alles bis dahin überhaupt verkraftet und verarbeitet hatte?

Als er das Wohnzimmer betreten hatte, sahen ihn alle an, weshalb er sich räusperte. "Mein Auftreten gerade eben tut mir leid", sagte er aufrichtig und ging ein Schritt auf Samah zu. "Ich bin Matthew." Er hielt ihr seine Hand hin, welche Samah lächelnd annahm.

Das Tuch hatte sie abgenommen, ihre schwarzen Haare glänzten und waren leicht gelockt. Der etwas dunklere Teint passte zu ihr. Sie hätte ebenso aus México stammen können, wäre da nicht der liebreizende Akzent.

"Freut mich. Du musst dich nicht entschuldigen. Ich habe es Christian schon so oft gesagt, dass er es euch erzählen soll, aber er wollte ja nicht."
Der Junge stellte sich neben seine Mutter und sagte etwas auf arabisch.

Samah kniete sich vorsichtig vor ihn, hielt sich dabei kurz ihren dicken Bauch. "Wir sind jetzt in einem anderen Land, Malik. Dein Englisch ist sehr gut, du schaffst das", sagte sie auf englisch.
Er sah schüchtern zu Matthew auf, ging dann zurück zu seinem Vater um sich zu verstecken.

"Was hat er denn gesagt?", fragte Matthew. "Er hat gefragt, ob seine Mutter dich fragen kann, ob du ihm deine Bilder zeigen kannst", sagte Christian. "Deine Tattoos meint er damit", fügte er hinzu.

"Oh." Matthew war überrascht, dann nickte er und zog sich seinen Pullover auf, hockte sich auf den Boden und sah lächelnd zu seinem Neffen. Dieser saß unschlüssig auf der Couch, doch die Neugier siegte und er lief zu seinem Onkel, sah sich die Tattoos genau an, bis sein kleiner Zeigefinger auf dem Eisvogel an Matthews Oberarm landete.

Spencer's Lieblingstattoo.

"Tut das weh?", fragte er kaum hörbar. "Am Anfang, aber jetzt nicht mehr." Matthew lächelte den Jungen an. Er sah genau so aus wie Christian und er in dem Alter.

"Ist das ein echter Vogel? Gibt es den wirklich?" Matthew nickte. "Das ist ein Eisvogel. Soll ich dir ein Foto zeigen?" Mit neugierigen und strahlenden Augen nickte Malik. "Okay, warte kurz."

Matthew stand auf, zog sich den Pullover wieder an und holte sein iPad aus seinem Schlafzimmer. Auf diesem Gerät waren sämtliche Fotos, welche er jemals geschossen hatte.

Schnell schaltete er das WLAN aus, bevor irgendwelche Nachrichten empfangen werden konnten, dann lief er zurück.

Auf der Couch setzte sich Malik gleich neben ihn und sah fasziniert das Gerät an, welches sein Onkel in den Händen hielt.

Spencer hatte viel Zeit investiert, Alben zu kreieren und mit Emojis zu versehen, damit Matthew sich schnell zurechtfand. Er klickte auf das Album >Birds 🕊️< und zeigte Fotos von den Eisvögeln.

Malik war sofort fasziniert und vergaß seine Angst und seinen Kummer von dem fremden Land, in welchem er sich nun befand. Es war seltsam, keine Schreie, keine Schüsse oder Bombeneinschläge zu hören. An diese Stille musste er sich erst gewöhnen. Aber seine Eltern waren endlich für immer zusammen und nur das zählte für ihn. Er war das glücklichste Kind der Welt.

Troublemaker | manxmanWhere stories live. Discover now