Zwei Jahre Später - Kapitel 1

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Zwei Jahre später - Kapitel 1*

Der faulige Gestank meiner Behausung, die diesen Namen nicht verdient hat, ist jedes Mal eine echte Erleichterung. Denn sie bedeutet kurzzeitig keine neuen Schmerzen. Alte gibt es genug. Sie werfen mich hinein und ohne ihren stärkenden Griff breche ich auf dem Boden zusammen. Auch nach zwei Jahren, nach zwei verfickten Jahren, werde ich die Erinnerung an Halyas letzte Sekunden nicht los. Ebenso wenig wie die alles begleitende Erinnerung an das Glüheisen, was sie wieder und wieder verwenden, weil sie genau wissen, wie es sich buchstäblich in meinen Körper und mein Gehirn einbrennt. Nicht nur die Narben sind es, die mich den glühenden Schmerz niemals vergessen lassen, denn davon habe ich zu viele, um jede mit einem Erlebnis verknüpfen zu können. Doch die Brandnarben, hervorgerufen durch die brennende Folter, sind eine Mahnung und diese werde ich nie vergessen. Während sie meine grauen Schwingen in die Holzwand nagelten und meinen Körper bloßstellten, pressten sie mir das Glüheisen an die Haut. Und von oben regnet Blut auf mich herab, das Blut meiner Geliebten, meiner Kommandantin, meiner toten Gefährtin.

Wirklichkeit und Vergangenheit mischen sich, als ich die Erinnerungen an mich heranlasse. Mein Sichtfeld verschwimmt und ich beginne zu zittern. Schlagartig wird jedoch alles in mir kalt, als ich eine ebenso kalte, emotionslose Stimme vernehme. "Das ist sie?" Die Stimme ist mir fremd und ich habe nicht einmal mehr genug Kraft, genug Wille, um den Kopf zu heben und herauszufinden, wem sie gehört. Die antwortende Stimme hingegen lässt eisige Schauer über mein Rückgrat wandern - ebenso langsam und genüsslich wie die Foltermethoden derer, der die Stimme gehört. "Wie Ihr erkennen könnt, ist sie nach den... Strapazen des heutigen Tages etwas erschöpft. Doch gute Dienste leistet sie noch immer", sagte Renatae. Dieses verhasste Wesen, weder menschlich noch unsterblich - die Kommandantin der Ersten Reichslegion, auch die Hindin genannt: gnadenlos, brutal, unerbittlich. Und zudem Halyas Mörderin. "Eine Demonstration ihrer Fähigkeiten wäre angebracht, findet Ihr nicht auch?", sagte sie. Ich beginne wieder zu zittern, voller Angst vor der unheiligen Freude, die ich deutlich aus ihren Worten heraushöre. Die unbekannte Person zeigt ihre Zustimmung nur, indem sie keine Ablehnung nach außen trägt. Ich glaube, sie nickt. Renatae lacht. "Ihr gefallt mir. Tatsächlich habe ich einige zum Tode Verurteilten übrig. Was schwebt Euch vor?" Die unbekannte Stimme lacht nicht zurück, sondern antwortet nüchtern: "Ich wäre geneigt, mir anzusehen, ab welchem Punkt man sie dazu bringen kann, Rache auszuüben. Schließlich wird sie teuer sein, und ich habe viel mit ihr vor". Als ich nun doch den Kopf hebe, erschüttert von der tonlosen Grausamkeit des fremden Wesens,  und dem Sprecher voll ins Gesicht blicke, zucke ich sofort zurück. Ein leichtes Lächeln umspielt seine Lippen, während seine Augen sich förmlich in meinen Körper brennen. Ich kenne ihn. Micah, der damals die Legion angeführt hat, über die Renatae den Oberbefehl hatte. Was will er von mir?! Renatae lacht wieder leise auf. Ihr Lachen vergeht jedoch sehr schnell, als Micah einer bisher versteckt stehenden Wache einen Wink gibt. Diese ist zu schnell für Renatae und sie hat keine Chance, das Unvermeidliche zu verhindern - die Wache wirft sie in meine Zelle. Sie kreischt auf. "Was soll das? Holt mich sofort raus!" Als ihre Wachen wiederum gehorchen wollen, streckt Micah einen Finger aus und wispert: "Na, na, Jungs, das würde ich an eurer Stelle nicht tun" Er krümmt den ausgestreckten Finger und die Wachen beginnen zu schreien. Ihre Schreie vermischen sich mit der Stimme meines inneren Schreis: Töte sie, verdammt, töte sie! Zöger nicht, töte sie! Auf einmal kann ich ihr nicht widerstehen. Ich bewege mich auf das Monster in meiner Zelle zu, Halyas Mörderin, meine Quälerin. Ihr Blut spritzt und sie schreit, während ich sie ganz langsam, Knochen für Knochen, auseinanderreiße. Sie schreit und schreit und schreit und ich schreie und schreie und schreie und die Wachen schreien und schreien und schreien bis ich nicht mehr weiß, wo, wer, was, ich bin. Als alle Schreie abebben, wird mir klar, was ich gerade geschehen lassen habe. Ich habe sie ermordet. Ermordet. Und als ich aufblicke, sehe ich, dass auch er es weiß. Das wollte er von mir, er wollte sehen, was ich kann. Das habe ich ihm gezeigt und er zeigt mir nun seine unverhohle Gier auf diese Mordwaffe.

Gerechtigkeit - Ein Leben für ein LebenOnde as histórias ganham vida. Descobre agora