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(Triggerwarnung)

Ein Wald im Dunklen der Nacht allein war schon gruselig. Denn auch wenn sie selten geworden waren, es GAB sie noch... die nachtaktiven Raubtiere. Im Unterholz knarrte es durch den starken Wind, der durch die Bäume strich und das Geräusch fügte sich in die Melodie der Nacht ein, welche Gwen auf ihrem Lauf begleitete.
Der halbe Mond spendete nur bedingt Helligkeit, zumal die dichten Baumwipfel viel des Lichtes verschluckten. Zur Folge prallte die junge Frau immer wieder gegen ein Stamm oder stolperte über eine Wurzel, die sich vorwitzig aus dem Boden reckte. Gwendolyn blieb aber nicht stehen... nicht um Atem zu schöpfen, nicht um in einen der Bäche was zu trinken... der Rage trieb sie immer schneller, immer weiter vorwärts. Schimmernde, im Dunkeln leuchtende Augenpaare folgten ihr und wäre das noch nicht genug, so war das Knurren ihrer Jäger ein zusätzlicher Ansporn, dass Gwen dringendst eine Zuflucht benötigte.
Doch Rage war nun mal Rage, also schnappte sich die kleine Epsilon im Lauf einen abgebrochenen Ast und als das erste Vieh sie ansprang holte die junge Frau damit aus und knüppelte es in den nächsten Baum. Mit einem Kreischen wirbelte Gwendolyn herum und stürzte sich auf den zweiten Wolf.
Kaum zu glauben, dass die Viecher einmal domestiziert gewesen waren. Doch Hunde gab es schon lange nicht mehr und ihre Vorfahren hatten dank der Evolution eine ordentliche Schippe draufgelegt. Die Wölfe waren nun größer und schneller... und was noch viel schlimmer war, sie waren intelligenter geworden. Aber Gwen kannte in ihrem Zustand keine Angst, fühlte keinen Schmerz als sich scharfe Zähne in ihren Arm gruben. Stattdessen schlang sie den anderen um den Hals des bissigen Viechs und begann mit ihren kleinen stumpfen Zähnen an seiner Halsschlagader zu reißen. Der Wolf jaulte gequält auf und die Epsilon brüllte vor Triumph, ihr Gesicht und Oberkörper mit dem Blut aus der offenen Arterie gesudelt. 
Das Rudel zog den Kreis langsam enger, schlich sich immer näher an seine Beute heran... doch diese Beute dachte nicht im Traum daran, sich friedlich fressen zu lassen... Oh, nein!
Fauchend packte Gwen den Kadaver ihres Angreifers an einem Hinterbein und prügelte wie eine Wahnsinnige damit auf das ihr am nächsten befindliche Tier ein.
Schüsse hallten auf einmal durch das Dunkel und die Wölfe hatten genug... sie entschieden, dass die junge Frau den Aufwand nicht wert war und ließen sechs gefallene Rudelkameraden bei ihrem Abzug zurück.
Gwendolyn drehte sich langsam und geduckt in Richtung der Schüsse, den toten Wolf immer noch als Waffe in einem eisernen Griff.
Aus der Nacht trat der schwarz gekleidete Tracker des Königshauses. Carbin sah furchterregend aus, sein Gesicht war zu eine Fratze des Hasses verzogen, eine Schusswaffe im Anschlag auf Gwens Kopf gerichtet.
„Du kleines, dreckiges Miststück! Ich schätze es gar nicht, wenn..."
Weiter kam er nicht, denn die junge Frau schleuderte den Kadaver auf den Tracker und sprang gleich hinterher. Das Manöver kam derart unerwartet, dass der tote Wolf Carbin die Waffe aus der Hand prellte und schon war die Kleine direkt auf ihm. Gwen zog ihre Fingernägel durch sein Gesicht und zielte dabei auf die hellgrauen Augen. Ihre Wut war so allumfassend, dass sie den Alpha völlig überraschte. Schmerzlich schrie der Tracker auf, als wenigstens zwei Nägel ihr Ziel fanden und das rechte Auge irreversibel beschädigten. Er riss die rasende Epsilon von sich und schleuderte sie gegen einen Baum, was Gwen als Startschuss dafür wertete, Fersengeld zu geben.
Und so rannte sie, eine Spur aus Blut hinter sich her ziehend, das Wutgebrüll eines jagenden Alphas in den Ohren... ein Ansporn noch schneller zu werden.


Derweil in der Hütte:

Henry ging wie ein gefangenes Tier im Kreis. Seine dunklen Augen schweiften ziellos über seine Clansbrüder und blieben an Josh hängen. Der Omega hatte sich geweigert in sein Nest zu kriechen und lag nun zusammengerollt auf Xanders Schoß, sein Blick stumpf ins Leere gerichtet. Zärtlich kraulte der Alpha den Jungen und schnurrte leise, um Josh's Panik auf ein Minimum zu begrenzen.
„Wir hätten sofort fahren sollen," stöhnte Jay und fuhr sich durch die schwarzen halblangen Haare.
„Wie denn? Die Sonne reichte nicht mehr aus um weiter als zwei Meilen zu kommen und da wir die letzten Tage den Segler nicht bewegt haben, hatte der Akku auch nicht genug Energie gespeichert, um uns auch nur ansatzweise über die Berge zu bringen... zumal die Energie auf keinen Fall fürs Fahren und die Beleuchtung gereicht hätte. Und im Dunklen hätte der Segler nur allzu zu leicht beschädigt werden können!"
Kai fungierte mal wieder als die Stimme der Vernunft, als er dem Jüngsten des Clans sanft zurechtwies.
Duncan kam aus dem Kochbereich, stellte ein Glas Wasser vor Xander ab und machte eine auffordernde Kopfbewegung zu dem verschreckten Omega hin. Liebevoll hob der blonde Riese Josh in eine sitzende Position und hielt ihm das Glas an die Lippen. Bockig verweigerte der Kleine das Wasser und bekam dafür einen mahnenden Klaps auf den Hintern.
„Lass den Mist, Josh! Uns allen ist klar, dass es dir gerade beschissen geht und du fürchterliche Angst um deine Freundin hast. Aber wir lassen nicht zu, dass du dich vernachlässigst! Du bist heute erst bei 2 Litern.... und es reicht, wenn wir uns um ein Herz Sorgen machen müssen! Also trink jetzt, mein Kleiner..." Xander sah Josh noch einmal nachdrücklich in die Augen um seine Botschaft zu festigen und der Omega gab sich geschlagen. Duncan nickte zufrieden und trat dann zu dem Alphaprinzen.
„Henry... du solltest dich beruhigen. Wir alle sollten uns ausruhen, damit wir morgen bei Tagesanbruch gestärkt aufbrechen können."
Jared seufzte und ballte in Hilflosigkeit seine Hände zu Fäusten. David klopfte ihm mitfühlend auf die Schulter und sagte leise: „Wir werden sie finden... rechtzeitig! Gebt nicht auf. Der Scheißkerl von Tracker mag einen Vorsprung haben und den nicht außer acht zu lassenden Vorteil eines Luftseglers, aber das ändert nichts daran, dass wir eure kleine Epsilon finden und retten werden!"
Rafe nickte nachdrücklich und schlug mit beiden Händen flach auf den Tisch.
„David hat recht! Und für den unwahrscheinlichen Fall, dass wir zu spät kommen und der König ihr ein Paarband aufgezwungen hat... Nun, das lässt sich brechen! Henry muss dafür nur jeden Alpha des Clans seines alten Herrn töten und den Markierungsbiß bei Gwendolyn ausbrennen.."
Duncan verdrehte die Augen. So gut Rafe in einem Kampf zulangen konnte... Diplomatie und Feinfühligkeit lagen seinem Vollstrecker nun wirklich nicht.
Tjorben spannte seine Muskeln um seinem Kastenmitglied einmal amtlich die Meinung zu geigen.. vorzugsweise mit seiner Faust zwischen dessen Rippen, als Kai aufsprang und eine Warnung brüllte.
Doch so schnell die Alphas auch reagierten, Carbin war schneller. Mit angelegter Waffe trat er durch die Tür und deutete mit der freien Hand zur Wand.
„Da rüber! Sofort... sonst ist der Omega der erste, der von euch stirbt!"
Knurrend zogen sich die elf Männer zurück und Xander drehte sich langsam, um Josh mit seinem Körper zu schützen.
„LASS DAS!" bellte der feindliche Tracker und zähneknirschend erstarrte der Mechaniker in seiner Bewegung.
„Eure kleine Schlampe hat mir zuviel Ärger gemacht... sie ist getürmt und hat meinen Segler-Kapitän ermordet. Von meinem Auge will ich gar nicht erst reden. Sie wird hier her kommen, also werde ich euch alle abschlachten... als kleine Erinnerung für das Miststück, WER HIER DAS SAGEN HAT!"
Völlig außer sich vor Wut feuerte Carbin und traf Maximilian in die linke Schulter, doch als er ein weiteres Mal anlegte und dieses Mal auf Henry zielte, wurde der Tracker nach vorne geschleudert.
Wie eine Todesfee kreischend klammerte Gwendolyn sich auf seinen Rücken und schlug wie eine Irre mit den Fäusten auf den ungeschützten Kopf des Alphas ein. Brüllend warf Carbin sie ab und schwang die Waffe herum, doch Gwen hatte bereits den schweren Topf von Herd gerissen, in dem das Rehgulasch vor sich hinköchelte und kippte den Inhalt ohne Zögern in die Visage des Feindes.
Schreiend brach dieser in die Knie und Gwen nutzte die Gunst der Stunde... sie hob den Topf und ließ ihn immer wieder mit aller Kraft auf den Alpha niedersausen, bis dessen Schreie verstummten und er sich nicht mehr bewegte.
Schwer atmend drehte sie sich zu den beiden Clans um und ihre tiefschwarzen Augen teilten den Männern ganz genau mit, was der Epsilon fehlte.
„Nein..." flüsterte Max geschockt...
... dann brach Gwen zusammen und blieb nach Luft ringend in der sich ausbreitenden Blutlache am Boden liegen.
Sofort war der königliche Zirkel bei ihr und Henry hob die junge Frau in seine Arme.
„Max... tu doch etwas!" stöhnte er und sah entsetzt, wie sein Leibwächter langsam den Kopf schüttelte.
„Ich kann nicht... Letztes Mal hatten wir Glück. Der Rage war nicht weit fortgeschritten und die erforderlichen Kräuter waren verfügbar. Hier wächst außer den verschissenen Heidekraut nichts... ich... ich..."
Tränen leuchteten in seinen dunklen Augen, während Gwen nach Atem rang... ihr Herzschlag setzte immer wieder aus und die Muskeln ihres kleinen Körpers begannen zu krampfen.
Die Abwärtsspirale hatte begonnen und die Clans hatten dieses Mal keine Mittel zur Hand um ihren Tod zu verhindern...

In einem Feld voller Schmetterlinge Where stories live. Discover now