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„Gwen...? Oh, Gwenny, bist du es wirklich? Komm her, mein Schatz!!" Schluchzend breitete Clarissa ihre Arme aus und Gwendolyn stürzte sich in die vertraute Zuflucht. Ihre Tante presste die junge Frau zitternd an sich und wiegte sie hin und her.
„Lass dich anschauen. Oh, deine Haare sind wieder länger... wie schön... aber du bist zu dünn! Ich mach dir was zu essen!" Resolut zog Clarissa ihre Nichte hinter sich her und bugsierte sie wie früher schon so oft auf einen der Hocker in der Küche.
„Wo sind Bianca und Sabina? Und... ähm... und Onkel Hendrik?" Nervös spielte Gwen mit einem Apfel, den sie aus der Obstschale vom Tresen genommen hatte. Ihre Tante hielt in der Bewegung inne und die Epsilon sah, wie Clarissa kurz die Faust ballte. Dann sagte sie: „Die Zwillinge sind mit Freunden unterwegs... sie sollten aber gleich wieder zurückkommen."
Während die ältere Frau sprach, machte sie Gwens Brotzeit fertig und stellte den Teller mit dem frischen, getoasteten Roggenbrot und einem Belag aus Avocados, Gurken und gerösteten Sonnenblumenkernen vor dem Rotschopf ab. Zögernd griff Gwen zu und begann schließlich hungrig zu essen. Mit einem zufriedenen Nicken drehte die Delta sich um und schenkte ein großes Glas frische Zitronenlimonade ein. Dann hob sie den Blick und fragte: „Wo ist eigentlich der Clan, der dich eingefangen hat?"
Mit einem Mal wurde das köstliche Brot in Gwendolyns Mund zu Sägemehl. „Sie wollen mir etwas Freiraum geben," murmelte sie und schob einen der Sonnenblumenkerne auf dem Teller herum.
Clarissa sah ihre Nichte voll Mitleid an und seufzte schwer. „Wie lange noch bis zu deiner nächsten Hitze?" Der Epsilon schossen Tränen in die Augen und ihr Blick wurde panisch. „12 Tage... oh, Gott... es sind nur noch 12 Tage!!!! Tante... ich hab solche Angst davor!! Als der Prinz heute Morgen geduscht hat, konnte ich seinen... ähm.. sein... Ding sehen... Das Teil wird niemals in mich reinpassen! Da kann er mir ja gleich seinen Arm bis zum Ellbogen reinschieben. Und die anderen? Die sind nicht wirklich kleiner!! Die werden mich umbringen!!"
Clarissa zog ihren weinenden Schützling fest an sich und streichelte ihr über die feuerfarbenen Locken. „Oh, mein Liebling! Nein... Schsch... beruhige dich, mein kleines Mädchen. Ich weiß, das mag für dich im Moment so aussehen, aber der Körper einer Epsilon ist dafür geschaffen worden, das Genital eines Alphas in sich aufzunehmen. Dein Uterus ist erstaunlich dehnbar... ja, das erste Mal wird zwar wehtun, aber nicht weil der Penis zu groß ist, sondern weil ihr Ees zusätzlich zu dem ‚normalen' Jungfernhäutchen ein weiteres habt, das wie ein Deckel über dem Eingang eurer Gebärmutter liegt. Wird das erste Häutchen durchstoßen, stimuliert das die Gleitfilmdrüse und diese schüttet dann ein Hormon aus, welches den Deckel... nun ja, sagen wir, den Deckel weicher werden lässt, so dass der Alpha auch diesen durchstoßen kann. Also ja, Baby... das wird trotz Erregung und Endorphine ziemlich weh tun. Aber mit dem richtigen Mann, wird es danach so richtig gut!"
Gwen lächelte unter Tränen. Dann wurde ihr Blick wieder traurig. „Was ist mit Onkel Hendrik passiert?"
Tante Clarissa seufzte leise, dann sagte sie mit harter Stimme: „Ich hab ihn rausgeworfen! Nicht wegen des Angriffes auf dich. Ich weiß, dass ein Alphabefehl unumgänglich ist, aber ich konnte ihm nicht vergeben, dass er gesagt hat, er wäre froh, wenn du tot bist! Ich konnte ihn einfach nicht mehr ansehen ohne das Bedürfnis zu haben, ihm das Gesicht mit einem Messer umzugestalten!"

Gwen schwieg erschüttert. Sie hatte das Gefühl, dass sie jedem in ihrer Nähe Unglück brachte!
Josh war ihretwegen auf Tjorben losgegangen und nun war er für den Rest seines Lebens Teil eines Alphaclans..
Die Tante hatte sich wegen ihr von dem Ehrmann getrennt, mit dem sie seit 25 Jahren verheiratet gewesen war...
Dr. Madison war aus dem Hospital gefeuert worden und stand auf einer schwarzen Liste, einfach, weil sie Mitleid mit Gwen gehabt hatte...
Wie sollte die junge Frau nur mit dieser Schuld leben?

Die Haustür öffnete sich und das Kichern und Giggeln kündigte die Ankunft der Zwillinge an.
„Mama? Wir haben da draußen jemanden gefunden und einfach mal mit reingebracht! Mama? Wo bist du..." Bianca stürmte in die Küche und blieb ruckartig stehen, als sie Gwendolyn sah. „Gwen? Du bist also wieder hier... Na, wolltest du dich mit eigenen Augen davon überzeugen, wie du diese Familie zerstört hast? Bist du stolz darauf, dass sich meine Eltern getrennt haben?"
„BIANCA! Es reicht! Lass deine Cousine in Ruhe!" Ein Blick blanken Hasses bohrte sich in die Epsilon, dann umspielte ein böses Lächeln die Lippen des Zwillings. „Natürlich... Entschuldige, Cousinchen! Komm doch mit rüber ins Wohnzimmer zu unserem Besuch!"
Die Blondine schnappte sich Gwens Hand und zog sie einfach hinter sich her.
Der königliche Clan war auf den Sitzgelegenheiten im Raum verteilt und wurde heftigst von etwa zehn kichernden jungen Frauen beflirtet.
Henry hob den Kopf und sah in die blauen Augen seiner Epsilon. Natürlich konnte er direkt erkennen, dass sie geweint hatte und Sorge verdunkelte seinen Ausdruck. Gwendolyn presste die Lippen fest zusammen und versuchte das nagende Gefühl der Eifersucht in den Griff zu bekommen.
Sie wollte doch gar keinen Clan!
Hatte sie nie und würde sie auch nie!
Warum aber tat es dann so merkwürdig weh, Sabina auf Tjorbens Schoß hin und her rutschen zu sehen. Ihre Cousine warf ihr einen berechnenden Blick zu und küsste den blonden Vollstrecker direkt auf Gwens Markierung.
Der Alpha stöhnte auf und ein rasender Schmerz durchzuckte Gwendolyn. Nur das jahrelange stoische Durchleben der alles vernichtenden Hitzezyklen bewahrten sie davor, schreiend vor Qual auf dem Boden zusammenzubrechen.
Als sich alle Blicke dem stöhnenden Tjorben zuwandten, drehte die junge Frau sich unbemerkt um und verließ wie betäubt das Wohnzimmer.
Tante Clarissa sah von dem Tablett auf, welches sie gerade für die Gäste vorbereitete und erkannte auf einen Blick, dass ihre Nichte auf der Flucht war. Mit einer Kopfbewegung deutete sie auf die Tür, die zum Garten führte und flüsterte: „Lauf! Ich verschaff dir so viel Zeit, wie ich kann!"
Gwen wisperte lautlos: „Danke! Ich liebe dich!", dann huschte sie zur Tür hinaus und rannte los.
Ihre Schritte waren kraftvoll und raumgreifend, aber nicht zielgerichtet.
Wo sollte sie nur hin, wo nur?
WO war sie sicher?
Ein großer rot-goldener Schmetterling stieg vom Weg auf, über den sie just gelaufen war und flatterte an ihr vorbei... weg vom Wald und in Richtung der Wildblumenwiese, in der ihre Mutter die letzte Ruhestätte gefunden hatte.
Und so folgte Gwendolyn dem Zeichen und stand kurze Zeit später vor dem kleinen Weidenbaum, der das Grab ihrer Omegamutter kennzeichnete. Tante Clarissa hatte diesen Ort gewählt, da Gwens Mutter hier als Kind immer gespielt hatte, glücklich und voller Frieden...

Hier... mitten in diesem Feld voller Schmetterlinge...

Gwen tauchte unter den Zweigen der Trauerweide hindurch und kniete sich vor das kleine Kreuz aus ehemals weißen Steinen. Jetzt war die Farbe kaum noch zu erkennen, denn die Natur eroberte sie Stück für Stück mit Erde und Moos zurück. Zwei kleine blassgelbe Schmetterlinge tanzten in der stillen Luft unter den herabhängenden Zweigen des Baumes und langsam kam die junge Frau wieder zu Sinnen.
Verwundert hob sie die Hand in ihre Wange und betrachtete die Tränen, die an ihren Fingerspitzen glitzerten.
Langsam dämmerte ihr, dass sie vor dem königlichen Clan weggelaufen war.. SCHON WIEDER!!
Mit einem kläglichen Wimmern vergrub Gwen das Gesicht in ihren Hände .
Was sollte sie denn nur machen?

„Gwen?"
Ihre Hände sanken in ihren Schoß. Nein, das konnte nicht sein!
„Gwen!"
Zitternd drehte sie sich auf den Fersen um und erstarrte.
„Wusste ich es doch, dass du das warst, die hier reingetaucht ist!"
Mit einem ersticktem Aufschrei sprang die Epsilon auf und warf sich in die freudig ausgebreiteten Arme.
„JOSH!!!!!"

In einem Feld voller Schmetterlinge Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt