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Leise vor sich hin grummelnd rieb Gwen sich verstohlen ihre Kehrseite. Ein Teil von ihr konnte immer noch nicht glauben, dass dieser eingebildete Riese ihr tatsächlich den Hintern versohlt hatte! Und jetzt gerade waren die sechs Kerle damit zugange, ihre wichtigsten Sachen zusammenzupacken, um Gwen einfach mit sich mitzunehmen. Jared warf der jungen Frau einen schelmischen Seitenblick zu, dann legte er die kuschlige Decke, die er soeben zusammengefaltet hatte auf den bereits beeindruckend großen Stapel an Flausch und trat vor die schmollende Epsilon. Einige Herzschläge lang versuchte er ihren Blick einzufangen, doch Gwen war sturer als ein Esel (ebenfalls nicht ausgestorben) und schließlich lachte der Alpha leise. Er hob sie mit einer schwungvollen Bewegung hoch und trug sie hinaus in den Sonnenschein. Dort setzte sich Jared und drehte Gwen so, dass sie ihn anschauen musste.
„Bist du ernsthaft sauer über das Spanking?" fragte er und die junge Frau fauchte ihn direkt missmutig an. „Er hat mich geschlagen! Also ja! Was dachtest du denn? Da hab ich mich gerade in meinem neuen Leben zurechtgefunden und dann kommt ihr großen Muskelprotze und meint, ihr könnt einfach über mich bestimmen, das ist..."
„Beruhig dich, Kleines! Henry hat dich NICHT geschlagen... hätte er es, dann wärst du jetzt bewusstlos oder tot... er hat dir den Po versohlt. Himmelweiter Unterschied! Willst du mir ernsthaft sagen, dass du Schmerzen hast? Oder hat es dich vielmehr... erregt?" unterbrach der braunhaarige Alpha sie sanft. Gwen verschränkte die Arme vor der Brust und schob die Unterlippe vor.
Jared hob eine Augenbraue und setzte ein schiefes Lächeln auf, das irgendwie... niedlich... war.
Wenn sie es einmal objektiv betrachtete, dann...
Ach, Doppelmist!
Der blöde Mistkerl hatte recht. Es hatte nicht weh getan, um ehrlich zu sein wusste Gwendolyn ja auch, dass Henry sich unglaublich zurückgehalten hatte. Klar, ihr Hintern war ziemlich warm und brannte ein wenig, aber was viel schlimmer war... sie war geiler als je zu vor. Und sie verstand nicht warum!
Wieso lechzte ihr Körper nach mehr? Nach den zehn Klapsen hätte sie den Prinzen am liebsten angebettelt, weiterzumachen... was war nur falsch bei ihr?
Tränen stiegen in Gwens Augen und begannen über ihre Wangen zu kullern. Zunächst schniefte sie verstohlen und versuchte möglichst unauffällig ihr feuchtes Gesicht an ihrem Shirt zu trocknen, doch anscheinend brachen nun alle Dämme...
„Na, los, mein süßes Mädchen. Geh schon.." flüsterte Jared und die junge Frau hörte zum ersten Mal auf ihre innere Epsilon. Heulend rutschte sie von Jareds Schoß und stolperte in ihre kleine Wohnung zurück. Zielsicher wankte sie auf Henry zu und griff nach seinem Hemd. Der Alphaprinz zögerte nicht, nahm das Häuflein Elend auf den Arm und setzte sich mit ihr aufs Bett. Schluchzend vergrub Gwen sich an seinem Hals, krallte die kleinen Finger in die breiten Schultern und presste sich fest an ihn. Henry legte einen Arm um ihre Taille, die andere Hand glitt in den Nacken der jungen Frau und zog sie noch enger an sich.
Sanft wiegte er sie hin und her, kraulte sie zärtlich und schnurrte leise.
Kai seufzte und sah zu Jared, der just wieder erschien und sich gegen den Türholm lehnte. Dann murmelte er: „Endlich..."
Der braunhaarige Alpha nickte ernst und sah dann wieder auf den niedlichen kleinen Kobold, der das Zentrum ihres Clans werden würde.
„Es ist alles gut, mein Mädchen. Lass es raus... wir sind hier..." Das leise Flüstern Henrys ging in dem Weinkrampf der jungen Frau fast unter, doch sie alle wussten, dass die wichtigste Person in diesem Raum die Worte gehört hatte.

Gwen weinte fast eine Stunde bitterlich, dann wurde aus dem Schluchzen ein Schniefen und irgendwann kehrte Stille ein. Zärtlich fuhren Henrys Finger in kleinen Kreisen über die Haut an ihrem Hals und Gwendolyn fühlte eine merkwürdige tiefe Ruhe in sich. Sie hatte sich den ganzen Kummer, die Angst, die Wut... einfach alles von der Seele geweint und jetzt war sie vollkommen entspannt in den Armen des Mannes, der die schlimmsten Schmerzen ihres Lebens zu verantworten hatte. Die Kleine hatte es aufgegeben verstehen zu wollen, was gerade mit ihr geschah...
Erschöpft gähnte sie verstohlen und drehte den Kopf, so dass ihre Wange jetzt an seiner Schulter ruhte.
Hatte er immer schon so gut gerochen? Hmmm... sie mochte seinen Duft nach Moschus und ... was war das noch? Gwen schob ihren Kopf näher an seinen Hals und schnupperte an dem ruhigen Puls, der unter der warmen gebräunten Haut schlug.
Hmmm... er roch nach Wald und frischer Luft und die Epsilon tief in ihr verlangte mit einem Mal lautstark, dass Gwendolyn ihre Zähne in diesen prachtvollen Muskel grub, um den Alpha für sich zu beanspruchen.
Erschrocken über diesen Gedanken kämpfte sie sich aus dem Stahlkäfig seiner Umarmung und Henry ließ die junge Frau gehen. Mit flammend rotem Kopf wich Gwen zurück und sah betreten zu Boden.
Leise fragte Kai: „Gwendolyn? Was weißt du eigentlich über Alphas, Omegas und Epsilons? Und über die Dynamik zwischen euch und uns?"
Sehnsüchtig starrte Gwen auf den kleinen Berg an Kuscheldecken und Jay kam ihrem Wunsch mit einem Schmunzeln nach. Er reichte ihr eine flauschige Scheußlichkeit in gelb/braun und rosa gestreift und die junge Frau wickelte sich sofort hinein. Dann sah sie aus großen Kulleraugen zu den sechs Alphas auf und murmelte: „Ich weiß, dass wir keine Rechte haben. Ich weiß, dass wir kleiner und schwächer sind und dass deshalb alle auf uns herabsehen... und ich weiß, dass ein Epsilon zu sein bedeutet, dass ich monatlich höllische Schmerzen, Ohnmachtsanfälle und Panikattacken habe. Anders gesagt: ich hab die absolute Arschkarte gezogen! EPSILON ZU SEIN IST SCHEIẞE!"
Den letzten Teil schrie sie und erneut drohte eine Tränenflut. Als Henry sich erhob, wich Gwen zurück und duckte sich ängstlich.
Der Prinz seufzte leise, hob abwehrend die Hände und setzte sich wieder auf die Bettkante. Mit einem gequälten Gesichtsausdruck fuhr er sich durch die Schulter-langen Haare und ließ sich dann nach hinten sinken, so dass er nun auf dem Bett lag.
Kai sah ihn an, dann drehte er sich zu Gwen um und streckte seine Hand aus. „Komm mit mir, kleiner Schatz. Lass mich ein wenig Licht in deine Dunkelheit bringen."
Zögernd wühlte die junge Frau sich aus dem sicheren Flausch ihrer Decke und ergriff Kai's schlanke Finger. Hand in Hand gingen sie zu einer Wildblumenwiese und dort setzte der Alpha sich hin. Gwen hockte sich zu ihm und begann aus den zahllosen Blumen kleine Girlanden zu flechten.
„Ich kann es mir nicht vorstellen, an deiner Stelle zu sein, Mädel... ich möchte aber, dass du mir dennoch zuhörst, ok? Vielleicht verstehst du dann besser, was den einzelnen von uns antreibt und eventuell verstehst du dann auch, warum wir dich einfach nicht mehr aufgeben können. Wirst du das für mich tun, Liebling?"
Gwen nickte langsam und rutschte über den Boden, bis sie vor Kai saß und sah ihn mit einer gewissen Neugierde an.
Der Alpha lächelte und fuhr fort:
„Zunächst einmal das Wichtigste: wir werden niemals wieder zulassen oder gar veranlassen, dass dir noch einmal Schaden zugefügt wird. Hörst du, Kleines? Nie wieder! Wir werden dir das solange beweisen, bis du es uns auch glaubst.. egal, wie lange dies dauern mag.
Die Epsilon, die tief in dir schlummert, hat das bereits verstanden. Deshalb bist du bei deinem Gefühlsausbruch auch direkt zu Henry geeilt. Er ist der stärkste von uns, unser Clanführer und der zukünftige König. Deine Ee wusste genau, dass sie bei ihm in Sicherheit ist und Trost in seinen Armen finden wird.
Henry ist - so wie wir alle durch eine sehr harte Schule gegangen. Wenn sich in der Pubertät herauskristallisiert, dass ein Beta zu einem Alpha aufsteigen wird, kommen wir in Camps. Erst für ein ganzes Jahr, danach jeden Tag nach der Schule bis wir mit einundzwanzig und damit volljährig sind. Diese Camps nehmen uns unsere Schwächen. Wie zum Beispiel Mitgefühl gegenüber anderen. Uns wird eingeprügelt, dass wir die Herrscher sind und jeder sich nach unserem Wort zu richten hat. Zögern bedeutet Schwäche, Schwäche bedeutet Schmerz und Tod. Wir werden nicht als gnadenlose Mistkerle geboren, Gwen. Wir werden dazu gemacht... Für Henry und Tjorben war es besonders schlimm. Henry, weil er als nächster König keine Schwächen haben darf und Tjorben, weil er der oberster Leibwächter und Vollstrecker ist. Besonders ihm wurde die Menschlichkeit bereits im Alter von zehn Jahren buchstäblich aus dem Leib gebrannt. Er wurde mit Feuer und Eisen abgehärtet und verfolgt die Richtlinie, was es bedeutet ein Alpha zu sein mit einer gnadenlosen Disziplin.
Als er erfuhr, dass du gestorben bist, habe ich ihn zum ersten Mal weinen sehen. Selbst, als er als Kind abgerichtet wurde, hat er nie geschrien, nie Gefühle zu gelassen, doch dein Tod hat ihn schwerer verletzt als glühende Eisenstangen es jemals konnten. Und unser Prinz? Sein Vater ist der schlimmste Eisklotz den du dir vorstellen kannst. Als Henry drei Jahre alt war, hat er ihn im Wald ausgesetzt, mit einem Messer und dann musste das Kind sich den Weg nach Hause durch die zahlreich vertretenen Raubtiere hindurch erkämpfen. Ich erzähle dir das nicht, damit du ihnen sofort vergibst, was sie mit dir gemacht haben. Ich will damit nur sagen, dass diese Monster einen Ursprung haben."

Die Blumengirlanden waren längst vergessen und Gwen sah ungläubig in die Mandelaugen des Trackers vor sich. „Aber es waren doch noch Kinder!! Kinder müssen geliebt werden... beschützt werden..."
Kai lächelte sanft und strich ihr eine rote Locke aus dem Gesicht.
„Wenn Henry König wird, ändert sich alles. Er wird alles ändern und wir werden ihm dabei zu Seite stehen. Um aber ein vollständiger Clan zu sein, brauchen wir ein Herz. Wir brauchen dich! Eine reine Seele, die unsere Grausamkeit ausbalanciert. Dein Sanftmut wird uns ausgleichen, dein Gewissen wird das unsere sein. Das ist die wahre Aufgabe eines Omegas oder einer Epsilon. Nimm als Beispiel den Clan von Josh. Rafe war ein Vollstrecker der Königsklasse, genau wie Duncan. Beide galten nach Tjorben als das Schlimmste, was die Camps je hervorgebracht haben, doch der kleine, scheinbar so schwache Omega hat sie alle geerdet. Hat ihnen die Menschlichkeit zurückgegeben und nun ist er das Zentrum ihrer Welt..."

In einem Feld voller Schmetterlinge Where stories live. Discover now