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Mit einem Wimmern presste Gwendolyn ihre Nase gegen Henrys nackte Brust und klammerte mit letzter Kraft sich vollkommen außer sich an den Alpha. Jay kam herangelaufen - in den Händen eine dunkelblaue Kuscheldecke, welche er mit einem Schlenker des Handgelenks entfaltete und seinem Bruder und der jungen Frau umlegte. Sofort zog der Prinz den Fleece enger um sich und Gwen. Zärtlich legte er die Arme um das zitternde Bündel an seiner Brust und ging dann gemessenen Schrittes in Richtung des Appartements, vor dem der Solarsegler geparkt war.
„Habt ihr alles eingepackt, was unsere Kleine braucht?" fragte er über die Schulter und Maximilian, der an seine Seite aufgeschlossen hatte, nickte ruhig.
„Jepp.. wir müssen es nur verladen, dann können wir los," antwortete er, streckte seine Hand aus und streichelte zärtlich über die kleinen, schmalen Finger der jungen Frau.
Gwens Kopf schob sich unter der Decke an Henrys Schulter hervor und sie starrte auf den schwarzhaarigen Mann, der ihr das Leben gerettet hatte.
Max war eher introvertiert und beobachtete aus der Stille heraus mit dem stets gleichen ernsten Gesichtsausdruck, doch jetzt hellten sich seine dunkelbraunen Augen auf und eines der seltenen Lächeln verzog seine vollen Lippen. „Hey, mein Schatz. Es ist vorbei... du musst keine Angst mehr haben. Wir lassen nicht zu, dass dir was passiert." sagte er leise und begann zu schnurren. Gwens Blick ließ ihn nicht los, aber der Alpha konnte sehen, wie die Schatten der Panik sich allmählich zurückzogen.
Er und Henry gingen weiter zum Segler und nahmen bereits Platz, während der Rest des Clans die Taschen mit Gwens Besitztümern holte.
Die Epsilon fühlte sich wie überfahren. Sie verstand nicht, was gerade passiert war und sie fürchtete sich zu Tode. Würden die beiden Alphas ihren Geist nicht in diesen betäubenden Kokon aus dem unwiderstehlichen Geschnurre hüllen, wäre die junge Frau höchstwahrscheinlich kreischend wie ein Huhn, dass bestimmte, munter machende Pilze zu sich genommen hatte, gegen die nächstbeste Felswand gerannt.

„So. Das war die letzte Tasche. Wir können los," rief Tjorben und schwang sich in die Sitzreihe vor den dreien. Seine Verletzungen hatten längst aufgehört zu bluten und waren bereits am verheilen, genau wie die Knochen in Kais gebrochenen Fingern.
Es war schon von Vorteil ein Alpha zu sein. Gwen drehte den Kopf und sah auf den blonden Riesen. Ihre dunkelblauen Augen brannten sich förmlich in die Markierung, die sie im Rage-Zustand ihm in die Schulter gebissen hatte. Tjorben wandte den Kopf und erwiderte ihren halb wahnsinnigen Blick. Henry verstärkte sein Schnurren als er spürte, wie ihr Herzschlag sich rapide beschleunigte. Gwen verfiel in Schnappatmung und zitterte wie Espenlaub. Ihre Nägel bohrten sich tief in die sonnengebräunte Haut des Prinzen und Blut begann zu fließen.
„Nein, Baby... nicht schon wieder, hörst du? Hey! Beruhige dich... Max... was soll ich machen? Ihr Herz jagt! Sie wird panisch!!" stöhnte Henry.
Maximilian löste behutsam die verkrampften Finger der Epsilon und antwortete in einem bemüht ruhigen Tonfall: „Gib sie zu Tjorben. Die Markierung löst die Panik aus und wird die Kleine aber auch wieder ankern können!"
Ohne Zögern erhob der Prinz sich und löste Gwendolyn mit einer schnellen Bewegung aus ihrem Klammergriff. Dann ließ er sie sanft in die wartenden Arme seines Vollstreckers gleiten. Dieser hatte in der Zwischenzeit ebenfalls sein Shirt ausgezogen, so dass sie nun an seinen nackten Oberkörper gedrückt wurde. Gwen starrte in sein hartes, aber hübsches Gesicht hinauf und dann wieder auf die Bißnarbe in seiner Schulter. Liebevoll schob Tjorben ihr eine rote Locke aus den Augen, ihre Ozean farbenen Iriden folgten unablässig jeder noch so kleinen Bewegung des blonden Mannes.

Gwen fühlte sich seltsam verloren und irgendwie losgelöst.
Was geschah hier?
Was hatte sie nur getan?
WAS GESCHAH HIER BLOSS???

Ein lautloser Schluchzer erschütterte ihren zierlichen Körper und Tjorben drückte behutsam ihren Kopf gegen seine Brust. Das tiefe Schnurren vibrierte durch sie und das völlig panische kleine Wesen kam allmählich wieder zur Ruhe.
Sie schob sich in Tjorbens Armen hoch und schmiegte ihre Nase an seine Kehle. Vorsichtig legte Henry die Decke über seinen Vollstrecker und den kostbaren Schatz in dessen Armen und Gwen dämmerte in einen unruhigen Schlaf, während der Segler am Fuß der Bergkette entlang nach Westen sauste.

Finsternis, Kälte... Angst...
sie rannte durch einen dichten Nebel, um sie herum wisperten Stimmen unverständliches... etwas verfolgte sie. Sie konnte den schweren Atem in ihrem Nacken spüren... eine weitere Woge entsetzlicher Furcht rollte durch jede Zelle ihres erschöpften Körpers.
Finsternis, Kälte... Angst...
der Kreislauf begann erneut... und dann erneut...
Krallen gruben sich in ihre Seele... Finsternis... Stimmen im Nebel... etwas schnürte ihr die Luft ab... Angst... dann ging das namenlose Flüstern in einen langgezogenen Schrei über...
FINSTERNIS, KÄLTE, ANGST ...

Schreiend erwachte Gwendolyn aus dem Alptraum und hechelte panisch.. Tjorbens Griff wurde fester, sein Schnurren lauter.
„Jay... halt an!" sagte Henry mit fester Stimme und sein Bruder folgte augenblicklich dem Befehl. Kaum stand der Segler erhob sich der Vollstrecker und ging mit langen Schritten in die sonnenbeschienene Wiese hinaus. Dort setzte er sich mitten zwischen die unzähligen Wildblumen und wiegte die weinende Gwen sanft hin und her. Seine Lippen strichen über ihre Schläfen und dann schloss der Rest des königlichen Clans zu ihnen auf. Die fünf Männer setzen sich in einem lockeren Halbkreis um Tjorben herum und warteten.
Sie gaben der jungen Frau damit die Zeit, die sie brauchte um sich wieder zu beruhigen und schließlich versuchte Gwen sich beschämt aus den Armen des blonden Alphas zu befreien.
Die Bewegungen waren kraftlos, doch Tjorben gab ihrem Verlangen um Abstand zu ihm nach und öffnete den festen Griff.
Verlegen wischte sie sich die Tränen ab und wagte es nicht, den Clan anzusehen.
In jedem Tierbuch, welches sie bislang gelesen hatte stand, dass man vor Raubtieren niemals Schwäche zeigen durfte. Und diese sechs Alphas zählten zu den gefährlichsten Raubtieren, die es jemals in der Geschichte der Menschheit gegeben hatte.
Und hier war sie... ein dummes, dummes Mädchen, dass sich die Seele aus dem Leib heulte wie so ein Kleinkind!
Gwendolyn zog die Beine an und schlang die Arme darum... versuchte sich so klein wie möglich zu machen.
Und noch immer schwiegen die Alphas.
Bis schließlich Kai leise fragte: „Was ist los, Mädel? Wovor fürchtest du dich so sehr?"
Scham färbte die Wangen der jungen Frau hellrot und sie vergrub nach einem letzten scheuen Blick auf Tjorben den Kopf in ihren Armen.
Der blonde Mann lächelte kurz, fing Kais Blick auf und deutete auf die Markierung an seiner Schulter.
Jetzt schmunzelte auch der Rest des Zirkels und Maximilian sagte leise: „Schatz... lass uns dir helfen... zunächst damit, zu verstehen was mit dir passiert... und dann mit allem anderen, was dich bekümmert."
Gwen sah den schwarzhaarigen Mann in die Augen und flüsterte: „Warum hab ich ihn," sie deutete schwach mit zitternder Hand auf Tjorben, „gebissen? Und warum erinnere ich mich nicht daran? Ich meine, ich weiß, dass ich es gewesen bin... aber ich ERINNERE mich nicht daran... wieso? Was passiert hier?"
Max fuhr sich mit der Hand über den Bart, dann sagte er: „Dich hat etwas so tief erschüttert, dass dein Körper in einen Zustand übergegangen ist, den man allgemein hin als ‚Ragen' kennt, ein Zustand, den nur Os und Ees erlangen können... Wenn ihr euch im Rage befindet, schaltet sich das Bewusstsein aus. Das Schmerzzentrum wird vollständig blockiert und somit kämpft der Körper sinnlos, ohne Furcht und ohne Rücksicht auf seine eigene Sterblichkeit oder Verletzlichkeit... solange bis das Herz vor Anstrengung versagt. Einen Rage zu beenden, bevor der Omega oder Epsilon stirbt gilt als nahezu unmöglich. Mein Großonkel hat mir gezeigt, wie es gemacht werden kann, aber man muss schnell handeln, die richtigen Hilfsmittel zur Hand und eine Menge Glück haben. Da du Tjorben im Zustand des Rage gebissen und somit als den deinen markiert hast, vermute ich, dass er der Grund für den Ausbruch war..."

...Monster werden nicht geboren... sie werden gemacht...

Oh, ja... Gwendolyn erinnerte sich wieder...

In einem Feld voller Schmetterlinge Where stories live. Discover now