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Gwen presste ihre Handflächen gegen die Schläfen. Gott... sie hatte solche Kopfschmerzen... und sie fühlte erneut Tränen aufsteigen. Wütend über ihre eigene Schwäche fauchte die junge Frau genervt und vergrub das Gesicht wieder an ihren angezogenen Knien. Henry seufzte leise und sah fragend zu Max. Dieser schüttelte langsam den Kopf und murmelte: „Gegen Schmerzen hab ich leider nichts. Ruhe und Schnurren hilft... unsere Kleine muss es sich einfach von der Seele schlafen."
Voll Mitleid sahen die sechs Männer auf den zierlichen Rotschopf. Dann atmete Tjorben tief durch und meinte: „Wenn wir die Sonne nutzen möchten, sollten wir jetzt allmählich weiter. Sonst stranden wir irgendwo zwischen den Berghängen, wenn wir mitten in der Nacht dann auch die Akkuleistung verlieren..."
Der Prinz nickte und erhob sich. „Du hast recht. Wir müssen weiter..."
Der blonde Riese neigte bestätigend den Kopf, zog die Epsilon behutsam auf seinen Schoß und stand dann ebenfalls auf. Gwendolyn hob den Blick und sah ihm in die blauen Augen.

... Monster werden nicht geboren... sie werden gemacht...

Sie merkte nicht, wie Tjorben sich neben Max in der mittleren Sitzreihe des Seglers niederließ. Sie merkte auch nicht, wie sich das Segel blähte und Jay das Gefährt wieder auf die Spur zurückbrachte. Still betrachtete Gwen den Mann unter dem Monster. Er war vollkommen ruhig. Keinerlei Arroganz oder gar Kälte gingen von dem Vollstrecker aus. Stattdessen lag in den Gletscheraugen eine Sanftheit, welche die junge Frau fast noch mehr erschreckte, als die grausame Gleichgültigkeit von vor sechs Monaten. Ihr Blick flackerte zu der Markierung auf seiner Schulter. Zögernd streckte sie die Hand aus und strich mit den Fingerspitzen über die sich bereits bildende Narbe.
„Tut es weh?" fragte sie zaghaft und Tjorben schüttelte mit einem Schmunzeln den Kopf. „Nein, Kätzchen. Und selbst wenn, würde ich die Schmerzen ohne ein Wort ertragen... wenigstens das schulde ich dir."
Kurz presste Gwen ihre weichen Lippen fest zusammen und streichelte weiter über die Narbe. „Ich versteh das nicht... bis vor kurzem war ich noch so voller Hass auf dich... und jetzt... ich will es noch sein, aber.."

...Monster werden nicht geboren... sie werden gemacht...

„...ich kann es nicht mehr. Ich sollte... aber..."
Verwirrt gab die junge Frau auf, Ordnung in das fürchterliche Chaos in ihrem Kopf zu bringen, schmiegte sich wieder an seine Brust und schloss erschöpft ihre Augen. Während sie wegdämmerte lag ihre kleine Hand auf der Markierung.
„Es fängt bereits an, sie zu beeinflussen," sagte Max leise und betrachtete die schlafende Epsilon mit einem zärtlichen Lächeln. Tjorben küsste Gwen auf den Scheitel und atmete ihren Blütenduft ein. „Die Markierung beeinflusst mich stärker als sie," murmelte er. „Ich kann kaum die Finger von ihr lassen..."
Jared drehte sich auf dem Frontsitz um und grinste breit.
„Wie hat es sich angefühlt, als ihre niedlichen kleinen Zähnchen deine Schulter zerfleischt haben?" fragte er neugierig. Kai verdrehte die Augen und stöhnte: „Echt jetzt, Jared? Wir musste unsere Epsilon in ihrem Rage stillhalten. Es war nun wirklich nicht der beste Zeitpunkt für Tjorben, um den Bund mit ihr zu schließen."
Der Vollstrecker lächelte zufrieden und kraulte den Nacken der schlafenden jungen Frau. „Das mag sein, Kai... trotzdem war es perfekt..." schnurrte er und legte seine Wange an Gwens Stirn. Henry lachte leise und sagte zu Kai, der neben ihm saß: „Das wird unserem Großen zu Kopf steigen! Unser Schätzchen hat ihn zuerst ausgewählt, obwohl ihre gemeinsame Vergangenheit alles andere als vielversprechend begonnen hat." Der Tracker verdrehte grinsend die Augen, stimmte dem Prinzen aber zu.
Gwen bekam von den Neckereien nichts mit. Der Schlaf war erfrischend tief und begleitet von dem warmen, tiefen Rumpeln eines Alpha Schnurrens.

Als die Dämmerung hereinbrach waren sie ihrem Ziel bereits nah genug, so dass Jay das Solarsegel einziehen und den Rest der Strecke mit der Energie des Akkus bestreiten konnte. Als er vor der Unterkunft anhielt war es zwei Stunden vor Mitternacht und fünf Mitglieder des Clans streckte sich genüsslich um die verspannten Muskeln zu lockern. Tjorben war eingeschlafen, er hielt nach wie vor die kleine Epsilon fest an sich gedrückt. Maximilian schüttelte den Kopf und meinte: „Ehrlich... das ich jemals das Wort niedlich in Verbindung mit unserem Eisklotz bringen würde... wer hätte es gedacht?! Äh... sagt ihm das bitte nicht! Hinterher will er beweisen, was für ein harter Mistkerl er ist und wird mir mit der Faust nen Scheitel ziehen!" Lachend luden die anderen die Taschen mit Gwens Hab und Gut aus. Sie würden eine Weile hier bleiben und die Kleine sollte schließlich nicht nackt rumlaufen...
... obwohl... so wirklich Einwände dagegen hatte der Clan dann doch nicht!
Henry rüttelte Tjorben vorsichtig wach und der Mann schlug mit einem unwilligen Schnauben die Augen auf.
„Was?" knurrte er und seine Arme schlossen sich fester um Gwen, als wolle er sie vor einer sich nähernden Gefahr beschützen.
„Komm schon, Tjorben... wir sind da. Bring unsere Kleine ins Bett. Und dann besprechen wir, wie es weiter geht..."
Grummelnd erhob sich der Vollstrecker und trug den schlafenden Winzling in die Unterkunft. Jay kam aus dem Schlafzimmer und machte eine elegante, aber spöttische Verbeugung, sein Blick streifte dabei sehnsüchtig über die junge Frau in Tjorbens Armen.
„Wer hätte gedacht, dass sich der kleine Kobold so schnell in unseren Herzen spielt," sinnierte er und konnte nicht an sich halten, dem blonden Mann ins Schlafzimmer zu folgen. Behutsam liegt dieser Gwendolyn auf dem großen Bett - welches voller dicker Flauschdecken war - nieder und zog ein weiches Laken über die Schlafende. Er stürzte sich neben ihrem Kopf ab, beugte sich tiefer und drückte einen federleichten Kuss auf ihre vollen Lippen. „Schlaf weiter, Kätzchen..." murmelte Tjorben leise, dann richtete er sich auf und ging mit einem letzten Blick zurück aus dem Zimmer. „Komm schon, Jay... lass unsere Epsilon schlafen. Früher oder später wird sie freiwillig zu uns kommen..."
Als die beiden Männer ins Wohnzimmer kamen, reichte Henry ihnen direkt eine Flasche Bier und sie gingen weiter in den Garten. Der Prinz leerte sein Getränk in einem langen Zug und lehnte sich zufrieden gegen einen Baum. „Wir haben es geschafft, Brüder! Wir haben sie tatsächlich gefunden. Ich hatte ja fast schon die Hoffnung verloren... Danke, Kai. Du hast nie aufgegeben und deshalb schläft in dem Bett dort drinnen jetzt das Herz und die Seele unseres Clans."
Der Tracker lächelte verhalten. „Danke lieber der Hellsichtigkeit meiner Familie. Hätte ich nicht gespürt, dass sie noch lebt... wer weiß wo, oder besser in wem wir jetzt gerade wären..."
Unwillkürlich erschauderten seine Clansbrüder, daran wollte nun wirklich keiner denken! Klar, das Verlangen nach ihrer süßen kleinen Epsilon wurde sekündlich stärker und spätestens wenn Gwen in zwei Wochen in ihren nächsten Hitzezyklus gehen würde, konnten sie sich nicht mehr zurückhalten. Dann würden Gwendolyns Pheromone die Paarungswut der Alphas auslösen und sie würden den kleinen Kobold beanspruchen.
Was nichts anderes bedeutete, dass eine Woche Dauerficken auf der Agenda stand, inklusive der gebissenen Markierung des Clanführers. Wenn die Hitze der Epsilon dann brach, würden die Alphas des Königsclans mit Sicherheit wissen, dass der niedliche Rotschopf ein Kind trug.
War dies besiegelt, konnte Henry den Thron von seinem Vater einfordern und die Welt würde sich endlich, endlich zu Besseren wenden...
Doch zunächst wollten sie Gwen glücklich machen und daher war für Morgen erstmal der Besuch bei ihrer Tante Clarissa und dem besten Freund Josh angedacht.
Denn nun hatte sich der Kreis geschlossen und nach sechs Monaten waren sie wieder am Ausgangspunkt angekommen.

In einem Feld voller Schmetterlinge حيث تعيش القصص. اكتشف الآن