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„Prinz Henry?
Ruckartig hoben die sechs Alphas den Kopf und sprangen auf die Beine, als die Ärztin auf sie zu kam. Vier Stunden des bangen Wartens waren um...
Henry erreichte die erschöpft wirkende Frau mit wenigen Schritten und griff ihre Schultern.
„Sagen Sie schon, bitte..."
„Mein Prinz, es tut mir unendlich leid, aber das Mädchen ist vor wenigen Minuten gestorben... die Hitze war zu weit fortgeschritten und zusammen mit der schweren Kopfverletzung war die Belastung einfach zu groß für ihren Körper. Ihr Herz hat versagt und wir konnten sie nicht zurückholen."
Henry's Hände zuckten, dann sanken sie herab und der Alpha starrte schwer atmend zu Boden.
„Das kann nicht sein," flüsterte Jared. „Bitte, sagen Sie, dass Sie einen grausamen Scherz machen, Doc... Die einzige Epsilon der Welt kann nicht gestorben sein... Nein, dass kann ich einfach nicht glauben!"
„Ich auch nicht," sagte Kai. Der Tracker trat an Henrys Seite und funkelte die Ärztin abwartend an. „Wir müssen sie sehen, Doktor..." Er beugte sich vor um den Namen der Frau von ihrem Namensschild abzulesen: „...Doktor Madison. Führen Sie uns zu unserem Mädchen!"
Dr. Madison nickte müde und bedeutete den Männern ihr zu folgen.
Nach einigen Minuten kamen sie zu dem Operationsaal und traten direkt ein. Auf einer Bahre lag der winzige Körper der Epsilon, ein weißes Laken war bis an ihre Schultern hoch gezogen. Clarissa hing halb über ihrer Nichte und streichelte schluchzend die kurzen roten Locken. Kai's Herz brach beim Anblick des blassen Gesichtes und der reglosen Brust. Kein Atemzug, kein Herzschlag... nichts... nur die bleierne Schwere des Todes...
Mit schleppenden Schritten ging der Alpha auf den leblosen Körper der Epsilon zu und schmiegte seine Hand an die kühle Wange.
„Gwendolyn..." flüsterte er und Tränen schimmerten in den dunklen Mandelaugen.
Nach und nach traten die restlichen Alphas an die Trage und berührten die junge Frau, fassungslos, dass ihr Licht erloschen war...

Wenig später flüsterte Clarissa: „Bitte gehen Sie. Sie alle haben kein Recht auf Trauer! Sie haben kein Recht überhaupt hier zu sein! Durch ihre Schuld habe ich meinen Liebling verloren und ich habe durch ihre Schuld auch meine gesamte Familie verloren, denn das hier werde ich meinen Töchtern und meinem Ehemann niemals vergeben können... also... verschwinden Sie gefälligst und lassen mich mit meiner Nichte allein!"
Alpha Henry öffnete den Mund um etwas zu erwidern, doch Gwens Tante schrie los: „NEIN! RAUS! VERSCHWINDET, IHR VERDAMMTEN MÖRDER!!! RAAAUUS!!!!"
Dr. Madison stemmte die Hände in die Hüften und sagte: „Sie haben Krankenschwester Clarissa gehört. Bitte gehen Sie nun. Sie konnten sich von dem Tod der Epsilon überzeugen. Diese Trauerzeit jetzt ist für die Familie gedacht, bevor wir den Leichnam einäschern müssen."
Mit mühsamen, ruckhaften Bewegungen löste sich der königliche Alphaclan von dem reglosen Körper der jungen Frau und verließ, einer nach dem anderen mit hängenden Schultern den OP-Saal. Zum Schluss war nur noch Kai anwesend. Der Tracker beugte sich über Gwendolyn, küsste sie auf die Stirn, dann auf die Augenlider und schließlich federleicht auf die Lippen. „Finde Frieden im nächsten Leben. Warte dort auf mich, kleiner Engel!" flüsterte er, dann richtete sich der Alpha auf, neigte den Kopf vor Clarissa und folgte seinem Prinzen nach draußen in die warme Nachmittagsonne. Schweigend standen sie zusammen da, fassungslos und stumm in den Schock und dem Entsetzen, dass jeder von ihnen mit einer schrecklichen Intensität fühlte...
Schließlich räusperte sich der Tracker und sagte: „Ich werde den Omega Josh informieren... er war Gwendolyns bester Freund und sollte von ihrem Tod nicht über zehn Ecken erfahren. Ich treffe euch dann in der Unterkunft..." Damit drehte sich Kai um und ging mit langen Schritten davon.
Eine dumpfe Wut brodelte in den hochgewachsenen Mann. Er wusste, dass er seinem Clan vergeben würde... irgendwann zumindest. Doch noch nicht jetzt. Das Bild der kleinen Epsilon, die zusammengerollt in ihrem Nest unter dem Bett gelegen hatte, folgte ihm in seine Gedanken hinein und der Alpha warf den Kopf in den Nacken und stieß ein Brüllen aus, in dem ein dunkler Kummer mitschwang. Dann ging Kai in die Knie und schlug mit den Fäusten auf den Boden ein.
Seine langen schwarzen Haare fielen über seine Schulter nach vorne und bedeckten sein Gesicht.
„Gwen..." flüsterte er in den Staub der Straße und eine einzige Träne fiel hinab.
Ein paar Minuten hockte der Mann vollkommen regungslos, dann strich er sich die Haare zurück, erhob sich, klopfte den Staub von der Kleidung und riß sich mit äußerster Willenskraft zusammen.

Gemessenen Schrittes ging Kai zu der Adresse des Duncan-Clans.
Als er klopfte, riß der dunkelhäutige Alpha namens Rafe die Tür auf und funkelte ihn wütend an.
„Der Tracker des Königclans... schon wieder... was verschafft uns dieses Mal die Ehre?" maulte er gereizt.
Ruhig breitete Kai die Arme mit den Handflächen nach vorne aus und sagte leise: „Bitte, es ist etwas geschehen und ich muss euren Omega darüber informieren... Es geht um seine Freundin Gwendolyn."
Rafe kniff die Augen zusammen und sah den dumpfen Schmerz in Kai's Gesicht, seine starre Körperhaltung und die gebeugten Schultern und nickte langsam.
„Komm rein. Aber halt Abstand!"
Der schlanke Mann folgte den Alpha des Duncanclans in das Haus und sah sich in null Komma nichts vier weiteren gegenüber, alle mit freien Oberkörpern, die in lockerer Gruppierung um eine Deckenfestung mit unzähligen flauschigen Kissen standen.
„Alpha Duncan... Ich muss mit dem Omega sprechen... bitte..."
Josh's Kopf tauchte unter einer dunkelblauen Fleecedecke auf und er verengte besorgt seine braunen Augen. Der Geruch von Furcht schwängerte in der Luft und veranlasste die Männer sich beschützend um ihren fruchtbaren Part zusammenzuziehen. „Was ist denn passiert," wisperte Josh ängstlich und Alpha Kai ging in die Hocke um auf einer Augenhöhe zu sein.
„Es tut mir so unendlich leid, Kleiner... aber deine Freundin Gwen ist vor etwa einer Stunde im Hospital gestorben."
Der Omega wurde kreidebleich und schüttelte energisch den Kopf. „Das kann nicht sein! Sie hatte eine Gehirnerschütterung, aber das vor zwei Wochen! Wie soll sie daran gestorben sein?"
Kai presste die Lippen fest zusammen und stieß schließlich die grausame Wahrheit hervor. Wie die Verwandtschaft Gwens ihr auf Befehl des Prinzen ‚eine Lektion in Sachen Respekt gegenüber Alphas' hatten beibringen müssen und wie das Mädchen aufgrund der Anwesenheit mehrerer Alphas und der körperlichen Schwäche in ihre Hitze gegangen war.
„Als ich sie fand war Gwendolyn bereits stark geschwächt... wir haben sie so schnell es ging ins Hospital gebracht, aber die Verletzungen in Kombination mit der Hitze waren einfach zu viel für ihren Zustand. Ihr Herz hat versagt..."
Josh's gellender Aufschrei ließ Kai verstummen.
„NEEEIIIN!!!! GWEEEEN!!!! Wieso? Warum müsst ihr Scheiß-Alphas solche bösartigen Hurensöhne sein? Wieso konntet ihr sie nicht einfach in Ruhe lassen? WIESO? GWEN..."
Der kleine Omega schlug die Hände über die Ohren und schrie sich die Seele aus dem Leib. Er bemerkte nicht, wie Duncan ins Nest glitt und ihn an sich presste. Er spürte das sanfte Streicheln nicht, hörte das Schnurren nicht, sondern weinte und kreischte seinen Kummer in die Welt hinaus.

In einem Feld voller Schmetterlinge Where stories live. Discover now