Die Werwolf-Sache

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Die ganze Nacht hatte ich über das Szenario auf der Lichtung nachgedacht. Hatte abgewägt, ob das alles wirklich so passiert war oder meine Psyche mir einen abgedrehten Streich gespielt hatte. Irgendwann nach Mitternacht hatte ich meinen Laptop angeschaltet und im Internet recherchiert. Es gab unzählige Artikel zu dem Thema. Unzählige Verschwörungstheorien. Die einen sprachen von Werwölfen, die anderen von Gestaltenwandlern. Die einen redeten von Monstern, die anderen von Menschen mit besonderen Talenten, die einfach nur in Ruhe leben wollten. Nachdem ich danach vielleicht eine Stunde geschlafen und durch wirre Albträume gewandelt war, stand mein Beschluss fest. Ich musste noch einmal mit Aiden reden! Er sollte mir das Ganze noch einmal in Ruhe erklären, sonst konnte mich mein Vater bald in die Klapse einweisen. Es war gerade einmal sechs Uhr morgens, als ich mich schnell duschte und mir frische Klamotten anzog. Selbst mein Vater schlief noch, er würde aber in zwei Stunden aufstehen, um an seinem Roman weiter zu arbeiten. Ich schrieb ihm einen Zettel, dass ich noch einmal bei Aiden wäre und er sich keine Sorgen machen solle. Dann holte ich mein Fahrrad aus der Garage und fuhr los. Mein Pfefferspray ließ ich zu Hause. Jetzt, da ich wusste, dass die Wölfe in diesem Wald vermutlich keine wilden Biester waren, brauchte ich es ja auch nicht mehr.

Vor dem Wald blieb ich noch einmal stehen und blickte zurück in die Richtung, aus der ich gekommen war. Vielleicht hätte ich das Pfefferspray doch mitnehmen sollen. Am Ende war das ganze Dorf ein Haufen Verrückter, die mir weißmachen wollten, dass ich verrückt war. Ich schüttelte über mich selbst den Kopf. Ich hatte gestern eindeutig gesehen, wie Leon sich von einem Welpen in einen Menschen und wieder zurück verwandelt hatte. Ich glaubte nicht, dass Jerold so einen Scherz erlauben würde und erst recht würde Aiden mich nicht so verarschen. Das hoffte ich zumindest. Nun wurde mir umso deutlicher bewusst, dass wir uns erst seit knapp einer Woche kannten. Die Welt war wirklich verrückt. Ich atmete noch einmal tief durch und trat dann kräftig in die Pedale. Jeder Vogel, der durch mich aufgeschreckt losflog, ließ mich zusammenzucken und bei jedem Knacken im Unterholz bildete ich mir ein, die Umrisse eines Wolfes zu sehen. Ich fuhr so schnell es der Schotterweg zuließ und dann endlich kam ich an der Lichtung an. Sofort bremste ich ab und wäre fast über den Lenker geflogen, konnte mich aber noch rechtzeitig abfangen. Ich stellte mein Rad ab und zog meinen Helm aus.

Die Lichtung schien wie ausgestorben. Die meisten mussten wohl noch schlafen. Ich merkte, wie bescheuert meine Idee eigentlich gewesen war. Aiden schlief bestimmt noch. Außerdem hatte ich immer noch keine Ahnung, in welchem Haus er wohnte. Und geschrieben hatte ich ihm natürlich auch nicht, mein Handy lag noch immer ausgeschaltet in meinem Zimmer. Ich war versucht umzudrehen, als mit einem Mal die Tür eines der Häuser aufging. Mein Atem stockte, als ich Aiden auf den Platz treten sah. Barfuß und wie es schien noch im Schlafanzug tapste er auf mich zu und blieb drei Meter vor mir stehen. „Hey,“ murmelte er und fuhr sich durch die Haare. „Hey. Du kommst gerade richtig“, versuchte ich zu grinsen, was mir aber mehr als misslang. Auch Aiden brachte nur ein halbes Lächeln zustande. „Ja. Unsere Patrouille hat dich gesehen und mir bescheid gegeben.“ Ich runzelte meine Stirn und folgte Aidens Blick in den Wald. Zwei leuchtende Augenpaare blickten mir unter den Bäumen entgegen. Mein Herz begann schneller zu klopfen. Mein Atem stockte. Nur mit Mühe konnte ich mir einen Schrei verkneifen.

„Du brauchst keine Angst haben. Das sind zwei unserer fähigsten Männer.“ „Das macht es nicht besser“, quietschte ich und tat zwei schnelle Schritte nach hinten. Da waren Wölfe vor mir im Wald. Da waren Wölfe vor mir im Wald! Da waren Werwölfe vor mir im Wald! Ich schloss meine Augen und atmete tief durch, was mein Herz leider kaum zur Ruhe brachte. Ich wandte mich wieder an Aiden, beobachtete aber im Augenwinkel weiter die zwei Augenpaare, die nach ein paar Sekunden verschwanden. Ob ich das gut oder schlecht fand, konnte mein Gewissen nicht entscheiden. „Erklär es mir. Alles. In Ruhe“, forderte ich. Aiden nickte. „Ich hatte gehofft, dass du zurückkommst. Wir können in meinem Zimmer reden, dort wird uns niemand stören.“ Ich nickte und folgte Aiden in das Haus aus dem er vor ein paar Minuten gekommen war. Die untere Etage war sehr offen gestaltet. Ich ließ meinen Blick schweifen und zuckte zusammen, als ich zwei Personen an einem Tisch sitzen sah. Die eine Person war Aidens Vater, dann musste die Frau wohl seine Mutter sein. „Leonie, darf ich dir meine Mutter Josephine vorstellen“, bestätigte Aiden meine Gedanken. Ich hob etwas unbeholfen meine Hand. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich den beiden gegenüber benehmen sollte. Sie schienen auch etwas unbeholfen, als sie mir zulächelten. Immerhin hatte ich gestern ihr großes Geheimnis entdeckt. Wenn auch unbeabsichtigt.

My Love, My Life, My Mate (Werwolf FF)Where stories live. Discover now