Die erste Begegnung

1.4K 35 3
                                    

Punktgenau sieben Uhr. Ich schwang mich auf den Sattel meines Fahrrads, verabschiedete mich von meinem Vater und fuhr los. Es war jetzt die zweite Woche nach den Sommerferien und es war immer noch angenehm warm, sodass ich beschlossen hatte, weiterhin mit dem Fahrrad zu fahren. Mein Vater könnte mich zwar auch in die Schule fahren, aber er arbeitete vormittags zu Hause und ich wollte ihn nicht unnötig aufhalten. Er war Schriftsteller und arbeitete gerade an seinem ersten großen Roman, nachdem er von einem Verlag durch einen Wettbewerb entdeckt worden war. Davor hatte mein Vater uns mit seinem Kellner Job über Wasser gehalten, doch kellnern tat er nun nur noch nachmittags und das auch nur unter der Woche. Unser Haus lag etwas außerhalb der Stadt, sodass wir hier immer unsere Ruhe hatten. Trotzdem gab es eine Busverbindung und auch mit dem Fahrrad war man relativ schnell in der Stadt.

Ich fuhr den Feldweg entlang und konnte nach ein paar Minuten die große Kreuzung sehen. Fuhr man hier geradeaus, kam man in die Stadt. Nach rechts ging es weiter zu unserer Nachbarstadt. Nach links führte die Straße in einen Wald und wurde nach wenigen Metern zu einem breiten Schotterweg. Ein ganzes Stück im Wald hatte es früher einmal ein altes Dorf gegeben, irgendwie noch aus dem Mittelalter oder so. Die letzten Bewohner dieses Dorfes waren schon vor meiner Geburt ausgezogen. In den Sommerferien hatten Gerüchte die Runde gemacht, dass ein großer Investor das ganze Gebiet gekauft und das Dorf saniert hatte. Anscheinend waren da auch jede Menge Leute eingezogen. Bisher war denen aber noch kein Mensch begegnet und mein Vater und ich hatten auch nicht bemerkt, dass Umzugswagen die Straße entlanggefahren waren. Aber irgendwas musste an den Gerüchten ja dran sein, sonst würden sie nicht existieren.

Plötzlich tauchte etwas vor mir auf. Erschrocken schrie ich und bremste so fest, dass es mich fast mitsamt meinem Fahrrad umschmiss. Mit großen Augen blickte ich auf den Jungen vor mir, der sich auf seinem Fahrrad umgedreht hatte. „Alles ok?“, fragte er. Ich konnte nur nicken. Ich hatte diesen Jungen noch nie hier gesehen. Er musste in meinem Alter sein. Seine Haare sahen so aus, als hätten sie noch nie einen Kamm gesehen und doch sahen sie nicht schlecht aus. Das Schwarz seiner Haare passte auf magische Weise perfekt zu seinen grünen Augen, in denen ich einen Goldstich erkennen konnte. Fasziniert beugte ich mich weiter nach vorne.

Plötzlich räusperte sich der Junge. Ich zuckte auf meinem Fahrrad zurück und spürte im selben Moment, wie meine Wangen warm wurden. Peinlich berührt legte ich meine Hände auf mein Gesicht. Eine kurze Stille entstand, bis ich mich verlegen räusperte. „Steh das nächste Mal bitte nicht so in der Mitte des Weges. Ich fahre hier jeden Morgen und jeden Nachmittag lang“, murmelte ich und wollte mir im nächsten Moment gegen den Kopf schlagen. Was Dämlicheres hätte ich echt nicht sagen können. Meine Wangen fingen an zu glühen. Der Junge vor mir lachte und plötzlich bekam ich eine Gänsehaut. Vielleicht hätte ich doch meine Strickjacke über mein T-Shirt anziehen sollen. „Ist gut, werde ich mir merken. Aber ich fahre hier ab sofort auch lang.“ „Ab sofort?“ Nun war meine Neugierde geweckt. „Ja. Mein Vater hat das Dorf dort im Wald gekauft. Wir sind mit unserer Familie und ein paar von unseren Freunden im Sommer eingezogen“, erklärte der Junge und zeigte in den Wald. Ich folgte seinem Blick. „Abgefahren. Ist dein Vater etwa reich oder sowas?“ Ich blickte wieder zu dem Jungen, der lässig mit den Schultern zuckte. „Sowas in der Art“, grinste er.

„Ich bin Aiden Miller“, stellte er sich dann vor und streckte mir seine Hand entgegen. „Leonie Redhead. Ich weiß, mein Nachname klingt scheiße. Den hat uns meine Großmutter aufgezwungen. Hab ich mir nicht ausgesucht.“ Aiden gab sich wirklich alle Mühe nicht zu lachen, aber nach wenigen Sekunden brach es aus ihm heraus und ich konnte nicht anders als mit ihm zu lachen. „Ok, ok, wir sollten uns wieder beruhigen. Ich muss so langsam mal weiter in die Schule“, meinte ich nach ein paar Minuten. Aiden sammelte sich wieder. „In welche Schule gehst du denn? Vielleicht gehen wir ja in die gleiche“, wollte er wissen. „Ins Hans-Martin-Gymnasium.“ „Cool, da muss ich auch hin. Dann können wir ja zusammen fahren. Meine Freunde sind leider alle an Schulen in der Nachbarstadt. Ich hab keine Ahnung wieso.“ „Mies. Aber hey, da verpassen sie was. Unser Gymnasium ist nämlich das beste der Welt! Und die Lehrer sind alle voll entspannt. Ich komme nämlich öfters zu spät, aber sie winken es immer ab. Denen ist nur wichtig, dass wir keinen Scheiß bauen und einigermaßen gute Noten schreiben.“ „Gut zu wissen“, grinste Aiden. „Na dann mal los“, grinste ich und warf einen schnellen Blick über die Kreuzung, ehe ich die Straße überquerte. Aiden folgte mir und wir fuhren nebeneinander her in Richtung Stadt.

My Love, My Life, My Mate (Werwolf FF)Where stories live. Discover now