Harry musterte mich mit unbewegter Miene und seine Ruhe färbte auf mich ab. Langsam wurde ich wieder Herr über mein eigenes Verhalten.

„N-Natürlich will ich anwesend sein", sprach ich. „Was muss ich machen? Wo muss ich hin?" Den Schlag hatte ich gebraucht, denn nun entspannte sich auch Harrys Gesicht zunehmen. Dann schüttelte er die schmerzende Faust und ich klopfte ihm dankbar auf die Schulter. 

Mir war in diesem Augenblick überhaupt nicht bewusst, dass ich jetzt amtlich feiern konnte, dass jeder der Jungs mich einmal geschlagen hatte.

Eilig folgte ich der Schwester, ließ mir in dieses komische Hemd helfen, musste mir die Hände waschen und schließlich trat ich in den OP-Saal. Ich wusste nicht was man von mir erwartete, doch als ich neben El stand, ihr sanft über die Haare strich, obwohl sie nicht wach war, beruhigte sich mein Puls.

Denn so lange ich auf dem Monitor sehen konnte, dass ihr Herz schlug und hörte, wie der Arzt mit den Schwestern sprach, in einer ruhigen und gefassten Stimmlage, wollte ich nicht in Panik verfallen. 

„Wir schaffen das, El", flüsterte ich und blendete das Fachchinesisch um mich herum aus. Ich verstand sowieso kein Wort. Ein Tuch, oder was auch immer das war, verhinderte sowieso, dass ich einen Blick darauf hatte, was der Arzt tat.

„Wenn wir das schaffen", sprach ich zu ihr. „Dann verspreche ich dir, wir werden nie wieder streiten. Ich werde mehr zu Hause sein. Alles machen, was du willst, du darfst mich jetzt nur nicht alleine lassen." 

Ich wollte ihr so viel sagen, ich wollte, dass sie alles hörte, aber ihre fehlende Reaktion machte es schwierig an etwas festzuhalten. Irgendwann schwieg ich und sah sie nur an. So lange, bis mich etwas aus der Starre riss.

Die Schwestern lachten erleichtert auf, der Arzt brummte etwas von: „Na da haben wir dich!"

Und dann sah ich Ally.

Sie war schrecklich klein. Gott, sie war winzig. Rot, verschrumpelt, aber wunderschön. Das Schönste, was ich je gesehen hatte.

Der Arzt reichte sie weiter und ich sah, dass Ally mitgenommen wurde. Die Schwester neben mir sah meinen Blick und erklärte: „Wir müssen sie nur schnell untersuchen, sauber machen und in den Brutkasten bringen, damit sie nicht auskühlt." 

„Aber seien Sie unbesorgt", mischte sich der Arzt ein, „sie wirkt überraschend kräftig und zäh."

Die Worte beruhigten mich. Ich blieb bei El und erst als alles vorbei war, ließ ich ihre Hand los und sah nach, wie sie weggebracht wurde. 

„Ist mit ihr alles in Ordnung?", fragte ich und die Schwester nickte: „Ja, das Ganze mag etwas viel gewesen sein. In einigen Stunden wird sie wieder aufwachen. Wahrscheinlich wird sie ein paar Tage hierbleiben müssen."

„Wie heißt ihre Tochter, Mr Tomlinson?", wollte eine weitere Schwester wissen, die noch einmal zurück in den OP-Raum kam.

Ich blickte sie an, dann winkte sie mich zu sich und wenig später stand ich hinter einer Scheibe, von wo aus ich genau sehen konnte, wie man Ally untersuchte. Sie wirkte so zerbrechlich, dass ich Angst bekam, man könnte ihr weh tun. Immer, wenn sie sich bewegte, zuckte, oder ihr Mund sich öffnete, krampfte mein Herz zusammen.

Wie hatte ich dieses Wesen nicht wollen können? Schließlich kam sie in einen Brutkasten und die Schwester notierte sich Daten. Dann drehte sie sich um und nickte und lächelnd zu. Was wohl bedeuten sollte, dass alles in Ordnung war.

„Sie heißt Ally", sprach ich mit belegter Stimme, „meine Freundin hat den Namen ausgesucht, wegen der zwei L's." Es war absolut unsinnig, dass ich der Schwester das erzählte, aber ich tat es trotzdem.

Twisted perfection ✓Where stories live. Discover now